Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 15

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Während im Hause van Berck von einer Liebesheirat geträumt und um Mitgiften geschachert wurde, schärfte der Stadthenker in seiner Hütte an der Schmierstraße Beile und Schwerter. Nach dem Pfingstfest würde er sie gewiss brauchen.

Im vergangenen Jahr hatten sturzbetrunkene Weberknechte nach den Schützenturnieren nachts einen Chorherrn abgekehlt und entmannt. Mit dem bedauernden Kopfschütteln des Fachmanns erinnerte sich der Henker an den zerfleischten Schoß des Kirchendieners und strich über die Klinge des Kurzdolches, den er für Blendungen nutzte. Der Hass auf hurende und prassende Pfaffen war groß und wurde von lutheranischen Heckenpredigern angeheizt.

Diese Umtriebe mussten auch der Grund für den außergewöhnlichen Besuch sein, den er kurz nach acht Uhr in seiner Hütte empfing. Ein Dominikanermönch schlüpfte in den verrußten Raum, der Waffen-, Wohn- und Schlafkammer des Scharfrichters und einer Ziege war. Nur an Hinrichtungstagen und wenn es einem Bürger an Kopf und Kragen ging, stand dem Henker ein Mietshaus beim Heumarkt zur Verfügung.

Der Mönch duckte sich unter dem Strohdach und hielt sich gegen den Gestank den Ärmel seiner Kutte vor die Nase: »Mein Name ist Aleander, ich komme aus Spanien und führe in Köln Untersuchungen im Auftrag der Heiligen Inquisition durch.«

Misstrauisch blickte der Henker von einem Brandeisen auf: »So? Ich muss Euch warnen, Bruder, wie überall spricht auch in Köln niemand öffentlich mit dem Henker.« Das musste ein Kirchendiener doch wissen! Jedem Blutschergen nahm man die Arbeit des Tötens so übel wie dem Schinder das Abdecken von Vieh und dem Abtrittfeger das Ausschöpfen der Kloakegruben. Man rückte in der Schenke von ihm ab, legte sein Brot beim Bäcker mit dem Rücken nach oben, damit kein anderer es versehentlich kaufte, und hütete sich, ihn zu berühren, da dies die eigene Ausgrenzung nach sich zog.

»Ich bin kein Freund des Aberglaubens, sondern des Wissens«, erwiderte der Mönch. »Und ein Mann wie du weiß so einiges über das Gesindel und darüber, welche Gefahren Köln – dieser treuen Tochter der katholischen Kirche – in Zeiten der religiösen Schwärmer droht.«

Der Scharfrichter nickte. Oh ja, er kannte jede Menge Pack, niederes wie gehobenes. Des Nachts schlich sich so mancher zu ihm – von der Bürgersfrau bis zum redlichen Bader –, um sich die Zähne eines Gehenkten oder die Fasern eines Galgenstricks zu sichern, mit dem sich Schaden abwehren oder eine Schwangerschaft verhindern ließ. Jüdische Ärzte betrieben mit den Beinen eines Galgenvogels ihre anatomischen Studien, und Bettler nutzten die faulenden Gliedmaßen, um sie vor den Kirchen unter ihren Lumpen vorlugen zu lassen.

Erst gestern hatte ein Bürgersöhnchen sich die Hände eines Diebes besorgt. Ein blasser Bursche im Talar eines Rechtsstudenten, in dem der Henker Lambert van Berck erkannt hatte. Ein Tunichtgut, den sein Vater bislang von jeder Bestrafung hatte freikaufen können. Der Himmel wusste, für welchen Schabernack der Sohn die abgeschlagenen Hände brauchte. Dem Mönch würde er nichts davon verraten, die Nachtgeschäfte waren ein hübscher Beiverdienst. Der Henker griff nach dem Brandeisen und begann es zu polieren.

»Ich merke, du bist ein verschwiegener Mann«, sagte der Mönch. »Nun, ich bin auf der Suche nach einem Trupp spanischer Gaukler, die gestern eingetroffen sein sollen. Es heißt, in dieser Straße finden Spielleute Unterkunft.«

»Ach, Ihr sucht Gaukler«, sagte der Blutscherge. »Davon gibt es hier vor den Pfingstmärkten reichlich.«

»Ist unter ihnen ein dunkelhaariges Mädchen, etwa elf oder zwölf Jahre alt?«

Der Henker wischte sich die Hände an seiner Lederschürze ab und griff nach dem Richtschwert mit dem kölnischen Dreikronenwappen. Sorgfältig kratzte er getrocknetes Blut aus der Klingenrinne.

