Читать книгу Ein Herz und keine Seele - Mark Billingham - Страница 11

ACHT

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Ihre Autos stehen in verschiedenen Bereichen des riesigen Parkplatzes, weshalb sie noch ein oder zwei Minuten vor dem Multiplex herumstehen. Sie knöpfen die Mäntel wegen der Kälte bis oben hin zu und suchen in den Taschen nach ihren Schlüsseln. Doch keiner von ihnen scheint es besonders eilig zu haben, nach Hause zu fahren.

Er fragt Sarah, wie sie den Film fand.

Es war ein ordentlicher Thriller, an ein oder zwei Stellen richtig gruselig, aber den Schluss fand sie absolut lächerlich, und das sagt sie auch. Er meint, so sei es meistens, das Ende sei immer schwierig. Völlig unvorhersehbare Wendungen und so. Trotzdem muss es ja nicht gleich so schwachsinnig sein, sagt sie, und er lacht, als stimme er ihr zu.

»Noch ein schneller Drink?«

Sarah weiß, dass es noch früh ist, schaut aber trotzdem auf ihre Uhr.

»Superschnell?«

»Nur einen«, sagt sie. »Mein Sohn …«

Er schlägt etwas ganz in der Nähe vor, in Sichtweite eigentlich, aber um zu Fuß dorthin zu gelangen, müssten sie die sechsspurige Southbury Road überqueren. Sie nehmen ihr Auto, weil es näher steht, und binnen fünf Minuten sitzen sie mit ihren Drinks am Ecktisch eines Restaurants mit Bar, in dem es gute und günstige thailändische Gerichte gibt.

Er hebt sein Pint-Glas, und sie stößt mit ihrer Flasche an.

»Da bekomme ich gleich Appetit«, sagt Sarah und deutet mit dem Kopf auf die Satéspieße und Spare Ribs am Nachbartisch. Eine Kellnerin kommt mit etwas Brutzelndem vorbei.

»Wir könnten was essen, wenn Sie wollen. Dauert bestimmt nicht lange.«

»Ich sagte ja schon …«

»Ja.« Er lehnt sich zurück. »Babysitter sind teuer, ich weiß.«

Sie schaut ihn an. »Dann haben Sie auch Kinder?«

»Nein.« Er klingt irgendwie erleichtert und hebt das Glas zum Mund. »Ich meine, sie sind doch teuer, oder?«

Sie nickt. »Ich zahle dem Mädchen acht Pfund pro Stunde. Und ein Uber nach Hause.«

»Himmel, für das Geld würde ich den Job auch machen.«

Sie betrachten die Gäste ringsum, bis ihre Blicke sich wieder begegnen. Schon bei der Ankunft im Kino hat sie bemerkt, dass er dieselbe Schiebermütze trägt, die sie schon im Café gesehen hat. Erfreut hat sie auch sein dichtes Haar registriert. Silbergrau, sehr kurz geschnitten, aber sicher nicht dünn. Er trägt eine Jeans, die vermutlich nicht billig war – vielleicht eine von diesen absurd teuren japanischen, von denen sie gelesen hat. Dazu ein langärmeliges Polohemd, das irgendwie … weich aussieht. Seine Schuhe gefallen ihr ebenfalls, glänzende braune Brogues.

Auch Sarah hat sich Mühe gegeben. Sie zieht sich gern schick an und weiß, dass sie gut darin ist, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Dass sie das perfekte Outfit für jeden Anlass findet. Für die Leute, mit denen sie ihre Zeit verbringen will. Die passende Kleidung für den heutigen Abend auszuwählen war ein bisschen schwieriger gewesen als üblich, weil sie nicht sicher war, wie viel sie von sich selbst preisgeben wollte.

Sie ist sich auch jetzt noch nicht sicher.

Trotzdem ist es aufregend. Der Tanz. Das beiderseitige Vortasten.

»Dann wohnen Sie also auch in Enfield?« Sie sieht ihn an. Der Bezirk, in dem Brooklands Hill liegt, und das HazBeanz. Das Cineworld, das er bei seinem Anruf vorgeschlagen hat.

»Na ja, zu Hause bin ich eigentlich in den Midlands.«

»Oh.«

Er verzieht das Gesicht, als würde er ein schmutziges Geheimnis preisgeben. »Ich bin nur aus geschäftlichen Gründen hier und hatte neulich ein paar Meetings in Enfield, gleich um die Ecke von diesem Café.«

»Ach.«

»Ein Glück für mich, dass ich Lust auf einen Kaffee hatte.«

Sie versucht, seinem direkten Blick standzuhalten, was ihr aber nur für einige Sekunden gelingt.

