Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 18

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»Ein guter Schuss«, lobte Aleander, der sich neben Pancheo in einer Treppengasse auf der anderen Seite des Marktplatzes verborgen hielt.

Pancheo ließ seine Armbrust sinken und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen die Bahn des Feuerpfeils. »Nicht gut genug.« Er spuckte aus. Ärgerlich rieb er seine von der Bärenpranke verletzte Schulter. »Ich habe sie verfehlt.«

»Das macht nichts«, sagte Aleander. »Sie stürzt ab.« Die Augen der Männer verfolgten Lunettas Fall. »Irgendwer hat sie aufgefangen!« Aleander starrte in die wogende Menge unter dem Seil. »Das kann sie nicht überlebt haben!«

»Sie ist die Tochter einer Hexe, ? Die Nachtweiber können fliegen!«

Aleander schnalzte mit der Zunge, hob seine weiße Kutte, lief hinkend und mit schlappenden Sandalen die Treppe hinab. Pancheo warf die Armbrust fort und folgte ihm. Den Lohn für den Schuss wollte er in jedem Fall einstreichen und – sollte Lunetta überlebt haben – auch das Mädchen für sich fordern. Die Kleine und ihre Geheimnisse mussten eine Menge wert sein, wenn der hohe Inquisitor so erpicht auf ihren schnellen Tod war, statt einen Hexenprozess anzustrengen.

Unter dem Seil herrschte Gedränge. Der Marktvogt winkte von seinem Posten unter den Rathausarkaden zwei Gewaltrichterdiener herbei. Einer von ihnen war der Stadtsoldat Goswin.

»He«, rief der Marktvogt ihn an. »Dort vorne ist eine Seiltänzerin abgestürzt. Besser, Ihr schaut nach dem Rechten, der Pöbel ist aufgebracht und ...«

Goswin wischte sich müde das Gesicht. »Ein totes Gauklerkind? Das kann warten, wir müssen dem Rat einen Leichenfund melden.«

Der Marktvogt hob die Augenbrauen. »Einen Leichenfund?«

Goswin nickte mit einem Anflug von Stolz. Es war eine ganz besondere Leiche. »In den Rheinmühlen hat sich der Körper eines Jakobspilgers verfangen und ein Rad zum Stillstand gebracht. Hing zwischen den Speichen wie ein Gekreuzigter.«

Der Marktvogt zuckte die Schultern. »Ach Gott, ein Betrunkener, der in den Fluss fiel. Man kennt doch diese Jaköbesse, verdingen sich in den schlimmsten Spelunken als Bierzapfer, erzählen wüste Reisegeschichten und trinken sich die Nase rot und blau.«

»Nun, die Nase fehlt dem Kerl«, erwiderte Goswin. »Genauer gesagt der ganze Kopf. Er wurde mit einem van Berckschen Messer vom Rumpf getrennt, das wir auf einer niederländischen Koef fanden. Nebst einer verdächtigen Spielkarte. Lass uns durch, wir müssen Anzeige beim Rat machen. Ein Mord hat Vorrang vor einem Unfall.«

Der Marktvogt schüttelte erbost den Kopf. »Unfall? Man hat mit einem brennenden Pfeil nach dem Kind geschossen.«

Unschlüssig wandte Goswin den Kopf. Unter dem Seil auf der anderen Seite des Platzes hatte sich ein schreiender Pulk gebildet. Der Marktfriede war gestört. Krämer rannten von ihren Ständen fort, Bettler ließen ihre Schalen im Stich, Zahnreißer stiegen von ihren Brettergerüsten. Jetzt überquerte sogar ein Mönch mit wehender Kutte den Platz. Ein hinkender Mönch in Dominikanertracht. Goswin umklammerte seine Hellebarde und machte sich auf den Weg. Einem dieser elenden Schnüfflermönche, die überall ketzerische Umtriebe witterten und die Gerichtshoheit für sich beanspruchten, wollte er nicht das Feld überlassen.

Umringt von Schaulustigen knieten Sidonia und der Lautenspieler neben der bewusstlosen Lunetta. Gemeinsam war es ihnen gelungen, das Kind aufzufangen. Vorsichtig tastete der junge Mann das Mädchen ab.

»¡Gracias a Dios! Sie ist unverletzt«, murmelte er.

»Wer bist du, und wie willst du das wissen«, fragte Sidonia scharf.

»Mein Name ist Gabriel Zimenes. Ich bin Dolmetscher und Arzt«, antwortete der Fremde knapp.

»Ach ja? Und ein großes Maul und die Laute sind gewiss dein Handwerkszeug«, erwiderte Sidonia und versuchte den Körper des Kindes aufzurichten.

Der Lautenspieler packte sie beim Arm. »Was machst du da?«

»Ich werde sie in unser Haus schaffen und ihr einen Arzt besorgen, der über Chirurgenmesser, Leinenbinden und den Titel eines Medikus verfügt.«

»Scher dich zum Teufel, das Mädchen gehört zu mir.«

»Was fällt dir ein, so mit einer Kölner Bürgerin zu sprechen, du spanische Quacksalber. Ich bin Sidonia van ...«

Der Lautenspieler stieß sie fort und hob Lunetta auf. Mit dem Kind auf den Armen bahnte er sich eine Gasse durch die Schaulustigen, bis ein Hüne im Lederwams ihm den Weg verstellte.

»¡Senor! Die Kleine arbeitet für mich.« Pancheo streckte seine Pranken nach dem Mädchen aus. Der Bärenführer! Sidonia hielt gespannt die Luft an.

»Nie und nimmer, du Dreckskerl«, herrschte ihn der Lautenspieler Gabriel auf Spanisch an.

