Читать книгу Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 14

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Erik Sohlmans erste kriminaltechnische Untersuchung des Leichnams sprach eine deutliche Sprache. Alles wies daraufhin, dass Egon Wallin ermordet worden war. Knutas rief sofort seine engsten Mitarbeiter zu einer Mittagsbesprechung. Die Ermittlungsleitung bestand neben Knutas aus vier weiteren Personen: dem Pressesprecher und stellvertretenden Kriminalchef Lars Norrby, der Kriminalinspektorin Karin Jacobsson und dem Kriminalinspektor Thomas Wittberg. Nur Sohlman fehlte, er war noch immer am Fundort und wartete dort auf den Gerichtsmediziner. Neben der Ermittlungsleitung nahm noch der erfahrene Staatsanwalt Birger Smittenberg an der Besprechung teil.

Knutas drängte darauf, so schnell wie möglich an allen Fronten tätig zu werden – die ersten vierundzwanzig Stunden nach einem Mord waren entscheidend.

Irgendwer hatte genügend Weitblick besessen, um Frikadellenbrötchen und Kaffee zu bestellen. Als alle am Tisch zugelangt hatten, eröffnete Knutas die Besprechung.

»Wir haben es hier mit einem Mord zu tun. Das Opfer ist der Kunsthändler Egon Wallin. Er wurde heute Morgen um Viertel vor sieben von einer Frau gefunden, die sich auf dem Weg zur Arbeit befand. Wie sicher alle schon wissen, hing er ganz offen in der Dalmansport. Die Verletzungen an seinem Hals zeigen, dass Egon Wallin ermordet worden ist. Erik ist auf dem Weg hierher und kann mehr erzählen. Der Gerichtsmediziner ist soeben aus Stockholm gekommen und befindet sich vor Ort.«

»Das ist doch Wahnsinn, schon wieder so eine aufgehängte Leiche wie im Sommer«, rief Thomas Wittberg. »Was ist hier eigentlich los?«

»Ja, das ist seltsam«, stimmte Knutas zu. »Aber Egon Wallin scheint zumindest keinem Ritualmord zum Opfer gefallen zu sein. Die Zeugin, die den Toten gefunden hat, wird gerade vernommen«, fügte er hinzu. »Sie wurde zuerst ins Krankenhaus gebracht, wo sie untersucht wurde und ein Beruhigungsmittel bekam. Natürlich war das ein arger Schock für sie.«

Knutas sprang auf und deutete mit einem Kugelschreiber auf eine Karte, die ganz vorn im Raum hing. Sie zeigte die Ostseite der Mauer: die Dalmansport und die Grünflächen von Östergravar.

»Wir haben ganz Östergravar am Kung Magnus väg von Österport bis Norderport abgesperrt. Diese Absperrung werden wir auf unbestimmte Zeit beibehalten, bis alle Spuren gesichert sind. Auf der Innenseite der Mauer haben wir ein Stück von Norra Murgatan und Uddens gränd dicht beim Tor abgesperrt, aber diesen Bereich werden wir wohl bald wieder freigeben müssen. Nicht, dass da oben auf Klinten viel Verkehr ist, aber trotzdem. Das ist also das Gebiet, auf das die Techniker sich in erster Linie konzentrieren. Und der Täter müsste eigentlich aus dieser Richtung gekommen sein.«

»Warum das?«, fragte Karin Jacobsson.

»Weil Sohlman meint, dass er vermutlich nicht an der Dalmansport ermordet worden ist, der Leichnam wurde dorthin gebracht.«

»Wie kann er das so schnell wissen?«

Wittberg riss seine großen blauen Augen auf.

»Frag mich nicht. Er hat nur gesagt, dass Mord- und Fundstätte vermutlich nicht identisch sind. Und wenn der Täter – oder die Täter – Wallin anderswo umgebracht haben, dann müssten sie eigentlich ein Auto gehabt haben. Ich glaube kaum, dass sie durch Östergravar gefahren sind.«

»Gibt es irgendwelche Zeugen?«, fragte Birger Smittenberg. »Hat denn in den Häusern da draußen niemand etwas gehört oder gesehen? Das Tor liegt doch mitten im Wohngebiet.«

»Die Anwohnerbefragung läuft schon, und wir können nur hoffen, dass dabei etwas herauskommt. Bei der Dalmansport gibt es allerdings nur ein einziges Haus mit Fenstern, von denen aus das Tor zu sehen ist. Die Stelle ist sehr gut ausgesucht – wenn man mitten in der Stadt seine Ruhe haben will. Wenn man dann auch noch nachts zuschlägt, kann man mit etwas Glück völlig ungesehen entkommen.«

»Aber trotzdem«, wandte Wittberg ein, »es wirkt doch unglaublich riskant. Ich meine, es braucht doch seine Zeit, den Leichnam aus einem Auto zu zerren und ihn auf diese Weise aufzuhängen.«

»Und Muskelkraft«, warf Norrby dazwischen. »Jemanden so hoch zu hieven, das gelingt nicht jedem. Wenn sie nicht zu mehreren waren, meine ich.«

»Egal, wer es war, sie waren vermutlich vorher mehrere Male beim Tor, um Vorbereitungen zu treffen. Wir müssen uns erkundigen, ob dort an den Tagen vor dem Mord jemand gesehen worden ist.«

Knutas nieste laut, und während er sich die Nase putzte, warf der Staatsanwalt eine Frage ein.

