Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 12

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Die Glocken von Sankt Kolumba läuteten zur ersten Andacht, als man im Haus des Rüstungshändlers Claas van Berck mit den Vorbereitungen für eine Pfingstfeier begann. Prunkvoll wie keine andere sollte sie sein. Ganz Köln und seine vornehmsten Bürger sollten sehen, zu was es ein ehemaliger Waffenschmiedgeselle aus den burgundischen Niederlanden bringen konnte.

Fehlte nur noch eine Nachricht von seinem Reliquienhändler über die Heimkehr Adrians von Löwenstein. Dann könnte der Kaufmann morgen Abend sogar die Verlobung seiner Tochter Sidonia mit dem Ritter verkünden. Im Hof seines Stadtpalastes entluden Fleischer ihre blutigen Karren. Vier halbe Ochsen, Dutzende Kapaune, Wachteln und Junggänse, zwölf Lämmer, ein lebender Pfau und ungezählte Eier waren bestellt. Dazu gesalzener und grüner Fisch, Neunaugen, Aale, Brassen. Konfektkörbe mit gezuckertem Ingwer, kandierten Früchten, süßer Latwerge, Gewürzsträuße und ein spanisches Safransäckchen im Wert eines Reitpferdes fanden ihren Weg in den Küchentrakt.

Unbeeindruckt vom Geschrei der Fuhrleute und den Übungsschüssen der Pfingstschützen, die vom Neumarkt herüberhallten, kontrollierte ein Faktor die Lieferungen. Er beanstandete grobes Mehl, hakte die Ankunft von Likörwein ab und machte eine verdrießliche Miene.

Sein Dienstherr hingegen rieb sich, hinter den Fenstern seines Privatkontors im ersten Stock, die Hände. »Prächtig, prächtig«, raunte Claas van Berck zu sich selbst. »Was für ein Teufelskerl du bist, kleiner Lumpenclaas.« So hatte ihn sein erster Kölner Meister genannt. Ein Vierteljahrhundert war das her und bedauerlich, dass Meister »Hochmut« Volkhardt nicht mehr unter den Lebenden weilte, um mit Lumpenclaas das Pfingstmahl einzunehmen. Bei funkelndem Burgunder hätte Claas van Berck seinem toten Meister erzählt, wie er bei dessen Witwe und in der Rüstungswerkstatt sein Nachfolger geworden war.

Den größten Waffenhandel der Reichsstadt hatte Lumpenclaas aufgebaut. Fünfzig Lehnsgüter, sechzehn Eigengüter und acht Stadthäuser nannte er nun sein Eigen. Wenn sich seine Familie erst mit den von Löwensteins verbunden hatte, war seine Wahl zum Ratsherrn, vielleicht sogar zum Bürgermeister, nur eine Frage der Zeit.

Zwischen den Fuhrleuten im Hof tauchte seine Tochter auf. Sidonias rotblondes Haar floss ihr bis auf die Hüften. Sie klapperte auf Pantoffeln umher und griff in einen Konfektkorb. Seine neunzehnjährige Tochter trug weder Kappe noch Haarnetz, dafür einen Morgenmantel. In stummem Tadel schüttelte Claas seinen Kopf, den ein Kranz ebenfalls rötlicher Haare zierte. Sidonia trieb sich zu gern beim Gesinde herum. Es war schwer, eine temperamentvolle Tochter ohne die feste Hand einer Mutter aufzuziehen. Nur gut, dass Sidonia nun unter Aufsicht ihrer künftigen Schwiegermutter Doña Rosalia stand, einer Frau von spanischer Strenge. Ja und bald, hoffentlich sehr bald, würde seine Tochter von Ritter Adrian gebändigt werden.

Prächtig, Prächtig! Seine Tochter würde eine Gräfin werden, Teil einer uralten Ahnentafel, und er ein gesuchter Gast und Geschäftspartner bei Kölns ersten Familien. Niemand würde ihn dann noch verspotten oder seine Geschäftsmethoden rügen. Sosehr man den verarmten Ritteradel insgeheim verachtete, so gern schmückte man sich mit dessen Titeln und Wappen.

Was bedeuteten dagegen schon die Schuldscheine, die er dem verstorbenen Maximilian von Löwenstein hatte erlassen müssen, die vielen Waffen und Rüstungen, die er dessen Sohn Adrian über Jahre für unsinnige militärische Unternehmungen hatte zukommen lassen. Ritterfehden, pah, die Zeit der gepanzerten Helden war vorbei. Längst hatten bezahlte Söldner die Aufgaben der Kriegsführung übernommen. Van Berck war sich sicher, dass seine neuen Radschlossgewehre die Zweikampfschwerter der Ritter künftig ganz ersetzen würden.

