Читать книгу Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 7

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Der scharfe Wind ließ die Fensterscheiben klirren, und ein Zweig schlug gegen die Hauswand. Das Meer toste, und die Baumwipfel rauschten. Die Decke war auf den Boden geglitten, und er fror. Die wenigen Heizkörper reichten nicht, um das Haus zu wärmen. Es wurde im Winter nicht vermietet, aber er hatte die Besitzerin zu einer Ausnahme überreden können. Er hatte behauptet, im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums an einer Untersuchung über die gefährdete gotländische Zuckerproduktion zu arbeiten, aber als Freiberufler könne er sich kein Hotelzimmer leisten. Die Besitzerin hatte den Zusammenhang nicht so richtig begriffen, hatte aber keine weiteren Fragen gestellt. Die Vermietung bedeutete für sie kaum Mehrarbeit, im Grunde brauchte sie bloß den Schlüssel zu überreichen.

Er stieg aus dem Bett und zog Pullover und Hose an. Trotz des Unwetters musste er hinaus. Das Ferienhaus hatte zwar Küche und Toilette, aber das Wasser war abgestellt.

Der Wind schlug ihm entgegen, als er die Tür öffnete. Sie fiel mit einem Knall hinter ihm zu. Er bog um die Hausecke und trat so dicht wie möglich an die hintere Wand des Hauses, die dem Wald zugewandt und etwas windstiller war, öffnete den Schlitz und ließ den Strahl auf die Wand fallen.

In der Küche aß er zwei Bananen und mischte sich ein Proteingetränk, das er stehend vor dem Spülbecken trank. Seit er zwei Monate zuvor diesen Plan geschmiedet hatte, hatte er eine Gewissheit empfunden, eine Überzeugung, dass es keine Alternative gebe. Der Hass hatte ihn überwältigt, seine Gedanken geschärft und einen säuerlichen Geschmack auf der Zunge hinterlassen. Methodisch und zielstrebig hatte er an den Vorbereitungen gearbeitet, Punkt für Punkt mit minutiöser Genauigkeit abgehakt. Alles war im Stillen geschehen. Dass niemand ahnte, was er vorhatte, stachelte ihn nur noch mehr auf. Er hatte alles unter Kontrolle und würde seine Vorsätze in die Tat Umsetzen. Immer wieder hatte er sich die Details vorgenommen, bis alle Lücken und Fehler ausgemerzt waren. Die Zeit war unweigerlich gekommen. Es war ein genau durchdachter, raffinierter Plan, der durchaus nicht leicht auszuführen war.

Er beugte sich vor und schaute aus dem Fenster. Das einzige Moment der Unruhe war der verdammte Sturm. Der Wind machte es schwerer für ihn und könnte schlimmstenfalls seine Pläne durchkreuzen. Zugleich bot er jedoch gewisse Vorteile. Je schlechter das Wetter, umso weniger Menschen waren unterwegs, was das Risiko einer Entdeckung minderte.

In seinem Hals kratzte es. Bekam er eine Erkältung? Er griff sich mit der Hand an die Stirn und wirklich, er schien Fieber zu haben. Verdammt. Er wühlte eine Schachtel Alvedon hervor und schluckte zwei Tabletten mit Wasser aus einem Kanister auf dem Spülstein hinunter. Die Erkältung kam äußerst ungelegen, er würde all seine Muskelkraft brauchen.

Der Rucksack mit dem Werkzeug war gepackt, ein letztes Mal überzeugte er sich davon, dass alles an Ort und Stelle war. Rasch zog er den Reißverschluss hoch und nahm vor dem Spiegel Platz. Mit geübten Bewegungen schminkte er sich, setzte die Linsen ein und klebte die Perücke fest. Auch die Maskierung hatte er immer wieder geübt, bis sie perfekt saß. Als er fertig war, musterte er seine Verwandlung einen Moment.

Wenn er sich das nächste Mal im Spiegel betrachtete, würde er in das Gesicht eines Mörders blicken. Er fragte sich, ob ihm das anzusehen sein würde.

Mattis Kalvalis war nervös. Während der vergangenen Stunde war er ungefähr alle zehn Minuten zum Rauchen nach draußen gegangen.

»What if nobody comes?«, fragte er immer wieder mit seinem rauen baltischen Akzent. Sein Gesicht war noch blasser als sonst, und sein schlaksiger Körper bewegte sich unruhig zwischen den Gemälden. Mehrmals hatte Egon Wallin ihm die Zeitungsanzeige gezeigt und ihm auf die Schulter geklopft.

»Everything will be just fine – trust me.«

Der ebenfalls aus Litauen angereiste Agent war keine große Hilfe. Er saß meistens vor der Galerie, rauchte und telefonierte, scheinbar unberührt von den eisigen Winden.

Die Vernissage war gut besucht. Als er die Tür zur Galerie öffnete, wartete davor bereits eine lange Schlange von Menschen, die in der Kälte von einem Bein aufs andere traten.

Viele bekannte Gesichter lächelten ihn freundlich an, und ihre Augen strahlten vor Erwartung. Er suchte eine gewisse Person in der in die Galerie strömenden Menge. Aber sie hatten ja Zeit genug. Sich nichts anmerken zu lassen würde allerdings nicht einfach sein.