»Gibt es denn schon konkrete Spuren?«

Wie auf Bestellung wurde die Tür geöffnet und Erik Sohlman kam herein. Er grüßte kurz. Hungrig streckte er die Hand nach einem Brötchen aus und goss sich eine Tasse Kaffee ein. Knutas beschloss, ihn erst essen zu lassen, ehe er ihn mit Fragen überfiel.

»Was wissen wir eigentlich über das Opfer?« Knutas schaute in seine Papiere. »Also, er heißt Egon Wallin und wurde 1951 geboren, in Visby. Hat sein ganzes Leben hier gewohnt. Verheiratet mit Monika Wallin, zwei erwachsene Kinder, die nicht mehr zu Hause wohnen. Er hatte ein Reihenhaus unten im Snäckgärdsväg. Seine Frau ist über den Todesfall informiert und befindet sich im Krankenhaus. Mit ihr werden wir später sprechen. Wir haben auch die beiden Kinder verständigt, sie wohnen auf dem Festland. Egon Wallin war hier in der Stadt bekannt. Die Galerie führen er und seine Frau seit fünfundzwanzig Jahren. Er hat sie von seinem Vater übernommen, und sie ist in Familienbesitz, seit ich denken kann. Wallin ist nicht vorbestraft. Ich bin ihm im Laufe der Jahre einige Male begegnet, auch wenn ich nicht behaupten kann, wir hätten einander gut gekannt. Verdammt sympathischer Mann, scheint wirklich beliebt gewesen zu sein. Hat irgendwer hier näheren Kontakt zu ihm gehabt?«

Alle schüttelten den Kopf.

Erik Sohlman hatte inzwischen zwei Brötchen vertilgt, deshalb hielt Knutas ihn jetzt für ansprechbar.

»Erik, was kannst du berichten?« Sohlman erhob sich und ging zum Projektor, der mitten im Raum stand. Er gab Smittenberg, der neben der Tür saß, ein Zeichen, das Licht auszumachen.

»Das war also der Anblick, der sich Siv Eriksson heute Morgen bot, als sie zur Arbeit ging. Sie kam über den Fußweg vom Kung Magnus väg und entdeckte den Leichnam, der in der Toröffnung hing. Egon Wallin war angezogen, aber er hatte weder Brieftasche noch Telefon bei sich. Seine Kleidung schicken wir heute noch zur Analyse ins Labor. Ein Halstuch wurde unter dem Leichnam gefunden. Wir wissen nicht, ob es dem Opfer gehörte, aber auch das wird natürlich ins Labor geschickt.«

Sohlman zeigte Bilder des Leichnams aus unterschiedlichen Perspektiven.

»Ich habe ihn nur vorläufig untersucht, aber ich bin ausnahmsweise einmal fast sicher, dass es sich um Mord handelt. Und zwar wegen der Verletzungen am Hals. Als wir den Leichnam heruntergenommen haben, konnte ich ihn mir genauer ansehen, und offenbar ist er nicht durch Erhängen gestorben.«

Er legte eine Kunstpause ein und trank einen Schluck Kaffee. Alle am Tisch lauschten gespannt.

Sohlman zeigte mit einem Kugelschreiber auf das Bild.

»Wallin hat deutliche Verletzungen, die nichts mit der Schlinge um seinen Hals zu tun haben. Die beiden millimeterdicken parallelen Kerben, die ihr hier seht, ziehen sich um den ganzen Hals, unmittelbar über dem Kehlkopf. Die Kerben zeigen, dass er von hinten mit einem scharfen dünnen Draht erwürgt worden ist, mit einer Klaviersaite oder so etwas. Entweder war der Täter unsicher, ob sein Opfer wirklich tot war, oder Egon Wallin hat sich gewehrt und der Täter musste noch einmal zulangen – deshalb die beiden parallelen Spuren. In den Kerben gibt es Verletzungen, die darauf hinweisen, dass der Draht seinen Tod verursacht hat. Außerdem seht ihr hier die dickere Kerbe, die vermutlich von dem Seil stammt, an dem Wallin aufgehängt wurde. Es gibt keine Blutungen und Verfärbungen. Seht ihr, die Furche ist gelbbraun eingetrocknet und ein wenig pergamenthaft. Das kann andeuten, dass er schon tot war, als er aufgehängt wurde. Sonst würden die Verletzungen ganz anders aussehen.«

Nun wurden mehrere Bilder vom Gesicht des Opfers gezeigt. Knutas wich instinktiv zurück. Opfer, die er kannte und gern mochte, waren immer die schlimmsten. Er brachte es dann einfach nicht über sich, seine Gefühle auszuschalten.