Sicher, er war ein finanzielles Risiko eingegangen, um die Heirat zu ermöglichen. Doch der Grafenname würde ihm am Ende ein neues Vermögen in die Kassen schwemmen und ihn unangreifbar machen.

Ach, wenn er nur halb so stolz auf seinen fünfzehnjährigen Sohn Lambert sein könnte wie auf Sidonia. Sich vorzustellen, was seine Tochter als Mann und an Lamberts Stelle in dieser Welt vollbringen könnte! Sinnlos, darüber zu grübeln, sie war ein Weibsbild, wenn auch – dem Herrn sei Dank – eines mit beachtlichen Reizen. Ja, er musste dankbar sein und sich damit abfinden, dass ein Mädchen seine Talente geerbt hatte und nicht Lambert. Der war und blieb ein Taugenichts, trieb im Talar des Rechtsstudenten nur Unfug und spielte den Rebellen. Lamberts Schwächen waren der verstorbenen Mutter anzulasten, die den Knaben verzärtelt hatte. Die Liebe der Weiber – ob zu Kindern oder Männern – brachte nichts als Unglück über die Welt! Möge Gott seine Tochter vor solch alberner Leidenschaft bewahren. Sidonia wich eben einem Fuhrknecht aus, der sie bei den Haaren zupfte.

Der Kaufmann riss am Griff des Bleiglasfensters und wollte Sidonia zur Ordnung rufen, aber die verschwand im Treppenturm. Claas van Berck glättete seine pelzverbrämte Schaube und lockerte die Schnüre der Pluderhose. Der Hosenbund zwängte seinen Bauch ein, und die mit Rosshaar gepolsterte Schamkugel drückte.

»Vater!«

Van Berck drehte sich zur Tür. Unwillkürlich vertiefte sich sein Lächeln.

»Mein Kätzchen, wie hübsch du bist. Wenn auch zu liederlich gekleidet.«

»Nenn mich nicht Kätzchen!« Sidonia blitzte ihn aus ihren grünen Augen an.

»Soll ich dich lieber als Gräfin von Löwenstein anreden? Ich habe dir Mundtücher mit dem Wappen besticken lassen! Man sagt, sie seien an Adelshöfen der neueste Schrei und man putze sich statt mit dem Ärmel damit sogar die Nase. Und sicher ist mit den niederländischen Schiffen gestern das rote Gewand eingetroffen, das ich in Gent für dich schneidern ließ. Der Brokat kommt aus der Weberei, die für die Schwester des Kaisers arbeitet.«

Sidonia verdrehte die Augen. »Vater! Das Verlobungskleid ist da, aber die Nachrichten vom Ritter lassen auf sich warten.« Ihr war es nach ihrem gestrigen Bad im Rhein nicht gelungen, zu den Koefs und dem Reliquienhändler vorzudringen.

Class van Berck strich sich über den Backenbart. »Sicher trägt mein Pilger sich erst beim Ratsschreiber ein, wie jeder fremde Besucher.«

»Kein Mensch kann unter fast 40 000 Kölnern einen ungemeldeten Fremdling aufspüren. Der Kerl sollte wissen, wie gespannt wir auf Nachricht warten. Bislang gibt es doch nichts als den Ehevertrag zwischen dir und Adrians Vater. Und der ist tot.«

Ärgerlich stieß Sidonia die Kugeln eines Rechenbretts an. Klackernd rasten sie von einer Seite zur anderen. »Hoffentlich weiß sein Sohn überhaupt von seinem Glück. Seit Jahren ist Adrian in Spanien, und die letzte Nachricht über ihn bekamen wir vor neun Monaten – aus der Neuen Welt. Weiß der Kuckuck, wo die ist!«

»Ich habe eine von diesen neuen Weltkugeln aus Nürnberg bestellt, darauf kann ich es dir zeigen.«

Der Kaufmann eilte zu einem Schrank, auf dessen Schreibklappe eine lederbespannte Kugel thronte. Sich vorzustellen, dass die Erde rund war, fiel immer noch schwer, doch die Geografen schienen davon überzeugt, seit ein gewisser Kolumbus vor drei Jahrzehnten einen Weg nach dem Westen Indiens entdeckt hatte. Und hatten nicht die Kaiser bei ihrer Krönung schon immer einen runden Reichsapfel als Zeichen ihrer erdumspannenden Macht empfangen?

Sidonia ließ sich in einen Scherenstuhl fallen und streifte die Samtpantoffeln von ihren Füßen.

