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Die Gaukler verließen den Lastkahn und formierten sich zu einem Zug, der sich Richtung Norden wandte. Sicher wollte das bunte Völkchen in der Spielmannsgasse oder in der Schmierstraße bei den Knochen- und Fettsiedern Quartier suchen. Ein kleines dunkelhaariges Mädchen, dünn und biegsam wie eine Weidenrute, half einem Greis über die Planke. Der Bär, den sein Bändiger zum Bug des Kahns gezerrt hatte, sträubte sich. Sidonia hätte leicht aus ihrem Versteck entwischen können, aber das Tier fesselte ihr Interesse.

Endlich trieb der Bärenführer, ein Hüne in Lederweste, die Bestie mit singenden Peitschenschwüngen zur Planke. Als der Bär sich weigerte, sie hinabzutappen, prügelte sein Herr auf ihn ein. Die Gaffer auf dem Kai feuerten ihn an, begeistert über die kostenlose Vorstellung. Der Bär fletschte seine Reißzähne und richtete sich auf.

Die Zuschauer wichen zurück. Der Kerl im Lederwams riss eine Fackel von der Reling, um sie der Bestie auf den Pelz zu brennen. Das Mädchen, das eben den Greis geführt hatte, lief zum Kahn zurück und erklomm die Planke. Mit angehaltenem Atem sah Sidonia, wie das Kind den Bären besänftigte, sich mit mageren Beinen auf seinen Rücken schwang und ihn zum Kai hinabritt.

Das Mädchen blieb unberührt von den Beschimpfungen des Tierbändigers, der dem Kind unter dem Gelächter der Gaffer nachsetzte. Sidonia lachte nicht. Als das elfenhafte Mädchen an ihrem Versteck vorbeiritt, sah sie in Augen, die schwarz waren vor Traurigkeit. Dieses Kind musste in seinem jungen Leben weit Grausameres gesehen haben als die brutale Behandlung eines Tieres.

»¡Párate!¡Párate! Lunetta, bleib stehen!«, schrie der Bärenführer in einem Kauderwelsch aus deutschen und spanischen Brocken. Er hatte den Bären und seine Reiterin eingeholt und schwang erneut die Peitsche. Mit bösem Zischen sauste die Lederschnur am Kopf des Kindes vorbei und verfehlte ihn nur um Haaresbreite. Ohne nachzudenken, sprang Sidonia aus ihrem Versteck.

»Lass das Kind in Ruhe, Lump!«, schrie sie. Der Bär beschleunigte sein Tapsen und suchte mit dem Mädchen auf dem Rücken Anschluss an die Gauklerschar. Der Bärenzähmer fuhr herum, in der einen Hand eine Fackel, in der anderen die Peitsche. »¡Lárgate, puta!«

Sidonia stemmte die Arme in die Hüften. Sie verstand den Mann sehr genau. Ihre künftige Schwiegermutter, Rosalia de Fraga, die iberische Mutter ihres Bräutigams, die im Haus ihres Vaters zu Gast war, erteilte ihr seit einigen Monaten Spanischunterricht. Jetzt kamen ihr die Stunden bei der schwarzen Witwe zugute. Beherzt reckte Sidonia das Kinn. »¡Estúpido! Verschwinde du Dummkopf, Hurensohn, oder ich hetze Kölns Soldaten auf dich.«

Der Grobian trat so dicht an sie heran, dass sie seine Ausdünstungen aus Schweiß und Zwiebeln roch. In gebrochenem Deutsch fuhr er sie an: »Halte dich da raus, dumme Gans, oder ich, Pancheo, brenn dir mein Fackel ins Gesicht.« Drohend brachte er sein pockenvernarbtes Gesicht nah an das ihre und blies ihr die Flamme ins Gesicht. Sidonia riss einen Dolch aus ihrem Mieder, den sie bei Ausflügen wie diesem stets bei sich trug. Sie richtete ihn gegen den Tierbändiger, als eine Hellebarde zwischen ihr und dem Riesen niedersauste wie eine Schranke. Der Soldat Goswin hatte nach Abzug des Bären seinen Mannesmut zurückgewonnen.

»Was soll das Gezänk? Im Namen des ehrsamen Rates der Stadt Köln und des Gewaltrichters: Ihr seid beide verhaftet.« Wütend wandte er sich Sidonia zu. »Und du sagst, du bist eine Magd? Her mit dem Messer, sofort!«

Sidonia wich mit gezücktem Dolch nach hinten aus und kam der Mauerkante des Kais gefährlich nahe. Goswins Arm schnellte vor, um sie zu packen, als heißer Atem seinen Nacken streifte und ein Knurren ihn erstarren ließ.

Hinter dem Soldaten richtet sich der Bär auf und stieß sein Brüllen aus. Geführt wurde er von Lunetta, dem Mädchen mit den traurigen Augen. Sidonia zwinkerte ihr dankbar zu, dann drehte sie sich um und sprang in den Rhein. Auch der Bärenführer Pancheo gab Fersengeld.

Zurück blieb unter dem Gelächter der Gaffer nur der Stadtsoldat Goswin, der es erst lange nach Abzug des Bären und der Gaukler wagte, sich umzudrehen und seine nassen Hosen dem Publikum zu zeigen.

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