Sohlman schien das mit links zu machen. Er stand mit seiner braunen Cordjacke und seinem roten, ungebärdigen Schopf neben dem Projektor und erzählte mit ruhiger, angenehmer Stimme von dieser entsetzlichen Tat. Ab und zu trank er einen Schluck Kaffee, entspannt, als ob er hier Urlaubsbilder vorführte. Knutas würde nie verstehen, wie Sohlman das schaffte.

Er warf einen raschen Blick auf Karin. Sie war kreideweiß im Gesicht. Knutas war von Mitgefühl erfüllt, er wusste, wie sie mit sich kämpfte. Die Bilder des Opfers gingen auch ihm nahe. Egon Wallins Gesicht war rot, die Augen offen. Auf der Stirn hatte er eine Wunde und eine Beule, seine Wange war zerschrammt. Knutas fragte sich, ob er diese Wunden davongetragen hatte, als er um sein Leben kämpfte. Als ob Erik Sohlman seine Gedanken lesen könnte, sagte dieser jetzt:

»Die Verletzungen im Gesicht bringen alles durcheinander. Ich begreife nicht, woher er sie hat. Natürlich kann man nicht ausschließen, dass sie beim Aufhängen entstanden sind, aber das wirkt seltsam. Und die Wunden am Hals deuten darauf hin, dass er hinterrücks überfallen worden ist. Aber diese Blessuren im Gesicht zu deuten überlasse ich gern der Gerichtsmedizin. Die müssen schließlich auch etwas zu tun haben.«

Sohlman grinste.

»Wie lange ist er schon tot?«, fragte Karin, die langsam ihre normale Gesichtsfarbe zurückgewann.

»Schwer zu sagen. Von der Körpertemperatur her würde ich auf mindestens sechs Stunden tippen. Aber das ist wie gesagt nur geraten, ihr müsst auf den vorläufigen Obduktionsbericht warten.«

»Wie sieht es sonst mit Spuren aus?«, fragte Knutas.

»Im Tor haben wir kaum etwas Interessantes gefunden, ein paar Kippen und Kaugummi, aber die können doch schon länger dort gelegen haben. Es gibt frische Wagenspuren bis zum Tor und auch Schuhabdrücke. Aber in Östergravar wimmelt es natürlich nur so von Fußspuren. Wir haben mit Hunden gesucht, aber dabei ist noch nichts herausgekommen.«

»Kann es sich einfach um einen schlichten Raubüberfall handeln?« Wittberg schaute seine Kollegen fragend an.

»Auch wenn der Täter einfach durchgedreht ist und deshalb sein Opfer erschlagen hat – warum hätte er sich die Mühe machen sollen, ihn im Tor aufzuhängen?«, fragte Karin skeptisch. »Das kommt mir total unwahrscheinlich vor.«

Sohlman räusperte sich.

»Wenn sonst nichts mehr ist, möchte ich gern wieder hin.«

Er schaltete den Projektor aus, knipste das Licht an und verließ dann das Zimmer.

Knutas blickte fragend in die verbliebene Runde.

»Die Motivfrage lassen wir erst einmal beiseite. Es ist viel zu früh, um darüber Spekulationen anzustellen. Was wir sofort angehen müssen, ist, uns einen Überblick über Egon Wallins Leben zu verschaffen, über seine Geschäfte, seine Angestellten, Nachbarn, Freunde, Verwandten, seine Vergangenheit – alles. Das können Karin und Thomas übernehmen. Lars, du kümmerst dich um die Presse – die Journalisten werden uns wie die Habichte überwachen. Dass das Opfer auf diese Weise aufgehängt worden ist, macht die Sache ja nicht besser. Ihr wisst ja, wie die Zeitungsschmierer Sensationen lieben – sie werden sich darin suhlen.«

»Sollten wir nicht schon heute eine Pressekonferenz abhalten?«, schlug Lars Norrby vor. »Sonst sitzen wir doch nur am Telefon. Und alle wollen schließlich dasselbe wissen.«

»Das finde ich ein bisschen zu früh«, wandte Knutas ein. »Reicht nicht erst mal eine Pressemeldung?«

Knutas verabscheute Pressekonferenzen und versuchte, ihnen so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Zugleich verstand er den Standpunkt des Pressesprechers.

»Na ja, das hier scheint ja wohl eine große Sache zu werden. Ich meine, ist es dann nicht besser, gleich alle dazuzuholen?«

»Na gut, wir geben gleich nach dieser Besprechung eine Pressemeldung heraus, in der wir bestätigen, dass es Mord war, und bitten für heute Nachmittag zur Pressekonferenz – in Ordnung?«

Norrby nickte.

»Und dann müssen wir so viel über Wallin und seine Unternehmungen an den Tagen vor dem Mord herausfinden wie möglich. Wen hat er getroffen? Was hat er am Mordtag gemacht? Wer hat ihn zuletzt lebend gesehen? Dieser Mord war geplant.«

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

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