Читать книгу Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 10

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Seine Frau brauchte an diesem Abend länger als erwartet, und Egon Wallin war reichlich genervt, als er sich endlich auf den Weg machen konnte. Es war, als ob sie geahnt hätte, dass er Pläne hatte, und deshalb länger las als sonst. Sicher mehrere Kapitel.

So leise wie möglich schlich er mehrmals an der Schlafzimmertür vorbei und sah, dass dort noch Licht brannte, während die Vorfreude seinen ganzen Körper jucken ließ wie ein Ekzem. Am Ende knipste sie das Licht aus. Nur um sicher zu sein, dass sie wirklich eingeschlafen war, wartete er noch eine Viertelstunde. Öffnete vorsichtig die Tür und horchte auf ihren gleichmäßigen Atem, ehe er sich aus dem Haus wagte.

Auf der Straße seufzte er erleichtert auf. Die Erwartung brannte auf Lippen und Zunge. Rasch ging er weiter. Hinter den meisten Fenstern war alles dunkel, obwohl es Samstag war und noch vor Mitternacht. Er wollte um nichts in der Welt einem Nachbarn begegnen – hier kannten sich alle. Sie hatten das Reihenhaus gekauft, als es neu gebaut worden war und die Kinder noch klein waren. Die Ehe war einigermaßen glücklich gewesen, und ihr Leben hatte seinen Lauf genommen. Egon war nie untreu gewesen, obwohl er beruflich viel unterwegs war.

Ein Jahr zuvor war er zu einer seiner Geschäftsreisen nach Stockholm gefahren. Die Leidenschaft hatte ihn getroffen wie ein Blitz, und über Nacht hatte alles sich verändert. Er war einfach unvorbereitet gewesen. Plötzlich hatte sein Leben einen neuen Inhalt bekommen, einen neuen Sinn.

Sex mit Monika zu haben wurde unerträglich. Ihre Reaktion auf seine halbherzigen Initiativen war in den letzten Jahren eher kühl gewesen. Die Aktivitäten waren dann ganz zum Erliegen gekommen, eine große Erleichterung, und sie sprachen nie darüber.

Aber jetzt brannte die Sehnsucht in ihm. Er schlug den kürzesten Weg ein, vorbei am Krankenhaus und den Anhöhen bei Strandgärdet. Bald würde er sein Ziel erreicht haben. Er zog sein Telefon hervor, um anzukündigen, dass er unterwegs sei.

Als er gerade die Nummer eingeben wollte, stolperte er und fiel. In der Dunkelheit hatte er die kräftige Wurzel nicht bemerkt, die vor ihm aus dem Weg aufragte. Er prallte gegen einen Stein und verlor für einige Sekunden das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, spürte er, wie Blut von seiner Stirn über die Wange lief. Mühsam setzte er sich auf. In seinem Kopf drehte sich alles. Eine Weile saß er auf dem kalten Boden. Glücklicherweise hatte er Papiertaschentücher bei sich und konnte das Blut abwischen. Seine Stirn und seine rechte Wange brannten.

Verdammt, dachte er. Nicht ausgerechnet jetzt.

Vorsichtig betastete er sich mit den Fingerspitzen. Zum Glück schien er sich nicht ernstlich verletzt zu haben, auch wenn sich über seiner rechten Augenbraue nun eine dicke Beule bildete.

Er machte einige schwankende Schritte. Der Sturz hatte ihn überrascht und geschockt.

Der Schwindel zwang ihn dazu, zunächst langsam zu gehen, aber bald hatte er die Mauer erreicht. Von dort war es nicht mehr so weit bis zum Hotel.

Er hatte gerade die kleine Öffnung in der Mauer passiert, die »Liebespforte« genannt wurde, als er bemerkte, dass jemand sich in unmittelbarer Nähe befand. Und dann hörte er ein kurzes Zischen an einem Ohr und wurde rückwärts gedrückt.

Egon Wallin kam nicht mehr zu seinem Stelldichein.

Siv Eriksson erwachte wie üblich einige Minuten, ehe der Wecker klingelte. Sie schien zu spüren, wenn es Zeit war, aufzustehen und den Wecker abzustellen, ehe ihr Mann Lennart von dem Lärm geweckt wurde. Vorsichtig stand sie auf und versuchte, so leise wie möglich zu sein. Es war ja schließlich Sonntag.

Sie stapfte in ihren rosafarbenen flauschigen Pantoffeln, die sie von ihrem Mann zu Weihnachten bekommen hatte, in die Küche, setzte Kaffee auf, duschte und wusch sich die Haare. Danach genoss sie in aller Ruhe ihr Frühstück, hörte dabei Radio und ließ ihre Haare trocknen.

