Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 21

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Die Magd öffnete auf Sidonias Geheiß einen Spaltbreit die Tür und unterbrach das Flüstern. »Ihr könnt nicht hinein, junger Herr, Eure Schwester nimmt ein Bad!« Lambert schob sich an der Magd vorbei und zog die Tür hinter sich zu.

»Gerettet«, rief er, als Lunetta prustend aus dem Wasser hochkam. »Wer ist das?«

Sidonia schlang einen Arm um das Kind. »Ein spanisches Gauklermädchen, das heute bei unserem Fest auftreten wird.«

»Du badest mit einem Bettlermädchen, also wirklich! Was, wenn sie eine Pest am Leib hat? Außerdem ist es schamlos.«

»Spar dir deine Tadel, sie ist kerngesund, sagt der Arzt. Was hast du wieder angestellt, dass Vater so brüllt?«

Der Schlaks grinste dumm. Sidonia schäumte einen Brocken Rindergallenseife auf und verteilte sie in Lunettas Haar.

»Wenn du es mir nicht verrätst, rufe ich Vater.«

Lambert ließ sich auf die Decken ihres Pfostenbettes fallen, das die Magd eben mit Korianderwasser gegen den Besuch von Flöhen imprägnierte. »Du bist eine Erpresserin«, maulte Lambert, »schick erst dein neues Spielzeug und Tringin fort.«

»Das Mädchen ist kein Spielzeug, Lambert. Außerdem ist sie stumm, sie kann keine Geheimnisse verraten. Sicher versteht sie nicht einmal unsere Sprache.«

Lunetta senkte den Blick.

Drohend trat die Magd Tringin ans Bett heran. »Geht, Herr Lambert. Ich muss Sidonia beim Ankleiden für das abendliche Fest helfen.«

»Das kann ich doch tun, geh du«, scherzte Lambert.

Tringin sog entsetzt die Luft ein. »Es schickt sich nicht, dass Ihr allein mit der Schwester auf der Mädchenkammer seid.«

Lambert schüttelte den Kopf. »Ts, ts, ts, Tringin, was für schmutzige Gedanken du in deinem Kopf hast! Könnte das daran liegen, dass du nachts allein mit unserem Vater auf seiner Schlafkammer bleibst, damit er dir beim Entkleiden hilft?«

Spielerisch haschte er nach den Röcken der Magd, ließ eine Hand darunter fahren und zwickte Tringin in den Schenkel. Die Magd sprang zur Seite, schüttete ihm das Korianderwasser über den Kopf und floh aus dem Zimmer. Lambert schüttelte sich. »Womit hab ich das wieder verdient! Ich hab zurzeit keine Flöhe.«

Sidonia strich Lunetta das nasse Haar aus der Stirn, dann ließ sie sich in die Wanne sinken.

»Du hast eine Maulschelle verdient, Lambert. Du weißt genau, dass Tringin kaum nein sagen kann, wenn Vater seine Lust an ihr stillen will.«

Lambert spielte mit den Fransen des Bettvorhangs. »Alles Heuchelei. Tringin gefällt doch, was Vater mit ihr tut, wie den meisten groben Weibern.«

»Was weißt du Milchbart schon von Frauen!«

»Genug! ›Darum hat das Mädlein ihr Pünzlein, dass es dem Mann ein Heilmittel bringt‹, sagt Luther.«

Sidonia richtete sich in der Wanne auf.

»Nimm den Namen dieses Leuteverführers nicht dauernd in den Mund. Du solltest dich schämen. Und Luther erst recht! Er ist doch Augustinermönch.«

Lambert legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. »Genau darum weiß er alles über verdorbene Menschen.« Würdevoll setzte er sich im Bett auf. »Wie er verabscheue auch ich ungezügelte Wollust. Nur im Stand der Ehe sollten Mann und Weib einander fleischlich erkennen.«

Sidonia unterdrückte mit Mühe ein Lächeln. »Welch löbliche Moral. Ich hoffe nur, Vater gibt Tringin ein paar Stechpfennige für die Nachtdienste.«

»Sidonia! So schamlos darfst du nicht reden, du darfst von diesen Dingen nicht einmal wissen.« Lambert schaute ehrlich entsetzt.