Die Stimme des Mönches gewann an Schärfe. »Es gehört doch zu deinen Aufgaben, die Gaukler zu überwachen.«

»Ich hab Wichtigeres zu tun, und wen interessiert schon ein Gauklerkind.«

»Mich, wenn es sich dabei um eine Hexentochter handelt.« Der Mönch zog eine Lederbörse unter seiner Kutte hervor und klimperte damit – es war die Börse des Reliquienhändlers.

Der Henker leckte sich die Lippen. »Nun ... drei Häuser weiter bei meinem Freund, dem Hahnenwirt ...«

... krochen gerade die gesuchten Gaukler unter Decken und Schaffellen hervor, um den Morgenbrei in Empfang zu nehmen. Der feiste Wirt stand in der Mitte des Hofs, dessen Stroh mit tierischen und menschlichen Auswürfen gemischt war. Er schwenkte über einem Eisenkessel die Kelle wie eine Schlagwaffe.

»Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, um euch Lumpenpack zu füttern«, schimpfte er und schlug nach einem Hündchen mit Halskrause, das auf seinen Hinterläufen umhertrippelte. »Pack dich, Flohbündel.«

Ein dunkelhaariges Mädchen näherte sich mit zwei Holzschalen.

»Was, zwei Schalen? Glaubst wohl, du kannst dich auf meine Kosten dick fressen?«

Lunetta schüttelte stumm den Kopf und deutete auf ein Zelt, vor dem ein Greis kauerte.

Der Wirt verzog das Maul: »Bei dem ist jeder Bissen eine Verschwendung. Mein Gasthaus ist kein Hospital der Barmherzigen Brüder.«

Lunetta streckte die Schüsseln vor, als der Bärenzähmer Pancheo mit dem Fuß nach ihr trat. Das Mädchen drehte sich zur Seite und entkam den Tritten.

»Gib Essen«, schnauzte der Bärentreiber den Wirt an. Der tauchte flugs die Kelle in die Gerstensuppe.

»Kein Fleisch?«, fragte der Riese.

Der Wirt duckte sich unter der drohenden Figur des Gauklers und schielte zu dem Bären hinüber, der an einem Karren festgekettet schlief.

»Beste Reste vom Leimsieder habe ich mitgekocht. Der schabt noch vom traurigsten Schafskopf saftige Fetzen herab.«

Pancheo schnüffelte an der Gerstenbrühe, zuckte mit den Schultern und leerte die Schale. Die Jongleure, Hundedresseure, Feuerschlucker, Zwerge und Weiber des Trupps drängten sich um den Kessel. Zuletzt stand wieder Lunetta an und musste sich mit dem verbrannten Rest begnügen. Sie balancierte die Schüsseln zum Zelt des Greises und begann ihn zu füttern.

»Danke, Lunetta«, stöhnte der alte Mann nach drei Löffeln und ließ sich auf einen Kleiderballen zurücksinken. »Und nun, leg mir die Karten. Ich möchte wissen, wann der Herr meine Reise auf Erden beendet.«

Lunetta schüttelte den Kopf. Der Greis streichelte ihre Locken. »Du brauchst nicht in die Karten zu schauen? Nun, hab keine Angst, wo ich hingehe, wird Frieden sein. Reitet der Sensenmann auf deinen Karten nicht vor blauem Himmel der Morgensonne entgegen? Der Tod bedeutet Hoffnung für unsereins!«

Das Mädchen nickte, doch ihre Augen schimmerten verdächtig.

Der Greis beugte sich vor. »He, ich hab nicht verdient, dass du um mich weinst. War wenig genug, was ich für dich getan hab, dabei war deine Mutter eine Freundin von mir. Und Geld von Padre Fadrique hab ich auch dafür genommen.«

Er griff stöhnend hinter sich und nestelte aus dem Kleiderballen eine Lederbörse hervor. Verstohlen legte er sie dem Kind in den Schoß.

»Hier, das ist mir vom Geld des Padre geblieben. Nimm es und schau, dass du zu deinen Leuten hier kommst. Suche im Haus van Berck nach der Löwensteinwitwe, Rosalia de Fraga, hörst du? Zeig ihr die Heiratsurkunde deiner Mutter.«

Eine Wolke der Furcht verdüsterte Lunettas Kindergesicht.

»Versprich mir, dass du zu ihr gehst. Sie wird dir helfen. Padre Fadrique glaubt fest daran. Die Witwe ist seine Schwester! Ich fürchte, meine Gefährten werden dich nicht beschützen, wenn ich ...«

Ein harter Husten hinderte ihn daran weiterzusprechen. Das Mädchen stützte seinen Oberkörper, um ihm das Atmen zu erleichtern.

»Zeit, dass wir über das Kind reden«, erklang die Stimme des Bärenbändigers über ihnen. Lunetta ließ die Geldbörse in ihrem Bündel verschwinden.

