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Das Überleben des Christentums

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Die Reformatoren waren ebenso wie die Verteidiger der alten Ordnung ganz grundsätzlich davon überzeugt, dass sie das Christentum vor der Zerstörung bewahrten. Beide Seiten verkündeten ihre Wahrheiten als dermaßen selbstverständlich, dass der Schluss gezogen werden musste, nur ein vollständiger Sieg über die jeweils andere Seite könne das Christentum wirklich retten. Zugleich behielt das Christentum für die gewöhnlichen Menschen durchaus seine Bedeutung. Ein frommer Mailänder Bürger, der mit Predigten groß geworden war, welche die Bedrohung der Christenheit durch die Osmanen betonten, konnte 1565 beten, Gott möge seine Familie und die ganze Christenheit „in vollkommener Einheit und Liebe“ erhalten. Reisende formulierten damals immer noch, sie würden die Christenheit „ansteuern“, dort „ankommen“ oder sie „verlassen“, und doch waren nur die wenigsten in Richtung Jerusalem unterwegs. Die Reformatoren hielten die Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten ohnehin für unwichtig. Für den englischen Geistlichen Samuel Purchas hatte sich Jerusalem nach Westen verlagert: „Jesus Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, hat dem undankbaren Asien, wo er geboren wurde, schon lange die Scheidungsurkunde überreicht, ebenso Afrika, dem Ort seiner Flucht und Zuflucht, und er ist mittlerweile fast ganz nach Europa gekommen“, schrieb er in Purchas his Pilgrimage (1613), einer Sammlung von Reiseberichten, welche die geographische Vielfalt von Gottes Schöpfung veranschaulichen sollte. Selbst Katholiken konnten eine Pilgerfahrt im bequemen heimischen Lehnstuhl unternehmen, indem sie einen der vielen veröffentlichten Berichte zur Hand nahmen, die die Bedürfnisse der Neugierigen wie der Frommen gleichermaßen bedienten.

Wenn es aber passte, konnte selbst der glühendste Protestant an das Bewusstsein einer wesenhaften Einheit aller christlichen Völker appellieren. Thomas Morus, einstmals Lordkanzler von England, wurde für die Behauptung hingerichtet, das Christentum sei ein „common corps“, eine gemeinsame Körperschaft. Ein späterer Nachfolger, Francis Bacon, hätte ein solches Opfer wohl nicht gebracht, appellierte aber an dasselbe Bewusstsein, als er 1617 die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofs forderte, der zwischenstaatliche Auseinandersetzungen beilegen sollte, um „das Vergießen christlichen Blutes“ zu verhindern. Bacons Zeitgenosse Edwin Sandys gab in Europae speculum (1605) dem Wunsch Ausdruck, „das Christentum versöhnt zu sehen“, eine Geisteshaltung, die, wie er schrieb, von seinem Herrn, König Jakob I., zur politischen Leitlinie erhoben werden sollte. Keiner der Nachfolger des Erasmus von Rotterdam legte je wieder so viel an Geschichte und Bedeutung in den Terminus christianitas wie der Humanist selbst, doch sahen auch sie Kriege zwischen christlichen Staaten noch in gewisser Weise als „Bürgerkriege“ und wollten, wie er, Möglichkeiten finden, mit der religiösen Vielfalt zu leben.

Das verlorene Paradies

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