Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 10

2

Оглавление

Entzückt reagierte hingegen auch ein Dominikanermönch auf den Aufruhr am Nordkai. Der Tumult lenkte alle Aufmerksamkeit von der niederländischen Koef im Domhafen ab, auf der er einen Jakobspilger entdeckt hatte. Angewidert musterte er das schmächtige Männlein von unten.

Gleich fünf Muscheln prangten am Hut dieses Berufspilgers und Reliquienhändlers. Die Jakobsmuscheln waren Beweis und Werbung für seine Wallfahrten zum spanischen Grab des Apostels. Reiche Kölner Sünder mieteten ihn als Stellvertreter, wenn sie keine Zeit oder Lust auf die monatelange Bußreise hatten. So wie der Kaufmann Claas van Berck. Pilgern gegen Bezahlung war ein einträgliches Geschäft.

Der dünne Mann umklammerte einen Holzstab und rückte den Ledersack zurecht, dessen Gewicht seine Schultern herabdrückte. Sein Fuchsgesicht schillerte bleich. Man sah ihm an, dass er das schaukelnde Schiff zu verlassen wünschte. Doch das Entladen der Fracht ging vor.

In den hölzernen Antriebsrädern der Lastkräne schwitzten die Antreter beim Schein von Pechfackeln. Fuhrknechte rollten Schubkarren mit Süßweinfässchen die Planke herab. Lastträger schulterten Tuchballen aus Flandern und Gewürzsäcke aus dem Orient, die über Antwerpen ihren Weg nach Köln und auf die Pfingstmärkte fanden.

Der hochgewachsene Dominikaner sog die Wohlgerüche ein, die seine Nase über den brackigen Gestank des Flusses und die Ausdünstungen der Arbeiter hinwegtrösteten. Er schlug seine weiße Kapuze zurück und enthüllte das scharfgeschnittene Gesicht eines Adligen. Der Olivton seiner Haut stand in anziehendem Kontrast zu den quecksilberhellen Augen und der blonden Tonsur. Sein Äußeres verriet, dass sich in seinen Adern südländisches und deutsches Blut mischten. Mit einem leichten Hinken betrat der Mönch die Planke.

Die Lastträger wagten nicht, ihm den Weg an Bord zu verwehren. Einige Niederländer schlugen das Kreuz. Schließlich galt ihr Land als Hort heimlicher Lutherfreunde und Wiedertäufer. Jeder niederländische Bürger stand unter Generalverdacht bei den domini canes, den Hunden des Herrn, wie die Dominikaner als Vertreter der Heiligen Inquisition im Volk hießen.

Als der Mönch an Deck trat, durchfuhr den Pilger ein Zittern. Dann entschied er sich für die Flucht nach vorn. »Sei gegrüßt, Bruder in Christo, von einem Pilger in der Nachfolge Jesu, nostre segnor«, schnarrte er mit dem Akzent seiner nordspanischen Heimat.

Der Dominikaner lächelte sanft, doch seine silbrigen Augen waren kalt wie Eis. »Buenos dias, Senor Riba«, erwiderte er schneidend.

»Woher weißt du meinen Namen?«, flüsterte der Pilger und bemerkte zu spät, dass er sich mit dieser Frage dem Ketzerjäger ausgeliefert hatte.

»Man weiß so einiges über dich und deine Geschäfte«, erwiderte der Mönch in hartem Kastilisch. »Mein Name ist Aleander, und ich reise im Auftrag der Heiligen Inquisition von Santiago de Compostela, deren Hauptankläger ich bin.«

Die Gesichtsfarbe des Pilgers nahm einen grünlichen Ton an; er sah sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Es gab keine. Gottergeben ließ er sich von dem Dominikaner an die flusswärtige Seite des Decks führen. Hier waren sie allein. Stumm betend hoffte der Pilger, dass er sich freikaufen konnte. Es sollte sein letztes Gebet sein.

Der Rhein schluckte ihn lautlos. Das Blut seiner durchschnittenen Kehle mischte sich mit dem schwarzen Wasser. Das Sterbegebet, das der Inquisitor der Leiche nachschickte, wäre dem Pilger kein Trost gewesen.

Sein Geld fand ebenso den Weg in die Taschen des Kuttenträgers wie einige Briefe an Claas van Berck und eine Spielkarte, die seinem Mörder ein Grinsen entlockte. Sie zeigte einen heidnischen Streitwagen, auf dem ein mit Halbmonden beflügelter Heros in die Welt aufbrach. Gezogen – welch ekler Frevel – von einer weißen und einer schwarzen Sphinx, die wohl Engel der Rache und des Friedens imitieren sollten. Aleander wusste, von wem diese verbotene Karte stammte. Er drehte sie in seinen Fingern und fand auf der Rückseite die ungelenke Signatur eines Kindes, die seine Vermutung bestätigte: Lunetta.

Mit dieser Plage würde er sich noch befassen müssen. Vor einem Karten legenden Kind hatte er ebenso wenig Angst wie vor einem Rächer auf einem Streitwagen. Wer glaubte schon an heidnische Prophezeiungen? Er ließ die Karte in seiner Kutte verschwinden.

Die polierten Schweinezähne und vergoldeten Lammknochen, die dem Pilger in Köln ein hübsches Sümmchen als Reliquien von Märtyrern eingebracht hätten, warf der Dominikaner in den Fluss. Mit solchem Mummenschanz gab er sich nicht ab, ihm winkte ein größeres Vermögen. Das Vermögen des Kaufmanns Claas van Berck. Ein Vermögen, dessen Erwerb mit einem einzigartigen Vergnügen verbunden sein würde: der Verführung der Tochter Sidonia, die so anziehend wie töricht war.

Aleander hatte das Mädchen wochenlang beobachtet und kannte ihr hitziges Temperament, das alle van Bercks kennzeichnete. Die Zeit war reif, die Schlinge, die er um ihren Hals und den ihrer Familie gelegt hatte, zuzuziehen. Mit teuflischer Freude ließ er den blutigen Dolch auf das Schiffsdeck fallen. Der Dolch trug das Wappen des Waffenhändlers van Berck.

Mondlicht glänzte auf der Klinge und gab dem Mönch eine noch herrlichere Idee ein. Er zog die Spielkarte wieder aus der Kutte hervor, spießte sie auf den Dolch und rammte beides in die Decksbohlen. Was für ein hübscher Fall von Ketzerei sich daraus konstruieren ließ! Fürwahr, der Herr war sein Hirte, weidete ihn auf grünen Auen und hatte ihn mit einem überlegenen Verstand gesegnet.

Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band

Подняться наверх