Читать книгу Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 12

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An normalen Sonntagen herrschte Stille in der Redaktion der Regionalnachrichten im Funkhaus auf Gärdet, und an diesem Tag war es nicht anders. Johan Berg saß verkatert und müde an seinem Schreibtisch und überflog lustlos die Tageszeitungen. Absolut nichts passierte. Weder in Stockholm noch auf Gotland oder in Uppsala, den Gegenden, für die die Redaktion zuständig war.

Der gestrige Abend war später und feuchter ausgefallen als geplant. Johan hatte mit seinem besten Freund Andreas, der ebenfalls Journalist war, Bier getrunken. Sie waren im Kvarnen gelandet und blöderweise dann noch mit einigen Kollegen vom Radio auf ein Fest draußen in Hammarbyhöjden gegangen. Erst gegen vier Uhr morgens war Johan über die Schwelle seiner Zweizimmerwohnung in der Heleneborgsgata gestolpert.

Die Redakteurin, eine Vertretung, der er nur begrenztes Vertrauen entgegenbrachte, gab ihm den Rest. Er hatte kaum die Jacke ausgezogen, als sie auch schon enthusiastisch ein hoffnungsloses Thema nach dem anderen vorschlug. Sie schien nervös zu sein und nach jedem Strohhalm zu greifen. Herrgott, sie hatten noch zehn Stunden, ehe es Zeit für die armselige Fünfminutensendung wurde, die sie sonntags liefern mussten. Und außerdem hatten sie eine vorproduzierte Reportage. Reg dich ab, verdammt noch mal, dachte er sauer. Ihr bloßer Anblick machte ihn müde. Sie war auch die Programmleiterin, und deshalb außer ihm die Einzige in der Redaktion. Sonntags waren die Mittel so knapp bemessen, dass ein und dieselbe Person die Redaktion und das Programm betreuen musste.

Er ließ sich an seinem Schreibtisch nieder und sah sich die verschiedenen Pressemeldungen an, die während des Wochenendes bei der Redaktion eingelaufen waren. Fünfundneunzig Prozent informierten über Events in der Stadt, vom Schlagerstar Markoolio, der das neue Tumba-Zentrus einweihen sollte, bis zum Klöppelkurs im Freilichtmuseum und dem Meerschweinchenrennen in Sollentuna.

Etwas, was er verabscheute, waren die speziellen »Tage«, die in den letzten Jahren erfunden worden waren. Zuerst hatte es den Tag des Kindes und den Tag des Buches und den Frauentag gegeben, und das war sicher in Ordnung – aber jetzt wimmelte es nur so von Tagen, die gefeiert werden sollten, Zimtbrötchen, Tretauto, Vorort, und dieser Sonntag war offenbar der Tag des Fausthandschuhs. Wozu das Ganze – sollte alle Welt mit selbst gestrickten Fäustlingen durch die Gegend laufen, mit den Händen fuchteln und sich freuen? Würden Gebäck in Form von Handschuhen verkauft und Strickanleitungen getauscht werden?

Er hatte fast Lust, darüber zu berichten, einfach, weil alles so blöd war.

Die übrigen Pressemitteilungen handelten entweder von Leuten, die mit dem öffentlichen Nahverkehr unzufrieden waren, oder von obskuren kleinen Aktionsgruppen, die gegen alles Mögliche protestierten, einen gefährlichen Schulweg in Gimo, einen von der Schließung bedrohten Kindergarten in Vaxholm oder zu lange Wartezeiten am Telefon der Versicherungskasse in Salem.

Johan schüttelte den Kopf, während er eine Pressemitteilung nach der anderen in den Papierkorb warf.

Der diensthabende Kameramann ließ sich mit einer Tasse Kaffee nieder, und sie jammerten eine Zeit lang um die Wette, weil es nichts Sinnvolles zu tun gab. Hier und da spürte Johan den auffordernden Blick der Redakteurin, aber er beschloss, sie zu ignorieren. Wenigstens für eine kleine Weile.