»Was soll aus dem Bastard werden? Kann kaum seiltanzen, und als stumme Kartenlegerin bringt sie nichts ein. Oder hat sie endlich die Sprache wiedergefunden?«

Der Greis stieß pfeifende Töne aus, während er antwortete: »Lass sie in Ruhe, Pancheo.« Wieder schüttelte ihn ein Hustenanfall, ließ ihn würgen.

Der Hüne stemmte die Arme in die Hüften. »Wer zu uns gehört, muss arbeiten.«

Grob riss er Lunetta am Kragen ihres Leinenhemdes nach oben, ließ sie vor sich in der Luft baumeln. »Das Luder hat mich im Hafen gestern wie einen Narren aussehen lassen mit ihrer Bärenschau.«

Lunetta versuchte, sich freizustrampeln. Ihr Hemd rutschte hoch und entblößte die Knospen junger Brüste. Der Bärenzähmer packte sie um die Taille und setzte sie sich auf die Hüften. Mit seiner Pranke fuhr er über die samtigen Hügel. Lunettas Gesicht verzog sich in Ekel und Angst.

Ein Grinsen schlich sich in das zernarbte Gesicht Pancheos. »Hm, damit ließe sich Geld machen. Zartes Fleisch, danach giert es vornehme Freier. Und dass sie das Maul nicht nutzen kann, ist nur günstig. He, Wirt!«

Der Gastgeber, der die Szene vor dem Zelt beobachtet hatte, flitzte herbei. »Hast du Ärger? Oh, was für ein verdorbenes Stück, sich so nackt vor aller Welt zu zeigen.« Lüstern ließ er seine Blicke über Lunettas Oberkörper gleiten.

»Verdorben? No, no«, brummte der Tierbändiger und schob Lunettas Rock hoch. Die Augen des Wirtes tasteten sich zu der schmalen Spalte vor, die von einem Leinenschurz kaum bedeckt wurde.

»Nun?«, wollte Pancheo wissen und umklammerte die sich windende Lunetta. »Wie viel Stechpfennige bringt in Colonia der erste Ritt auf einem spanischen Fohlen?«

Der Wirt rieb sich den verdächtig prallen Hosenlatz. »Ist sie noch versiegelt? Der nackte Hügel unbewässert?«

Pancheo nickte und befingerte den Leinenstreifen über der Scham des Mädchens.

Der Wirt seufzte. »Nun, solch eine Männerfalle bringt in der Domstadt genug ein, um gerecht zu teilen. Ich kenne gewisse Prälaten, die kindliche Unschuld über alles lieben und sie gern einer genauen Prüfung unterziehen. Mit ihren geweihten Kerzen.« Er lachte dröhnend.

Lunetta trat mit den Füßen aus und traf Pancheos Magengrube. Der Bärenzähmer holte aus und schlug ihr ins Gesicht.

Mit letzter Kraft kämpfte sich der Greis vor dem Zelt auf die Beine. »Lass das Mädchen los.«

Lunetta biss ihrem Peiniger in die Schultern. Pancheo schrie auf, warf das Kind zu Boden und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf seinen zarten Körper. Hilflos suchend schaute sich der Alte um. Die anderen Gaukler hatten sich abgewandt. Sie übten Kunststücke oder belauerten heimlich das Geschehen. Nur der Bär zerrte an seiner Kette.

Pancheo presste seinen Unterleib gegen Lunettas Scham, stützte sich mit den Armen ab und markierte Stöße. »Ein Domherr ist nicht gut genug? Dann werde ich ...«

Ein Schrei des Wirtes ließ ihn innehalten, dann fuhr die krallenbewehrte Tatze des Bären auf Pancheo hinab und zerfetzte die Haut seines linken Schulterblattes. Vor Schmerz jaulend rollte sich Pancheo von Lunetta herab. Sie sprang auf die Beine, griff nach ihrem Bündel und rannte über den Hof auf das Tor zu. Mit einem letzten Blick sah sie den Greis, der sterbend neben dem Karren zusammenbrach, von dem er den Bären losgekettet hatte.

Lunettas Beine gingen wie Trommelstöcke, der Atem strich in harten Stößen über ihre Rippen, während sie auf den Dom zujagte. Sie presste ihre Habseligkeiten an sich und schlug Haken um die Abfallhaufen der Leimsieder und umherlaufende Schweine. Sie lief ohne sich umzublicken. Sie lief um ihr Leben. Sie sah weder den weiß gekleideten Dominikanermönch, der ihre Flucht mit Interesse verfolgte noch den Henker, der neben ihm in den Hof der Schenke eilte. Dort spaltete der Scharfrichter mit seinem Beil dem Bären den Schädel und rettete so Pancheos Leben, das nichts weniger als gottgefällig war. Dem Dominikaner Aleander jedoch sollte es noch nützlich sein.

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