Читать книгу Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 11

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Kriminalkommissar Anders Knutas traf eine halbe Stunde darauf an der Dalmansport ein. Üblicherweise blieb er in der Zentrale, um die Aufgaben zu verteilen, aber das hier wollte er sehen. Einen Mann, der vermutlich ermordet und dann kaltblütig zur allgemeinen Ansicht mitten in einem der größten und protzigsten Tore der Stadtmauer gehisst worden war, das war einzigartig. Die Streife, die zuerst an der Fundstelle gewesen war, hatte sofort mitgeteilt, es sehe nicht nach Selbstmord aus, sondern hier müsse ein Verbrechen vorliegen. Der Leichnam hing mehrere Meter hoch in der Luft und war noch dazu von beiden Mauerseiten mindestens einen Meter entfernt. Es gab nichts, auf dem das Opfer gestanden oder auf das es geklettert sein könnte, um die Stelle zu erreichen, an der die Schlinge befestigt war.

Als Knutas eintraf, waren Kriminalinspektorin Karin Jacobsson und Techniker Erik Sohlman schon zur Stelle. Karin sah noch kleiner aus als ihre knapp eins sechzig, und sie war so blass, dass ihr Gesicht durchsichtig wirkte. Knutas begrüßte sie, indem er ihren Arm drückte. Sie war von ihrer zentral gelegenen Wohnung innerhalb der Stadtmauer zu Fuß gegangen. Knutas war sofort klar, dass sie den Leichnam schon gesehen hatte. Karin schien sich an den Anblick von Toten einfach nicht gewöhnen zu können, und ihm selbst ging es im Grunde auch nicht anders.

Eine Schar von Nachbarn hatte sich bereits versammelt und starrte entsetzt zu dem Leichnam hoch, der mit dem Rücken zu ihnen in der Türöffnung hing. Dass in ihrer friedlichen Straße ein dermaßen schrecklicher Mord passieren konnte, hätten sie alle nicht für möglich gehalten.

Die Dalmansport lag in der Stadtmauer mitten in der Norra Murgata, einer langen und schmalen gepflasterten Straße, die parallel zur Ostseite der Mauer verlief. Niedrige pittoreske Häuser reihten sich aneinander. Eine richtige Idylle mit gehäkelten Gardinen in den Fenstern, gotländischen Keramikkrügen und kleinen Gärten hinter dem Zaun. Manche Häuser auf der Stadtseite der Mauer waren sogar in diese hineingebaut.

Karin und Knutas gingen an den Betonpollern vorbei, die die Durchfahrt durch das Tor versperrten, und stiegen über die blauweißen Absperrbänder.

Beim Anblick des Opfers schnappte Knutas nach Luft.

Auf den ersten Blick sah es aus wie ein tragischer Selbstmord. Das Seil war an einem kräftigen Haken befestigt, der im Fallgitter über der Toröffnung verankert war. Der Kopf des Toten hing nach vorn, sein Körper war schlaff.

Das Szenario erinnerte an das vergangene Jahr, als mehrere bei Ritualmorden getötete Menschen aufgehängt gefunden worden waren.

»Das kommt mir bekannt vor«, sagte Knutas zu Karin.

»Himmel, ja, ich musste auch gleich daran denken, wie wir im vorigen Sommer Martina Flochten gefunden haben.«

Karin schüttelte den Kopf und bohrte die Hände noch tiefer in die Taschen ihrer Windjacke.

Als Knutas nah genug gekommen war, um das Gesicht des Toten zu sehen, erstarrte er.

»Das ist doch Egon Wallin, der Kunsthändler.«

Der Kriminaltechniker Erik Sohlman, der den Leichnam gerade aus unterschiedlichen Winkeln fotografierte, ließ die Kamera sinken und sah sich das Gesicht näher an.

»Sicher, das ist er«, rief er. »Ja, verdammt. Ich war noch vor einer Woche in der Galerie und habe für meine Mutter zum sechzigsten ein Bild gekauft.«

»Wir müssen ihn so schnell wie möglich runterholen«, sagte Knutas düster. »Der Leichnam ist von der Straße her sicher zu sehen, und jetzt werden die Leute wach.«

Er nickte zum Kung Magnus väg hinüber, wo bereits mehrere Wagen an den Straßenrand gefahren waren und angehalten hatten. Leute stiegen aus und zeigten auf das Tor. Der makabere Fund war im Morgenlicht für alle, die vorbeikamen, deutlich sichtbar.

»Beeilt euch jetzt«, mahnte Knutas. »Er hängt hier doch wie im Schaufenster.«

Er schaute sich um. Es war schwer zu entscheiden, welcher Bereich abgesperrt werden musste, aber seine vielen Jahre bei der Kriminalpolizei hatten ihn gelehrt: je mehr, desto besser.

