Читать книгу Die Tarotspielerin/Das Geheimnis der Tarotspielerin/Das Tarot der Engel - Drei Romane in einem Band - Marisa Brand - Страница 9

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Glutrot beendete eine heiße Junisonne ihren Tageslauf. Triumphierend überglänzte ihr verlöschendes Licht die Bleidächer der Kathedralen, Kirchen und Klöster, von denen es in Köln mehr gab, als das Jahr Tage hat. Selbst die Gassen der Gerber und Kadaversammler hatte sie getrocknet und den Gestank von Fäulnis mit dem Duft von Rosen gemischt. Golden verweilten letzte Strahlen auf der Westfassade des Doms, während die Rheinfront der Reichsstadt bereits im Dunkeln lag. Ein knochenweißer Mond kündigte über dem Hafen die Nacht an.

Angeekelt raffte Sidonia van Berck ihren Rock, übersprang ein Häufchen Fischabfälle und wollte durch eine Mauerpforte in das Gewimmel am Hafen eintauchen. Am Ende des Durchgangs verstellte ihr ein Torwächter den Weg.

»Heda, Dirne, umsonst kommst du mir um diese Stunde nicht auf den Kai! Lass ein paar Münzen springen, dann kannst du dir einen Freier suchen, den sein Hosenteufel juckt.«

»Ich bin keine Hure. Was fällt dir ein, so mit mir zu reden!« Sidonia van Berck trat nach dem Handwerksburschen. Pah, in den Waffenschmieden ihres Vaters würde man diesen übel riechenden Gerbergesellen mit der Feuerzange verprügeln. Sie war eine reiche Bürgerstochter und keine Pfennigshure! Danach sah sie auch in ihrer Verkleidung als Magd sicher nicht aus.

»Was auch immer du bist«, blaffte der Wächter, »wenn du in der Dämmerung am Hafen rumstrolchen willst, gib mir drei Fettmännchen. Der Nachtdienst macht durstig.«

Johlend bekundete eine zerlumpte Vettel, die neben der Pforte auf einem Fässchen hockte, ihre Zustimmung. »Für drei Fettmännchen trinkste dich bei mir bis zur Seligkeit, guter Mann. Ich hab Bilsenkraut und ‘ne Prise Tollkirsche in mein Bier gemischt. Nun zahl schon, du Dirne, wirst das Geld mit deinen Lustäpfelchen rasch wieder eintreiben.«

Sidonia stemmte die Arme in die Hüften. Drei Kupfermünzen waren ein lächerlicher Betrag für sie, aber hier ging es um ihre Ehre. Besser gesagt um die Ehre einer Magd. Aber nun, selbst im Kostüm einer Magd fand Sidonia sich mehr wert als drei Fettmännchen, die kleinste Kölner Münzeinheit. Bah, was für Gelichter hier herumlungerte, um Geschäfte zu treiben!

Der Rat hatte in der Woche vor dem fünftägigen Pfingstfest die Torschlusszeiten am Hafen verlängert. Spät eintreffende Fernhändler, Pilger, Gaukler und Krämer sollten Gelegenheit haben, in der Stadt Quartier zu suchen. In Dreierreihen lagen Plattbodenschiffe, Lastkähne, Niederländer- und Oberländersegler bis in die Strömung des Flusses, bewimpelt mit Fahnen aus Ländern vom fernen Baltikum bis zum stolzen Flandern. So sicher wie der Nordpol eine Kompassnadel zogen die Schiffe die Winkelhuren genauso an wie vornehm geschminkte Liebesdamen, Bettler, Ruderknechte und heimliche Geldwechsler. Gelichter, mit dem Sidonia nichts gemein hatte. Wütend funkelte sie den Gerber an.

»Lass mich durch. Ich bin ein anständiges Mädchen, du Lausewanz.«

»Was willst du dann hier, Weib?« Mit scharfer Stimme unterbrach ein Kölner Stadtsoldat das Gezänk.

Sidonia wirbelte herum und erschrak beim Anblick seiner Rüstung und der Hellebarde, die den Werkstätten ihres Vaters entstammte. Verflixt! Sie hatte doch eine Mauerpforte beim Lasthafen gewählt, um keinem der geharnischten Wächter zu begegnen, die die großen Torburgen bewachten. Warum war dieser Kerl nicht am Haupthafen hinter dem Dom auf Posten? Dort legten im Dämmerlicht Kauffahrtschiffe der Fernhändler und Koefs aus den Niederlanden an, beladen mit kostbarer Fracht für die Pfingstmärkte.

Egal, nun war Vorsicht geboten. Sidonia zauberte einen flehenden Blick in ihre gelbgrünen Augen und zog das Kopftuch tiefer, unter dem sie ihren mit Perlen durchflochtenen rotblonden Haarkranz verbarg.

»Guter Mann, dieser Kerl will mir den Zutritt zum Kai verwehren. Außerdem verlangt er Geld mit der Behauptung, ich sei eine, eine ...«, sie holte empört Luft, »Dirne!« Betont weinerlich setzte sie hinzu: »Darf er das? Ich bin nur eine Magd und kenne mich mit den Gesetzen nicht aus, und ...« Sidonia entrang ihrer Kehle ein Schluchzen, das ihr Zeit gab, sich eine Geschichte auszudenken, die einen Stadtsoldaten überzeugen könnte. Sie presste Tränen hervor und belauerte unter dem Vorhang ihrer Wimpern die Wirkung ihres Auftritts.