»Dann erwähne derlei Heimlichkeiten nicht vor einer jungen Braut. Und jetzt erzähl, was du verbrochen hast.«

»Leider nichts! Für den Umzug am Nachmittag hab ich für unsere Juristen-Burse eine antikatholische Fahne sticken lassen. Vater muss sie entdeckt haben. Es wäre ein Hauptspaß gewesen, sie durch die Stadt zu tragen. Die Kölner hassen die Heuchelei der Pfaffen. Der Mord an Vaters Reliquienhändler war ein Zeichen!«

Sidonia stand auf, das nasse Badehemd schmiegte sich um ihre Brüste, deren Spitzen keck hervorragten. Lambert errötete und wandte den Blick ab. Lunetta sprang aus der Wanne und schlüpfte in das Narrenkostüm. Sidonia lachte.

»Was bist du nur für ein aufgepusteter Frosch, Bruder! Fasse dich, ich bin bald verheiratet, und du solltest nicht mit Themen spielen, die für ein Bübchen drei Nummern zu groß sind.« Sie wickelte sich in ein Leinentuch, das Lunetta für sie entfaltet hatte, und stieg aus dem Zuber.

Lambert ballte die Fäuste. »Du denkst, du bist mir überlegen, weil du Vaters Liebling bist und seine Heiratspläne erfüllst.«

Sidonias Miene wurde kalt. »Bring dein Studium zum Abschluss, und nimm Anteil an Vaters Geschäften, dann wirst du mich als sein Liebling ersetzen.«

Lambert sprang vom Bett auf.

»Mir sind die Schacherei um Geld und Glanz und sein hohler Glaube ein Gräuel. Peter Fliestedten sagt, dass unter dem Deckmantel des Glaubens die dunkelsten Sünden begangen werden. Fliestedten ...«

»Wer ist Fliestedten?«, fragte Sidonia scharf und zog das Leinentuch eng um ihren Körper.

»Fliestedten ist Student der Theologie. Ein wagemutiger Geist, ein Lutheraner, kein doppelzüngiger Pfaffe.«

»Hat er dich auf die Idee mit der Fahne gebracht?«

»Nein, so was nennt er Humpelwerk. Fliestedten hat größere Pläne, die Köln aus seiner Trägheit aufwecken werden, so wie Wittenberg, Augsburg, Nürnberg ...«

»Vergiss große Pläne, vergiss sie ganz schnell«, warnte Sidonia, während Lunetta ihren Rücken trockenrieb. »Lies deine Bücher über die Halsgerichtsordnung und die Gesetze über das Ketzertum. Der Verdacht evangelischer Umtriebe in einem Kölner Haus genügt, um dem Henkerschwert zu verfallen und sein Vermögen zu verlieren. Treib es nicht zu weit, sonst wird Vaters Einfluss nicht reichen, um dich zu retten.«

Lunetta unterbrach ihre Bemühungen, stahl sich unbemerkt zur Fensterbank und griff nach ihrem Kartenspiel.

Lambert fluchte. »Ich pfeife auf seine Geschäfte und Verbindungen. Es muss Schluss sein mit der falschen Religion. Wo bleibt die christliche Nächstenliebe?«

Sidonia griff nach einem Hornkamm und fuhr sich mit wütenden Strichen durchs Haar. Lunetta hielt ihr einen Spiegel hin.

»Ach, Lambert, eben hast du unter Nächstenliebe verstanden, die Hand unter den Rock einer Magd zu schieben. Geh am Nachmittag zum Schützenfest, und kühle deinen Übermut beim Armbrustschießen auf den Holzvogel, damit kannst du Mädchen beeindrucken.«

Lambert stürmte zur Kammertür. »Du weißt nichts von dem, was mich und meine Gefährten umtreibt. Du bist oberflächlich und eitel. Heirate du nur den Herrn Adrian von Löwenstein.«

Klirrend ließ Lunetta den Spiegel fallen, der in hunderte Scherben zersprang.

Lambert wütete weiter: »Ich werde euch zeigen, was es heißt, furchtlos für Gott zu streiten. Noch heute Abend wird Köln in seinen Grundfesten erschüttert.«

Als sich die Tür hinter ihm schloss, wandte Sidonia sich tadelnd an Lunetta. »Der hübsche Spiegel!«

Das Mädchen stand zitternd vor ihr, ein trauriger Narr, der zwei Karten aus der seidenen Hose zog.

»Ach, Lunetta, wieder der Turm! Und was ist das?« Mit zusammengekniffenen Augen entzifferte sie den Namen der anderen Karte.

»El sumo sacerdote. Ist das eine Art Priester oder Mönch?« Lunetta nickte vage. Sidonia ging nachdenklich zu ihrem Bett, wo sie ein Büchlein entdeckte, das Lambert aus der Tasche gefallen war. Sie schlug es auf und stöhnte.