Die Polizei konnte Selbstmord noch nicht ausschließen, aber wenn Egon Wallin ermordet worden war, was Knutas glaubte, dann würden sie alle denkbaren Spuren sichern müssen. Er überlegte kurz, dass das vermutlich erforderte, die gesamte Grünfläche zwischen der Österport und der Norderport abzusperren. Überall gab es Schuhabdrücke, die sich deutlich im Schnee abzeichneten und eventuell Hinweise auf den Mörder geben konnten.

Knutas sah sich das Gitter an, an dem die Schlinge befestigt war. Es erschien ihm unmöglich, dass Egon Wallin das allein geschafft hatte. Es gab absolut nichts, worauf man klettern konnte. Die Schlinge hing so hoch, dass Knutas befürchtete, sie würden die Feuerwehr bemühen müssen, um den Leichnam herunterzuholen.

Er zog sein Telefon hervor und rief die Gerichtsmedizin in Solna an. Ein Gerichtsmediziner musste so schnell wie möglich mit dem Polizeihubschrauber einfliegen.

Aus Erfahrung wusste er, dass die Gerichtsmediziner verlangten, den Leichnam bis zur ersten Untersuchung unberührt zu lassen, aber in diesem Fall war das unmöglich. Der Tote hing da wie das Opfer einer öffentlichen Hinrichtung. Wenn sich das hier als Mord erweisen sollte, würden die Medien im Sturm über sie hereinbrechen und ihnen keine Zeit mehr lassen, Atem zu holen.

Kaum hatte Knutas darüber nachgedacht, als hinter ihm auch schon die erste Kamera aufblitzte. Wütend fuhr er herum, und weitere Blitze wurden abgefeuert.

Er erkannte die Fotografin von Gotlands Allehanda zusammen mit einem der aufdringlichsten Reporter dieser Zeitung. Hochrot im Gesicht packte er ihren Arm.

»Was zum Teufel soll das denn hier? Das ist womöglich ein Selbstmord, bisher wissen wir noch gar nichts. Absolut gar nichts! Wir haben noch nicht einmal die Angehörigen verständigt. Er ist doch gerade erst gefunden worden.«

»Wisst ihr, wer es ist?«, fragte sie pikiert und zog ihren Arm zurück, ohne auf Knutas’ Erregung einzugehen. »Ich finde, der sieht aus wie Egon Wallin, der Kunsthändler.«

»Hört ihr denn nicht? Es steht durchaus nicht fest, dass wir es hier mit einem Verbrechen zu tun haben. Macht, dass ihr wegkommt, und lasst uns in Ruhe arbeiten!«

Selbstmord war immerhin etwas, das die Presseleute respektierten und worüber sie in der Regel nicht berichteten. Bisher zumindest. Aber so, wie sich die Medien entwickelten, würde es wohl nicht mehr lange dauern, bis sie sich auch darin suhlten.

Knutas hatte Egon Wallin gekannt und geschätzt. Sie hatten zwar keinen direkten Kontakt gehabt, waren sich einander aber im Laufe der Jahre immer wieder über den Weg gelaufen, und Knutas hatte der andere immer gefallen. Er hatte etwas Offenes und Redliches. Ein gerader Mensch, der mit beiden Füßen auf dem Boden stand und mit seinem Leben zufrieden war. Anders als so viele andere, die sich immer nur beklagten. Sie waren ungefähr im selben Alter, und Knutas hatte Egon Wallin immer bewundert. Wallin hatte eine positive Ausstrahlung gehabt, die dafür sorgte, dass man mit ihm befreundet sein wollte. Und jetzt hing er hier – tot.

Jede Minute, die verging, ohne dass sie den Leichnam herunterholen konnten, wurde zur Qual. Knutas grauste es schon vor der Aufgabe, Wallins Frau über dieses tragische Ereignis informieren zu müssen.

Mehrere Journalisten drängten sich auf der anderen Seite der blauweißen Bänder zusammen. Irgendwie verstand er ja auch, dass sie ihre Arbeit tun mussten. Und wenn der Fall sich als Mord herausstellte, würde die Polizei eine Pressekonferenz einberufen müssen. Knutas war dankbar dafür, dass zumindest noch kein Fernsehteam aufgetaucht war. Aber gleich darauf entdeckte er Pia Lilja, die eifrigste Kamerafrau, die ihm jemals über den Weg gelaufen war. Sie arbeitete zusammen mit Johan Berg für das Schwedische Fernsehen. Im Moment war sie allein, aber das hinderte sie nicht daran, Bilder zu machen. Und so lange sie hinter den Absperrungen blieb, konnte er es ihr nicht verbieten.

Knutas seufzte, warf einen letzten Blick auf die Leiche und verließ dann mit Karin den Fundort.

Vor ihm lag ein hektischer Tag.

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

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