»Was interessiert mich die Neue Welt, wenn ich nicht einmal die alte sehen darf? Lieber würde ich mit dir einmal auf Handelsreise gehen, so wie Kölns Kaufmannsgattinen es tun, statt nur herumzusitzen. Das Weib vom Weinhändler Stoltenburg hat mir von ihrer Fahrt nach London vorgeschwärmt. Sie sind nur hinter Kleve von Wegelagerern belästigt worden.«

Claas van Berck ließ die Weltkugel kreiseln. »London ist nicht viel anders als Köln, glaube mir. Nur noch voller von Spitzbuben.«

»Aber Antwerpen! Wenigstens unser Kontor in der Scheidestadt könntest du mir zeigen. Hartmut Pirckmann sagt, es sei eine Stadt der Wunder. Alle Straßen seien gepflastert, die Steingiebel der Häuser durchbrochen wie Spitze, die Glockenspiele in den Giebeln mit Gold überzogen ...«

Van Bercks Miene verfinsterte sich. »Pirckmann ist ein Schwätzer. Das bringt das Handwerk der Buchdrucker mit sich. Du wirst von dem Ritter in die vornehme Welt eingeführt. Seine Stammburg an der Mosel steht seit siebenhundert Jahren und ...«

Sidonia unterbrach ihn trotzig: »Und soll ein feuchtes Gemäuer sein mit einem einzigen Kamin. Das sagt sogar Doña Rosalia. Sie hasst die Burg.«

»Mein Kind, du wirst an Höfen verkehren. Die Löwensteins haben Verbindungen in ganz Europa. Adrians Vater stand noch im Dienst Philipp des Schönen, des Kaiservaters. Er hat das ganze Abendland bereist, und sein Sohn Adrian ist ebenso umtriebig.«

Sidonia griff nach den Bleigewichten einer Münzwaage, die neben ihr auf einem Tisch stand, und ließ sie durch ihre Finger gleiten. Ein Lächeln belebte ihre Züge. Sie liebte Wortgefechte mit dem Vater. »Umtriebig und verschwendungssüchtig ist der Ritter. Dein Geld scheint ihm willkommen, aber die minderwertige Braut holt er nicht ab.« Klirrend warf sie die Bleigewichte in eine Waagschale.

»Nur Geduld, mein Kind. Der Ritter muss dich heiraten, der Vertrag ist bindend. Nur Geduld«, entgegnete Claas van Berck erregt.

Ha, als ob ihr Vater ein Meister dieser Tugend wäre! »Mir wäre ein Drucker wie Pirckmann, der mich auf die Messen von Leipzig und Frankfurt mitnimmt, lieber.«

Claas van Berck zuckte zusammen. Er fürchtete und hasste die Lebensgier seiner Tochter, vielleicht weil sie ihm selber nicht fremd war, auch wenn sie sich bei ihm auf das Geld, bei Sidonia hingegen auf Abenteuer zu richten schien. Einer Frau stand sie so schlecht zu Gesicht wie der Umgang mit Büchern.

Scharf entgegnete er: »Ein Drucker als Gatte! Ich bin mein Leben lang ohne Bücher ausgekommen. Das Geschmier von diesem Kerl Luther und seine Verbreitung haben genug Unheil gestiftet. Mir ist mein friedliches Geschäft lieber.«

Sidonia hob die Brauen und sagte spöttisch: »Die Herstellung und den Handel mit Hakenbüchsen, Pulver und Kanonen nennst du ein friedliches Geschäft?«

Van Berck stellte sich breitbeinig vor sie hin: »Waffen dienen dem Erhalt der göttlichen Ordnung, während der Druck von Büchern und Flugschriften vor zwei Jahren sogar aus den Bauern Rebellen machte.« Und seinen fünfzehnjährigen Sohn Lambert mit dummen Gedanken fütterte, fügte er im Stillen hinzu.

Sidonia liebte es, in Streitgesprächen mit dem Vater ihren Verstand zu zeigen, was andernorts verpönt war: »Der Buchdruck bringt viel Geld! Pirckmann hat sich gerade eine Meute Jagdhunde und Falken angeschafft.«

Van Berck wandte sich ab. »Er äfft höfische Lebensart nach und bleibt doch ein Schmierfinger.«

»Während uns die vornehme Lebensart in die Wiege gelegt wurde, nicht wahr?«

Van Berck überhörte den Einwand zähneknirschend. »Ich dachte, du seist stolz darauf, einen Ritter zu heiraten. Hast du mir nicht vor drei Jahren schon von Burgen und stolzen Kämpfern vorgeschwärmt?«