Er versuchte mehrmals, Emma anzurufen, aber bei ihr war immer besetzt. Wieso kann sie so lange telefonieren, sie muss sich doch um Elin kümmern, dachte er gereizt. Zugleich machte sich die vertraute Sehnsucht bemerkbar. Seine Tochter war acht Monate alt, und noch immer sah er sie nur selten.

Er legte auf und schaute zum Redaktionspult hinüber, wo die Redakteurin alle Polizeiwachen im Bezirk anrief, um zu fragen, ob irgendwo etwas Berichtenswertes passiert sei.

Sein schlechtes Gewissen nahm überhand, und er sah ein, dass er sich zusammenreißen musste. Es war nicht ihr Fehler, dass er übernächtigt war. Oder dass Sonntage hoffnungslose Nachrichtentage waren.

Vielleicht konnte er mithilfe seiner guten Beziehungen bei der Polizei etwas herausbekommen, das sich mit etwas gutem Willen zu einer Nachricht umformen lassen würde. Jedenfalls zu einer Sonntagsnachricht.

Er wollte schon das Telefon auf seinem überladenen Schreibtisch packen, als sein Mobiltelefon klingelte.

Sofort erkannte er die eifrige Stimme der Fotografin Pia Lilja. Mit ihr arbeitete er jetzt auf Gotland meistens zusammen.

»Hast du es schon gehört?«, keuchte sie aufgeregt.

»Nein, was denn?«

»Heute Morgen ist ein Toter entdeckt worden, der in einem Tor in der Stadtmauer aufgehängt war.«

»Du machst Witze?«

»Nein, verdammt, das ist wahr.«

»War es Selbstmord?«

»Keine Ahnung, aber das werde ich herauskriegen. Ich muss auflegen, Irgendwas läuft hier gerade.«

»Okay, Ruf an, sowie du mehr weißt.«

»Sicher. Ciao.«

Johan wählte die Nummer von Kriminalkommissar Anders Knutas, der ebenfalls außer Atem zu sein schien.

»Hallo, hier ist Johan Berg.«

»Lange nicht mehr gesehen. Arbeitest du jetzt wieder?«

»Hallo, wie oft siehst du dir die Regionalnachrichten an? Ich bin schon seit Wochen wieder da.«

»Schön zu hören, dass du auf den Beinen bist, meine ich. Nicht, dass du wieder arbeitest.«

Johan grinste.

Er war mehrere Monate lang krankgeschrieben gewesen, nachdem er bei der Mörderjagd des vergangenen Sommers eine Stichwunde abbekommen hatte. Die Lage war wirklich ernst gewesen. Knutas hatte ihn einige Male im Krankenhaus besucht, aber jetzt hatten sie schon lange nicht mehr miteinander gesprochen.

»Was ist passiert?«

»Wir haben heute Morgen einen Toten gefunden, der in der Dalmansport hing.«

»War das Mord?«

»Keine Ahnung. Das muss der Gerichtsmediziner feststellen.«

»Es gibt also keine Anzeichen für Mord?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Nein, aber komm schon, Knutas. Du kennst meine Situation, ich sitze doch in Stockholm. Ich muss wissen, ob es sich lohnt, rüberzufliegen oder nicht. In welche Richtung ermittelt ihr? Mord oder Selbstmord?«

»Leider kann ich diese Frage noch nicht beantworten.«

Knutas’ Stimme klang ein wenig sanfter.

»Wisst ihr, wer der Tote ist?«

Kurzes Zögern.

»Ja, aber er ist noch nicht offiziell identifiziert worden. Du verstehst sicher, dass wir den Namen nicht nennen können. Seine Angehörigen sind noch nicht informiert.«

Knutas keuchte in den Hörer. Johan hörte, wie er sich beim Sprechen vorbeugte.