»Vom Papsttum zu Rom« las sie auf dem Deckblatt, darunter »von Dr. Martin Luther«, gedruckt zu Köln im Jahre des Herrn 1527. Der Drucker hatte darauf verzichtet, sein Zeichen ins Papier zu prägen. Seit acht Jahren herrschte strengste Zensur gegen alle reformatorischen Schriften in der Domstadt. Kölns Universität hatte die Schriften des Wittenberger Mönches als Erste verbrannt. »Papierhenker« und »Gedankenmörder« nannte der Drucker Pirckmann die Bücherwächter, die ihn um gute Verdienste brachten. Doch Luthers Schriften hätte er nicht zu verlegen gewagt. Mit heißen Fingern blätterte Sidonia in den Seiten.

»Der Papst ist ein Sauhirte, seine Worte sind Blendwerk und Teufelsbuhlschaft ... das Papsttum ist noch lange nicht genug zerscholten und zerschrieben!« Sidonia ließ das Buch sinken. Lunetta betrachtete sie aufmerksam.

»Fürwahr«, flüsterte Sidonia, »das würde genügen, um unser Haus einstürzen zu lassen.«

Sie hatte die Gefahr, in die Lambert sich und die Familie brachte, unterschätzt. Sollte der brennende Turm sie warnen?

»Verdammt, ich muss diesen Esel aufhalten.« Heute Abend, hatte Lambert gesagt, würde Köln erschüttert. Sie musste mit dem Vater reden. Zorn stieg in Sidonia hoch.

Längst hätte ihr Bruder in das väterliche Geschäft einsteigen und reisen können, wohin es ihm beliebte. Antwerpen, London, Barcelona – überallhin hatte der Vater Verbindungen. Lambert könnte tätig sein, statt dumpf in Weinstuben zu hocken, wo Narren Reden über die Veränderung der Welt schwangen. Die Welt blieb doch auf ewig gleich, sie war kein Himmelreich, und Glück hatte nur, wer an der Spitze stand – so wie das Haus van Berck. Der Weg dorthin war schwer genug gewesen.

Sie schleuderte das Buch durch das Zimmer. Lambert war ein Taugenichts. Er hatte alle Freiheiten und ein eigenes Leben, sie konnte das ihre nur heiraten, obwohl ihr Verstand weit schärfer als der des Bruders war.

»Gebe Gott, dass Adrian von Löwenstein mir ein aufregendes Schicksal zum Brautgeschenk macht.«

Ein klagender Laut war die Antwort. Sidonia drehte sich zu Lunetta, die mit Tränen in den Augen vor ihrem Bett stand.

»Lunetta! Hast du meine Worte verstanden? Willst du mir etwas sagen? »

Lunetta nickte heftig und deutete immer wieder auf die Karte mit dem Hohepriester.

»Ich weiß, mein Kind, ich muss Lambert vor den Priestern schützen.«

Lunetta deutete mit dem Finger auf Sidonia.

»Ja, gewiss, und mich auch.«

Hatte das Kind böse Erfahrungen mit Kirchendienern gemacht? Rührte daher ihre tiefe Traurigkeit?

»Keine Bange, mir kann kein Mönch etwas anhaben und dir auch nicht, ich passe auf dich auf.«

Sidonia nahm das Mädchen in die Arme. Es benötigte Trost und Zuspruch. Genau wie ich, schoss es Sidonia durch den Kopf. Seltsam, wie verzagt sie die Dummheiten des Bruders machten. Schluss damit. Heute würde sie der Mittelpunkt eines Festes sein, das den Beginn eines neuen Lebens bedeutete. Und endlich, endlich den Ritter sehen.

Einer Eingebung folgend lief sie zur Fensterbank und griff sich den Kartenstapel.

»Zieh mir noch eine Karte, Lunetta, ich will wissen, was mir der heutige Abend bringen wird.«

Widerwillig wählte das Mädchen eine Karte und drehte sie um. Sidonia klatschte in die Hände, als sie ein nacktes Paar erkannte, das Hand in Hand unter einem Engel stand, der segnend die Arme ausbreitete. »Los enamorados! Das heißt ›die Liebenden‹! Ich wusste es, ich wusste es. Ich werde meine Liebe finden! Der Ritter wird mein Herz entflammen.«

Lunetta senkte verwirrt und verzweifelt den Kopf.

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