Siv Eriksson freute sich auf diesen Tag. Die Arbeitszeit an Sonntagen war kurz, nur von sieben bis zwölf, dann würde Lennart sie abholen und sie würden den fünften Geburtstag ihres einzigen Enkelkindes feiern. Die Tochter wohnte mit ihrer Familie in Slite im nördlichen Gotland, es war also ein Stück zu fahren. Siv hatte die Geschenke schön verpackt auf dem Dielentisch liegen. Lennart sollte sie mitnehmen, wenn er losfuhr, sie hatte einen Zettel geschrieben, um ihn daran zu erinnern.

Nachdem sie den Kaffee getrunken hatte, putzte sie sich die Zähne und zog sich an. Sie gab der Katze Futter und frisches Wasser. Die Katze schien nicht nach draußen zu wollen, sie schaute nur vielsagend zu ihr hoch und rollte sich in ihrem Korb zusammen. Siv Eriksson warf einen Blick auf das Thermometer am Fenster und stellte fest, dass es wieder kälter geworden war, zehn Grad unter Null. Da nahm sie doch besser Mütze und Schal. Der Wollmantel war alt und ein wenig zu lang.

Ihre Wohnung lag im oberen Stockwerk eines Hauses in der Polhemsgata, und man blickte von dort auf die Nordostseite der Stadtmauer.

Als Siv Eriksson auf die Straße trat, war es noch immer ziemlich dunkel. Der Weg zu ihrem Arbeitsplatz im Hotel Wisby war zwei Kilometer lang, aber das machte ihr nichts aus. Sie lief gern, es war ohnehin die einzige Bewegung, die sie hatte. Ihre Arbeit in der Hotelküche gefiel ihr, zusammen mit einer Kollegin war sie für das Frühstück zuständig. So früh im Jahr waren nur wenige Gäste im Hotel, was ihr recht war, Stress war überhaupt nicht ihre Sache.

Sie überquerte die Straße und folgte dem Fußweg am Fußballplatz, dessen Rasen mit einer dünnen Schneedecke bedeckt war. Auf dem Parkplatz vor dem Kultur- und Freizeitamt wäre sie auf dem gefrorenen Asphalt beinahe ausgeglitten.

Beim Übergang auf dem Kung Magnus väg, der parallel zur Ostseite der Stadtmauer verlief, blieb sie stehen und sah sich unnötigerweise in beide Richtungen um. Am Sonntagmorgen war nicht viel Verkehr, aber Siv Eriksson war ein vorsichtiger Mensch. Sie ging durch den Östergravar, einen kleineren Grünbereich hinter der Mauer. Gerade diese Strecke kam ihr im Dunkeln immer beängstigend einsam vor, aber bald würde sie die mittelalterliche Stadtmauer erreicht haben, die die Innenstadt umgab. Dort musste sie die Dalmansport durchqueren, um in die Stadt zu gelangen. Dieses Tor lag im siebzehn Meter hohen Dalmansturm, dem wuchtigsten Wehrturm der Stadt.

Etwa dreißig Meter vor dem Tor blieb Siv Eriksson abrupt stehen. Zuerst traute sie ihren Augen nicht. Etwas baumelte da in der Öffnung. Einige verwirrende Sekunden lang glaubte sie, es sei ein Sack. Als sie näher kam, ging ihr zu ihrem Entsetzen auf, dass dort ein Mann an einem im Gitter oberhalb der Toröffnung befestigten Seil hing. Dem Fallgitter, das in alten Zeiten herabgelassen worden war, wenn der Feind anrückte.

Der Nacken war gebogen, und die Arme hingen schlaff nach unten.

Sie rutschte auf dem glatten Pflaster aus und wäre fast gestürzt, konnte aber in letzter Sekunde noch nach dem Geländer greifen. Ihr Blick fiel wieder auf den Mann. Er trug einen langen schwarzen Ledermantel und eine schwarze Hose, seine Füßen steckten in kurzen Stiefeln. Er hatte dunkle Haare und mochte um die fünfzig sein.

Sein Gesicht konnte sie nur mit Mühe erkennen, sie machte einige unsichere Schritte vorwärts und schaute sich ängstlich um.

Als sie nahe genug gekommen war, erstarrte alles in Siv Erikssons Kopf. Dieser Mann war ihr sehr wohl bekannt.

Langsam zog sie ihr Mobiltelefon hervor und wählte die Nummer der Polizei.

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

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