Ihr Vater hatte Recht, doch Sidonia unterlag in einem Streit genauso ungern wie er. »Damals war ich fünfzehn.«

»Alt genug, um zu heiraten, wenn ich es bestimmt hätte. Viele deiner Freundinnen sind längst Mütter, führen ein Haus und haben so viel Arbeit, dass sie gar nicht ans Reisen denken können.«

Sidonia straffte die Schultern. »Eine Arbeit wäre mir auch recht. Warum lässt du mich nicht deine Bücher führen oder Verträge schreiben? Ich habe im Kloster genug gelernt. Ich spreche Latein, ein wenig Englisch und nun sogar Spanisch.«

»Aber von weiblicher Bescheidenheit hast du keine Ahnung. Die Mutter Oberin war erleichtert, als sie dich loswurde.«

Und du, als du mich an einen Adligen verkaufen konntest, dachte Sidonia mit einem Anflug von Bitterkeit. Der Liebe ihres Vaters haftete der Geruch von Berechnung und Geltungssucht an. Wie sehnte sie sich nach einem Leben, das frei war von Krämergedanken. Und nach einer Liebe, wie sie in alten Minneliedern besungen wurde.

Wäre mir vergönnt, dass ich die Rosen

Einmal noch mit meiner Liebsten bräche,

finge ich sie in den schwerelosen

Netzen weltvergessner Zwiegespräche.

Käm ihr roter Mund zu meinem Munde

Nur für eine Stunde,

wie ich mich auf ewig seligspräche.

Verträumt schaute Sidonia auf und erschrak über den lauernden Blick ihres Vaters. Ihm durfte sie ihre lyrische Seite, die ihr oft selbst unheimlich war, nicht zeigen. Angriffslustig reckte sie das Kinn. »Willst du mich ebenso schnell loswerden wie die Nonnen? Keine Sorge, es gibt genug Bewerber um meine Hand. Seit es heißt, die Tochter von Lumpenclaas könne den Löwenstein bekommen, bin ich eine begehrte Ware.«

Van Berck machte eine unwirsche Handbewegung. »Keiner dieser Bewerber ist so bedeutend wie dein Ritter, mein Kätzchen.«

Sidonia wickelte eine Strähne ihres Haares um den Zeigefinger. Ihr Vater hatte wieder Recht. Sie war begierig auf diese Ehe, um vor den Kölner Bürgergänschen zu glänzen, die über sie und den Lumpenclaas die Nase rümpften. Umso mehr ärgerte sie das Zaudern ihres Bräutigams. »Vielleicht wäre es besser, mich in einen Mann aus Fleisch und Blut zu verlieben statt in einen abwesenden Ritter. Er macht uns noch zum Spottgespräch bei Kölns Patriziern.«

Van Berck drehte sich entsetzt um. Es hing viel von Sidonias Heirat mit von Löwenstein ab, ein Vermögen hatte er darein investiert. »Die Liebe ist eine verzichtbare Beigabe auf dem Weg zum ehelichen Glück. Gute Zähne und eine gefüllte Geldtruhe sind weit wichtiger. Ich weiß, wovon ich spreche. Deine Mutter war um fünf zehn Jahre älter als ich und hatte neben ihren Reizen bereits ihr ganzes Gebiss verloren. Unserem Glück stand ihr Mangel an Anziehungskraft nicht im Weg.«

»Ich hoffe doch, dass Adrian von Löwenstein seine Zähne noch im Mund trägt«, konterte Sidonia.

»Kätzchen, Kätzchen. Alle Welt sagt, er sei ein stattlicher blonder Recke, so wie es sein Vater war. Und nun zieh dich an. Ich möchte nicht, dass du wie eine Dirne durchs Haus läufst. Lamberts Untugenden genügen mir.«

Sidonia erhob sich, schlenderte zur Tür und drehte sich noch einmal um.

»Wie schaut denn eine Dirne aus? Ich dachte, man erkennt die Hübschierinnen nur an ihren gelben Ärmeln oder Bändern? Weißt du mehr darüber, Vater, und woher?«

Das Gesicht des Kaufmanns verfärbte sich. Das Kind gehörte verheiratet. Gebe Gott, dass der Reliquienhändler noch heute Bescheid vom Ritter brachte.

Ungerührt setzte Sidonia hinzu: »Ich weiß, dass Dirnen ihre Gunst gegen Geld verschenken. Bei meiner Heirat ist es genau umgekehrt! Der Ritter sollte sich zeigen, damit wir prüfen können, ob er sein Geld wert und nach meinem Geschmack ist.«

Van Berck griff nach dem Kontobuch und wollte es in ihre Richtung schleudern. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn innehalten.

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