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Die Verlockung des schwarzen Vinyls

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„Kann ich mal in die Neue von Jefferson Airplane reinhören?”, bat Carl, und der Verkäufer zog ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter.

„Das ist jetzt schon die fünfte Platte, wollt ihr euch nur bei mir aufwärmen oder auch was kaufen?”, beschwerte sich der Mann und reichte die schwarze Vinylscheibe über den Ladentisch.

Der Laden nannte sich nach dem Produkt, das er verkaufte: Die Schallplatte. Verkaufen, nicht kostenlos hören. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, und der war im Voraus schwer abzuschätzen, hatte die Geduld des verständigsten Verkäufers ein Ende.

„Ich kann mich heute nicht entscheiden“, entschuldigte sich Carl und eilte zum nächsten freien Plattenspieler.

Horst stand Carl direkt gegenüber, zwischen ihnen lag verlockende Musik, gepresst und für die Ewigkeit konserviert auf Vinyl, Buchstabe K wie Kinks bis Buchstabe S wie Small Faces.

Carls bester Freund war ebenfalls 16. Er wirkte ständig gehetzt, so als sei er vor irgendetwas auf der Flucht. Ein Eindruck, der durch sein großes Körpermaß und den zerzausten Haaren verstärkt wurde. Mit diesen dickgepolsterten Kopfhörern auf dem Kopf sah Horst aus wie Charlie Watts im Tonstudio.

Horst spielte meist die progressiven Sachen: Cream, Doors, Fairport Convention und so Zeugs, permanent auf der Suche nach neuen Klängen.

„Ey, Alter, das gibts doch nicht, das Album musst du dir unbedingt reinziehen”, rief Horst verzückt, und zwar in einer Lautstärke, als sei Carl taub. Dabei wippte sein Kopf weiter im Takt der Musik auf und ab wie die Bohrpumpe eines Förderturmes. „Ich sag dir, das macht dich fertig“, setzte er nach.

Ein Dutzend Köpfe drehten sich gleichzeitig und vorwurfsvoll in Horsts Richtung. Grinsend zeigte ihnen Carl die zum V gespreizten Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand, das Zeichen für Victory. Der Hippiegruß, der symbolisch für Love & Peace stand, hatte sich inzwischen bei ihnen eingebürgert. Unter Gleichgesinnten gehörte er zum gängigen Begrüßungsritual, und wenn ihnen danach war, beglückten sie auch Spießer mit diesem Gruß.

Carl gab Horst zu verstehen, die Kopfhörer abzunehmen, mit diesen Dingern auf dem Kopf spricht keiner in Normallautstärke. Das hätten die Heinis, die verständnislos ihre Köpfe schüttelten wie diese dämlichen Wackeldackel, wissen müssen.

Die weibliche Angestellte hinter der Ladentheke lächelte Carl verschmitzt an. Süß, die Kleine, mit frechem Pagenkopf. Carl warf ihr einen Handkuss rüber und sie antwortete mit einem vergnügten Augenzwinkern.

Was Horst so in Verzückung versetzte? Eine Platte von Iron Butterfley: In-a-gadda-da-vida. Das Album enthielt auf der zweiten Seite nur ein einziges Musikstück von über siebzehn Minuten Länge. Das war vollkommen neu. Bislang betrug die Spieldauer der Titel in der Regel nicht mehr als drei bis vier Minuten. Neu war auch dieses blitzsaubere und bis dahin in seiner Länge ebenfalls ungewöhnliche Schlagzeugsolo im Mittelteil der Komposition. Es rief bei Carl eine Gänsehaut hervor. Die Nackenhaare stellten sich auf. Ganze drei Minuten flattern die Beats durch den Stereoraum. Mitten durch deinen Leib.

Carl kaufte das Album nicht. Warum? Weil die andere Plattenseite aus lauter musikalischem Füllmaterial bestand. Zwanzig Eier für eine halbe Platte? Und dieser lächerliche Text ... In-a-gadda-da-vida hieß nichts anderes als: Im Garten des Lebens. Vielleicht konnte es auch noch anders übersetzt werden. Im Garten Eden, das war auch eine Möglichkeit.

Es nutzte recht wenig, dass der Plattenverkäufer nachhaltig beteuerte, es handele sich um rare Importware aus Amerika, in Deutschland praktisch nicht erhältlich. Und außerdem sei das Stück in den Staaten zum Diskothekenhit Nummer Eins avanciert. Drogenrock nenne sich diese neue psychedelisch angehauchte Musikrichtung.

Carl hatte seine Entscheidung längst für sich gefällt, anstelle von Iron Butterfley wanderte an diesem Tag Ssssh. von Ten Years After in sein privates Plattenregal.

Horst hatte sich für Cream entschieden.

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