»Wie alt ist er?«

»Mittleren Alters, so viel kann ich sagen. Du, ich muss jetzt aufhören. Wir geben nachher eine Pressemitteilung heraus. Hier sind viele neugierige Journalisten.«

»Wann weißt du mehr?«

»Ich nehme an, dass wir frühestens gegen Mittag eine vorläufige Antwort haben können.«

»Dann melde ich mich wieder.«

»Tu das.«

Johan zog eine Grimasse, als er auflegte. Es war ungeheuer frustrierend, nicht entscheiden zu können, ob der Fall die Reise wert war, und außerdem daran erinnert zu werden, wie weit er ins Hintertreffen geraten würde, wenn es sich wirklich um Mord handelte. Dann würden seine Kollegen auf Gotland natürlich einen riesigen Vorsprung haben.

Seit Jahren setzte er sich dafür ein, auf Gotland einen festen Reporterdienst einzurichten, bisher war er aber nicht weiter gekommen. Er fand es unglaublich, dass die Chefs nicht einsehen konnten, dass ein festes Reportageteam gebraucht wurde. Die Insel war relativ groß. Die Einwohnerzahl näherte sich den sechzigtausend. Zugleich entwickelte die Insel sich, die Hochschule blühte ebenso wie das Kunst- und Kulturleben. Gotland war nicht nur ein Ort, der im Sommer auflebte, wenn hunderttausende von Touristen auf die Insel drängten.

Einige Minuten später tauchte das TT-Telegramm auf dem Bildschirm auf.

TT (Stockholm)

Ein Mann wurde am Sonntagmorgen um kurz vor sieben auf Gotland tot aufgefunden. Der Mann hing in der Dalmansport in der Visbyer Stadtmauer.

Seine Identität konnte noch nicht festgestellt werden. Die Polizei schließt ein Verbrechen nicht aus.

Sicherheitshalber buchte Johan einen Platz im nächsten Flug nach Visby. Jetzt musste er schnell handeln. Wenn es sich wirklich um Mord handelte, musste er sofort losfahren. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen, das Adrenalin übernahm die Regie, wenn so etwas passierte. Wenn es Mord wäre, würden alle schwedischen Fernsehnachrichten darüber berichten, davon war er überzeugt. Eine in Visbys idyllischer Stadtmauer aufgehängte Leiche. Oh verdammt.

Sollte der Mann im Stadttor ermordet worden sein, würde er früher als geplant nach Gotland fahren und Emma und Elin wiedersehen. Insgeheim hoffte er darauf.

Schon bald kam der Redakteur der landesweiten Nachrichten hereingestürzt und wollte wissen, was die Regionalnachrichten zu tun gedächten.

Johan konnte nicht antworten, denn nun klingelte das Telefon wieder.

Es war Pia Lilja.

»Ich bin fast sicher, dass es Mord ist, Johan. Also mach dich lieber gleich auf den Weg.«

»Warum glaubst du das?«

»Herrgott, ich seh doch, wie es hier aussieht. Er hängt in einer Schlinge an einer Art Gitter oben im Tor – und die Dalmansport ist verdammt hoch. Die Öffnung allein ist mindestens fünf Meter breit. Es ist unmöglich, allein da hochzuklettern. Außerdem hat die Polizei einen weiten Bereich abgesperrt. Das tun sie doch nicht, wenn kein Verbrechen vorliegt?«

»Okay«, sagte er aufgeregt. »Was hast du für Material? Hast du schon jemanden interviewt?«

»Nein, die Polizei sagt kein Wort. Zu niemandem, wenn das ein Trost ist. Aber ich habe gute Bilder machen können. Ich war auf der anderen Seite der Mauer, ehe da abgesperrt wurde, und habe den Leichnam in einem sauguten Winkel aufgenommen, ehe sie ihn runtergeholt haben. Ganz schön makaberer Anblick. Ich glaube, außer uns hat den niemand.«

»Ja, dann ist die Sache ja wohl klar. Bis nachher.«

Im Dunkeln der Tod - Ein Schweden-Krimi

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