Pancheo lachte auf. »Dreckskerl? Von mir aus, aber ich bin keine Hure wie dieses Kind. Wenn du dein Vergnügen mit ihr haben willst, dann zahle. Sie ist es wert, ich habe es probiert.«

Sidonia holte entsetzt Atem.

»Dafür werde ich dich töten«, zischte der Lautenspieler.

Die Umstehenden beobachteten den Streit der Spanier mit wohligem Entsetzen. Der Hüne schlug mit der Rechten nach Zimenes’ Schulter, doch der wich geschickt aus. Pancheo hob beide Fäuste. Sidonia sprang dem Lautenspieler zur Seite. Wortlos überließ er ihr das Kind, streifte die Laute von seinem Rücken und zog seinen Degen. Die Umstehenden bildeten einen Ring um die Kämpfer.

Mit dem Gebrüll eines Tieres, den Schädel voran, nahm Pancheo Anlauf und rammte seinen Kopf in die Brust Zimenes’, der den Degen hochriss, weil er ihn nicht gegen einen Unbewaffneten richten wollte. Zimenes taumelte und rang nach Atem. Pancheo riss ihm – alles andere als ein Ehrenmann – den Degen aus der Hand, holte aus und stürmte wieder nach vorn.

Sidonia stellte ihr rechtes Bein vor, Pancheo stolperte, und der Degen entglitt ihm. Der Lautenspieler griff danach und richtete ihn auf seinen Gegner, der mit einem letzten Brüllen direkt in die Klinge fiel. Klatschen und Begeisterungsrufe wurden laut.

»Lasst mich durch! Was geht hier vor?«, setzte sich die Stimme Goswins gegen den Tumult durch. Sidonia erschrak, als sie ihren Widersacher vom Vortag erkannte, und zwängte sich – die leblose Lunetta fest an sich gedrückt – zwischen den Gaffern durch. Goswin erkannte sie aus den Augenwinkeln, stutzte beim Anblick ihrer vornehmen Gewänder und wollte ihr nachsetzen.

Ein Mönch stellte sich zwischen ihn und Sidonia, die dem Dominikaner über die Schultern einen Dankesblick zuwarf. Sehr helle Augen lächelten zurück. Sidonia registrierte das schöne Gesicht des Kuttenträgers und verschwand in der Menge. Der Mönch wandte sich gebieterisch an den Stadtsoldaten: »Schnapp dir den Mann mit dem Degen und der Laute. Er hat zugestochen. Alle haben es gesehen.«

Goswin zuckte, als er in das edle Gesicht des Dominikaners blickte. Verflucht, das war kein einfacher Predigermönch, sondern ein hoher Herr, wenn auch ein Auswärtiger. Der von ihm angezeigte Jüngling schien Iberer zu sein, genau wie sein am Boden liegendes Opfer. Verfluchtes Pfingsten, Störenfriede aus aller Welt trieben sich in Kölns Mauern herum! Gleichgültig. Den Befehlen des Dominikaners würde er nicht Folge leisten.

»Hier führe ich die Untersuchungen. Die Metze, der du eben zur Flucht verholfen hast, ist verdächtig, wahrscheinlich Hure.«

»Du sprichst mit einem Vertreter der Heiligen Inquisition, Kerl, und ich habe in Köln einiges zu erledigen, der Erzbischof selbst hat mir Handlungsfreiheit zugebilligt. Wie ist dein Name?«

Der Stadtsoldat biss die Zähne aufeinander. Zum Teufel! Den Stadtherren würde es nicht schmecken, wenn ein kleiner Torwächter wie er sich mit einem Inquisitor anlegte. Dem Rat lag daran, dem Erzbischof keinen Anlass zum Eingreifen in Kölns Belange zu geben.

Vor Jahrhunderten hatte man die Macht des Krummstabs abgeschüttelt und den Bischof nach Bonn verbannt. Der Vorwurf, Köln würde in Zeiten der lutheranischen Heckenprediger und Schwarmgeister einen Ketzerverfolger behindern, wäre dem Erzbischof ein willkommener Anlass, die Machtfrage neu zu stellen. Sogar Anlass, den in Spanien weilenden Kaiser und Lutherhasser Karl V. gegen Köln aufzubringen, das dem Kaiser alle Freiheiten als Reichsstadt verdankte. Goswin machte dem Dominikaner Platz.

Aber das Gespräch von Mönch und Soldat hatte dem Lautenspieler Zeit zur Flucht verschafft. Bereitwillig hatten die Gaffer dem Sieger des Zweikampfes eine Gasse gebildet und die Lücke hinter ihm geschlossen.

Der Lautenspieler lief zum Hafen hinab. Dort verlangsamte er seine Schritte. Verdammt! Lieber wäre er auf dem Markt geblieben und hätte ein zweites Mal zugestochen. Ohne Zögern, ohne Kampf, ohne Erbarmen. Der Dominikaner verdiente keinen ehrenvollen Tod. Abstechen wie ein Schwein würde er Aleander, wenn er ihn zu fassen bekäme. Doch Rache war ein Gericht, das man kalt verzehren sollte und nicht im Beisein von Zeugen. So viel hatte ihn sein Dienstherr, der Ritter Adrian von Löwenstein, gelehrt. Ob Aleander ihn nach all den Jahren erkannt hatte? Dann wäre der Dominikaner nun gewarnt.

Gebe Gott, dass wenigstens Lunetta bei dieser Bürgergans in Sicherheit war. Wie war noch deren Name? Sidonia. Das musste genügen, um sie aufzuspüren.

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