Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 16
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ОглавлениеSidonia ließ ihre Finger über einen Handschuh aus Schwanenleder gleiten.
»Das ist feinste Ware, mit Hühnermist gegerbt, weich wie Kükenflaum und mit Rosenöl beduftet«, versicherte der Kürschner. Er lehnte im Fenster seiner Werkstatt, vor dem ein Holzladen so hinabgeklappt war, dass er seine Werkstücke zur Straße hin ausstellen konnte.
Sidonia beachtete ihn nicht. Sie beobachtete den Eingang zum spanischen Haus. Sie hoffte, dort einen Bekannten des Vaters zu entdecken, den sie über neue Gäste befragen könnte. Vor der Eingangstreppe standen friesische, flämische und iberische Kaufleute in Grüppchen. Geldwechsler hatten ihre Bänke mit Rechentüchern aufgeschlagen, auf denen sie spanische Real, italienische Scudi oder flämische Gulden gegen rheinische Taler verrechnen und tauschen konnten.
Kurz streifte Sidonias Blick einen Mann mit dunkler Lockenmähne, der die Treppe des Hauses herabsprang. Die Sporen seiner Stiefel klirrten auf dem Stein und verrieten neben der dunklen Kleidung den spanischen Höfling. Seine Rechte umschloss einen Kurzdegen, den er an der Seite trug. Die Pluderhosen waren kurz, die Beinlinge darunter schmiegten sich eng an seine Schenkel, und sein Wams war in kaiserlichem Scharlachrot unterfüttert.
Sidonias Herz klopfte schneller, als ihre Blicke sich trafen. Fast schwarz waren die Augen des Fremden, der sich ohne Interesse abwandte. Konnte das der Ritter Löwenstein sein? Aber nein, tadelte sie sich. Adrian, hieß es, war blond. Blond und deutsch wie sein toter Vater, blond, wie sie es sich wünschte. Ein Siegfried, kein Geringerer. Herrje, wenn sie noch lange warten musste, würde sie sich dem nächsten Gecken an den Hals werfen. Denn ein Geck musste dieser schlanke Degenträger sein. Auf dem Rücken trug er eine zierliche Laute. Nervös griff sie nach einem weiteren Paar Handschuhe.
»Oh, die sind nichts für Euch, das ist grobes Hundeleder«, warnte der Händler laut, weil er glaubte, die Barettträgerin könne ihn bei dem Geschrei der Butter- und Käsehändler nicht verstehen.
Sidonia warf die Handschuhe auf die Ladenklappe zurück und stakste auf hölzernen Stelzenschuhen, die sie zum Schutz gegen den Straßenkot unter ihren Ledersohlen trug, zum Stand eines Lumpenhändlers. Der Handschuhmacher schüttelte den Kopf.
»Hundeleder ist ihr nicht gut genug, aber an Flohpelzen und verwanzten Hemden, die nur für Papiermacher taugen, findet sie Gefallen. Dumme Gans.«
Sidonia gab auf. Die Rathausglocken läuteten bereits zum Mittag. Seit mehr als zwei Stunden lief sie schon auf dem Heumarkt herum. Blieb nur das Rathaus. Dort tummelten sich immer Geschäftsfreunde des Vaters, um die Ansprache des Bürgermeisters zu hören, der Verordnungen gegen freilaufende Schweine und ähnlich nutzlose Beschlüsse zu verkünden hatte.
Sidonia raffte die Röcke und bahnte sich einen Weg zum benachbarten Alter Markt. Im Schatten des Rathausturms tummelten sich Marktleute, Kräuterweiber, Zahn- und Possenreißer. Kiepenkerle boten Pfingstbrezeln und Taubenpasteten feil. Die Luft war gewürzt mit den Gerüchen der Kölner Orient- und Drogenhändler, die im Laubengang unter dem Rathaus ihre Apotheken betrieben. Sidonias Laune besserte sich beim Anblick des Treibens.
Der Marktvogt schritt mit zwei Bütteln durch die Budengassen und kassierte Standgelder. Er prüfte Äpfel auf ihre Bissfestigkeit, erfrischte sich mit Dollbier und lauschte mit halbem Ohr, ob die Marktschreier nicht zu frevlerisch für die Kaufhäuser unter den Ratsarkaden warben.
»Zu Fettes Tünn kommt all gelaufen!
Da gibt es Schmalzkringel und Süßes
Für Kussmäulchen und Leckerschmecker,
nur nicht für Arsch- und Speichellecker.«
Das konnte man durchgehen lassen. Dem Volk gefiel es.
Rund um den Pranger lockten Drecksapotheker mit Wundermitteln von Skorpionöl bis Elefantenschmalz. Andenkenhändler warben für Pfingstkerzen und Heiligenbildchen. Ein Schwertschlucker fesselte Sidonias Aufmerksamkeit, als er auf einem Brunnenrand stehend eine Sarazenerklinge in seinem Schlund versenkte. Der Marktvogt, der unter einem Arkadenbogen Posten bezogen hatte, spendete Beifall, bis ein Mädchen ihn am Arm zupfte. Sidonia erkannte das Kind quer über den Platz – es war Lunetta.
Das Mädchen zog ein aufgerolltes Seil aus ihrem Bündel und erklärte dem Marktvogt mit Gesten ihre Absichten. Immer wieder zeigte es auf eine Gasse zwischen zwei Zunfthäusern, die sich in Sidonias Rücken erhoben. Am Ende nickte der Marktvogt. Lunetta zählte ihm Münzen in die Hand und tauchte in der Menge ab.
Sie flitzte direkt an Sidonia vorbei, doch bevor diese Lunetta aufhalten konnte, war das Kind schon in einer Schenke verschwunden. Sidonia kaufte sich eine Pfingstbrezel und beschloss zu warten. Als neben ihr Köpfe in die Höhe fuhren, schaute auch sie nach oben und hielt den Atem an.
Die kleine Bärenführerin balancierte hoch über dem Markt auf dem Hebearm eines Flaschenzugs, hatte eine Schlinge in ihr Seil geknüpft, holte aus, ließ das Seil kreisen und warf die Schlinge mit Schwung über einen Kranbalken am Nachbarhaus. Mit einem Ruck zog sie die Schlinge fest, straffte das Seil und verknotete das andere Ende an dem Balken, auf dem sie stand. Sidonia klatschte vor Aufregung in die Hände. »Wie wundervoll«, rief sie aus.
»Maldito. Sie wird sich den Hals brechen!«
Sidonia wandte sich um. Hinter ihr stand der spanische Degenträger, den sie kurz für ihren Ritter gehalten hatte. Seine schwarzen Augen glühten vor Zorn. Was für ein arroganter Spaßverderber!