Zufrieden stellte er fest, dass gerade der Kulturreporter des Lokalsenders hereinkam, und nach einer Weile entdeckte er einen weiteren Journalisten von einer der Lokalzeitungen, der soeben den Künstler interviewte. Seine Medienaktion mit Pressemeldungen, gefolgt von Anrufen, war offenbar von Erfolg gekrönt.

Rasch füllte sich die Galerie mit Besuchern. Mit ihren dreihundert Quadratmetern über zwei Stockwerke hinweg war sie für Gotland eigentlich unverhältnismäßig groß. Aber das Gebäude war über Generationen vererbt worden, und Egon Wallin hatte versucht, so viel wie möglich im ursprünglichen Stil zu erhalten. Es war ihm wichtig, der Kunst genug Raum zu geben, um ihre optimale Wirkung zu entfalten. Die Gemälde kamen wirklich zu ihrem Recht – die farbenprächtigen expressiven und ultramodernen Werke bildeten einen scharfen Kontrast zu den groben Mauern. Die Besucher schlenderten zwischen den Kunstwerken dahin und nippten an moussierendem Wein. Leise Musik war zu hören – der Künstler hatte darauf bestanden, seine Werke zu den Klängen einer litauischen Rockband zu zeigen, die sich anhörte wie eine Mischung aus Frank Zappa und der deutschen Synthband Kraftwerk.

Egon hatte ihn aber immerhin dazu bringen können, die Lautstärke ein wenig zu drosseln.

Jetzt sah Mattis Kalvalis um einiges entspannter aus. Er lief zwischen den Besuchern hin und her, redete laut, lachte und gestikulierte mit seinen großen Händen, dass der Wein nur so aus dem Glas schwappte. Seine Bewegungen waren ruckhaft und unkontrolliert, und ab und zu krümmte er sich und brach in hysterische Lachanfälle aus.

Für einen entsetzlichen Augenblick fürchtete Egon schon, sein Künstler könne unter Drogen stehen, verdrängte diesen Gedanken dann aber gleich. Sicher kam alles nur von der nachlassenden Nervosität.

»Saugut, Egon. Wirklich gut gemacht«, hörte er hinter sich jemanden sagen.

Die heisere, lispelnde Stimme hätte er auch über jede Entfernung erkannt.

Er drehte sich um und stand Auge in Auge Sixten Dahl gegenüber, einem der erfolgreichsten Galeristen Stockholms. Im schwarzen Ledermantel mit Hose und Stiefeln aus demselben Material, getönter Brille mit orangen Bügeln und gepflegtem Dreitagebart sah er aus wie eine schlechte Kopie des Popstars George Michael. Sixten Dahl besaß eine wunderschöne Galerie an der Ecke Karlaväg und Sturegata in Stockholms angesagtestem Stadtteil Östermalm.

»Findest du, wie schön. Und toll, dass du kommen konntest«, sagte Egon mit gespielter Begeisterung.

Nur um ihn zu ärgern, hatte er dem Stockholmer Konkurrenten eine Einladung zukommen lassen. Sixten Dahl hatte ebenfalls versucht, sich Mattis Kalvalis zu angeln, aber aus diesem Wettstreit war Egon als Sieger hervorgegangen.

Die beiden Kunsthändler waren zu einem Treffen von Galeristen aus den Ostseeanrainerstaaten in Vilnius gewesen und hatten dort die ganz eigenen Bilder des jungen Künstlers entdeckt. Bei einem Essen hatte Egon Wallin zufällig neben Mattis Kalvalis gesessen. Die beiden hatten sofort zueinander gefunden, und unerwarteterweise hatte Kalvalis die gotländische Galerie Sixten Dahl und der Großstadt vorgezogen.

Viele in Kunstkreisen hatten darüber gestaunt. Obwohl Egon Wallin einen guten Namen hatte, kam es doch überraschend, dass der Künstler sich für ihn entschieden hatte. Sixten Dahl genoss einen mindestens ebenso guten Ruf, und Stockholm war nun einmal sehr viel größer.

Dass Egons ärgster Konkurrent bei der Vernissage in Visby auftauchte, war an sich kein so großes Wunder. Er war dafür bekannt, dass er sich nicht so schnell geschlagen gab. Vielleicht meint er in seiner Einfalt, Kalvalis doch noch für sich gewinnen zu können, dachte Egon. Man sollte es nicht glauben. Was Sixten Dahl nicht wusste, war, dass Kalvalis Egon gebeten hatte, ihn als sein Agent in ganz Schweden zu vertreten.

Der Vertrag lag bereit und musste nur noch unterschrieben werden.

Die Vernissage wurde ein Erfolg. Ein regelrechter Kaufrausch ergriff die Besucher. Egon staunte immer wieder über das Herdenverhalten der Menschen. Wenn die richtige Person ausreichend schnell und ausreichend viel einkaufte, waren plötzlich auch viele andere bereit, ihre Brieftaschen zu öffnen. Ab und zu schien eher der Zufall als die Qualität zu entscheiden, wenn es um die Bewertung von Kunst ging.

Ein gotländischer Sammler war hin und weg und hatte sich sofort drei Werke gesichert. Das reichte, um die anderen zu inspirieren, und zwei Bilder wurden regelrecht versteigert. Der Preis wurde um einiges nach oben gedrückt. In Gedanken rieb Egon Wallin sich die Hände. Jetzt lag auch der Rest des Landes dem Künstler zu Füßen.

Der einzige Schierlingstropfen im Freudenbecher war, dass der, auf den er wartete, noch immer nicht gekommen war.

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

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