Die war zufriedenstellend, wenn auch nicht verwunderlich. Sidonia van Berck hatte das helle Mädchengesicht einer vornehmen Tochter, die sich nur selten in die Gassen begab. Ihre Haut war weder von Auszehrung noch von einer anderen üblichen Armenkrankheit gezeichnet, sondern rein und klar. Sie war es gewohnt, dass ihre Katzenaugen jeden Betrachter fesselten, genau wie ihr blühender Leib. Nur ihre etwas zu vollen Lippen, die ganz für die Lust und fürs Lachen geschaffen schienen, störten den Geschmack vornehmer Verehrer.

Zu diesen Zimperlingen gehörte der Soldat Goswin nicht. Ihm gefiel, was er im Feuerschein der Pechpfanne erblickte. Außerdem verachtete er Hilfswächter wie den Gerbergesellen, die mit nichts als einem Spieß bewaffnet große Krieger mimten.

»Hast du dieses Mädchen beleidigt?«, herrschte er den Handwerksburschen an. Bettler scharten sich um das Trio.

»Eine Hure beleidigen? Wie soll denn das gehen? Und von wegen Magd! Was sollte eine Jungfer am Abend hier im schlimmsten Teil des Hafens zu suchen haben?«, verteidigte sich der Spießträger.

Ein Milchgesicht, entschied Goswin bei sich und brachte den Jüngling mit Blicken zum Schweigen. Dann wandte er sich mit der Würde, die ihm sein Amt verlieh, der verfolgten Unschuld zu und genoss die Spannung der Umstehenden.

»Nun, wer bist du?«

Sidonia hielt den Blick gesenkt und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Tja, wer war sie? Unmöglich konnte sie zugeben, dass sie die Tochter des Kaufmanns Claas van Berck aus der Minoritenstraße war. Dabei würde der Name diese beiden Toren in den Kot der Gasse zwingen, wo sie hingehörten. Der Name van Berck war in Köln zwar alles andere als beliebt – aber gefürchtet.

Der Name ... Endlich kannte sie die Lösung. Sie unterdrückte ein Lächeln: »Ich bin eine Magd aus dem Haus des Claas van Berck und soll einen Gast meines Herrn abholen.«

Van Berck! Der Spießbürger zog sich wie geprügelt in den Schatten seiner Pforte zurück. Als Angehöriger der unwichtigen Ledergerberzunft wollte er sich in keinem Fall mit einem Mitglied der Kaufmannsgaffel Windeck anlegen. Nicht einmal mit einer Magd aus dessen Haus. Van Berck hatte schon ganz andere ins Unglück gerissen.

Goswin nahm die eiserne Helmkappe vom Kopf und kratzte sich am Schädel. Gemurmel erhob sich. Der Soldat rückte den Bund seiner geschlitzten Pluderhose zurecht. Er war entschlossen, dem Hilfswächter und dem Publikum seinen Schneid und Scharfsinn zu beweisen. »Warum schickt van Berck keinen Knecht oder bezahlten Leuchtmann für diese Aufgabe? Er hat doch Gesinde und Geld genug für solche Dienste.«

Sidonia biss sich auf die Lippen. Die Frage war gut. »Nun ...«, hob sie an, als von dem Lastkahn in ihrem Rücken ein grauenerregendes Brüllen ertönte. Für einen Moment erstarben alle Stimmen und Geräusche. Gaffer und Wächter wandten sich um.

Sidonia drängelte sich zum Kai vor und duckte sich hinter leeren Heringsfässern. Jetzt musste sie nur auf eine Gelegenheit warten, um im Gedränge in die Dunkelheit abzutauchen. Vielleicht würde es ihr ja doch noch gelingen, zum Hauptkai und zu dem Schiff zu gelangen, auf dem der spanische Reliquienhändler des Vaters eingetroffen war. Ihre Abenteuerlust besiegte den Schrecken, den der Stadtsoldat ihr eingejagt hatte.

Pah, einer Sidonia van Berck stellte sich niemand in den Weg! Und erst recht nicht der künftigen Braut Adrians von Löwenstein! Gott gebe, dass Vaters Reliquienhändler eine Nachricht von dem fernen Ritter aus Spanien brachte. Sie kannte ihren Bräutigam zwar nicht, aber es waren genügend Geschichten im Umlauf, um sich das Bild eines Helden auszumalen. Eines Helden, der sie in ein Leben voller Abenteuer und Reisen entführen würde. Reisen!

Ein weiteres Brüllen riss sie aus ihren Gedanken. Im Licht flackernder Schiffsfackeln erkannte Sidonia den Ursprung des Lärms. Links von ihr, auf dem Deck des Lastkahns, fletschte ein Bär die Zähne. Hinter ihm schwang ein Tierbändiger die Peitsche. Gaukler! Entzückt beobachtete Sidonia den Tumult, den die Spielleute verursachten.

Der Soldat Goswin verfluchte seinen Ausflug zum Nordkai. Mit einem Bären wollte er es nicht aufnehmen.

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