»Ich meine, für Sie ist es wahrscheinlich nicht ganz so ein Glück …«

Er lächelt, und sie bemerkt seine schönen Zähne. Ein echtes Zahnpasta-Lächeln. Einen kurzen Moment fragt sie sich, ob sie vielleicht künstlich sind, verwirft den Gedanken aber schnell. »Was für Meetings?«

Er winkt ab. »Ach … bloß mit Investoren.«

Sie nickt, um zu zeigen, dass sie beeindruckt ist.

»Nein, nur … Ich hab versucht, noch ein bisschen Geld für eine Sache zu sammeln, die ich auf die Beine stellen will. Ziemlich langweilig, solche Meetings. Ernsthaft. Ich meine, so, dass-man-sich-die-Augen-mit-einem-Löffel-rausschaufeln-will langweilig.«

Sie lacht und nimmt einen Schluck Bier.

»Ich meine, Sie fänden es vielleicht sogar einigermaßen interessant, aber glauben Sie mir: Ich war tagelang bloß mit diesem einen Thema beschäftigt, ich würde viel lieber über etwas anderes reden. Irgendwas anderes.«

»Zum Beispiel …«

»Zum Beispiel über Sie

Wieder lacht sie. Sie genießt den Abend. »Damit habe ich kein Problem.«

Eine Kellnerin erscheint und fragt, ob sie schon in die Speisekarte geschaut hätten. Er sagt, es klinge alles sehr verlockend, aber sie wollten nicht lange bleiben. Die Kellnerin verschwindet wieder.

»Also … Was haben Sie neulich wirklich geschrieben? Im Café?«

Sie überlegt ein paar Sekunden und gelangt zu dem Schluss, dass es zu früh ist, um aus der Deckung zu kommen, und sei es auch nur ein bisschen. »Sagen wir es mal so: Sie würden niemals draufkommen.«

»Nein?«

»Keine Chance.« Hin und wieder wirft sie gern ein Bröckchen Wahrheit ein, um ihrer Lüge ein bisschen … Substanz zu verleihen.

»Dann sind Sie tatsächlich eine Art Schriftstellerin, stimmt’s?« Er neigt den Kopf zur Seite und streicht sich über die grauen Bartstoppeln. »Ich kenne eine Menge Leute, die mit ihren Laptops in solchen Lokalen sitzen und so tun, als würden sie an irgendeinem Meisterwerk feilen. Aber in Wirklichkeit machen sie überhaupt nichts. Und natürlich hab ich Sie neulich ein bisschen auf den Arm genommen … Aber ich schwöre: Als ich Sie gesehen hab, dachte ich sofort, dass Sie wahrscheinlich eine richtige Schriftstellerin sind.«

»Ich … versuche es jedenfalls«, sagt sie.

»Okay. Kann man davon leben?« Er schüttelt den Kopf und starrt in sein Glas. »Tut mir leid, ich bin viel zu neugierig für ein erstes Date.«

Sarah starrt auf den Rest ihres Getränks. Sie denkt, dass es wahrscheinlich gut wäre, bald aufzubrechen. Sie denkt, dass er etwas Bestimmtes an sich hat. Dass sie, wenn sie sich von ihm bumsen ließe, am Ende wohl auf der Strecke bleiben würde.

Sie sagt: »Wahrscheinlich verdiene ich weniger als meine Babysitterin, zum Glück bin ich nicht drauf angewiesen.«

»Weil Sie andere Eisen im Feuer haben.«

»Kann man so sagen.«

»Aber es macht Ihnen Spaß?«

»Oh ja.«

Wieder hebt er das Glas. »Und das ist das Wichtigste, oder?« Er sieht, wie sie auf ihre Uhr schaut und schnell ihre Flasche leert. »Okay, am besten lasse ich Sie jetzt nach Hause fahren.«

Sie schiebt den Stuhl zurück, doch in Wahrheit hat sie es eigentlich nicht eilig, sich zu verabschieden. Dann denkt sie an Jamie, wie er eingemummelt im Bett liegt, die Knie bis an den schmalen Oberkörper hochgezogen und den Daumen im Mund wie ein Baby. »Ich muss …«

»Das irgendwann wiederholen, stimmt’s?«

»Falls Sie noch mal ein bisschen Abwechslung von Ihren langweiligen Meetings brauchen.«

»Aber immer«, sagt er.

»Sie haben ja meine Nummer.« Sie streckt den Arm über den Tisch und berührt kurz seine Hand. »Und ich hab Ihre.«

Sie stehen auf und nehmen ihre Taschen und Mäntel. Sie checken ihre Handys. Ein Mann mit einem Glas in der Hand wartet schon darauf, sich auf den frei werdenden Tisch zu stürzen, doch sie lassen sich nicht hetzen.

»Ich fahre Sie zurück zu Ihrem Auto.«

»Das ist nicht nötig.«

»Sie werden es nicht heil über diese Straße schaffen.«

»Ich komm schon klar, ehrlich.« Conrad bindet sich sorgsam sein Halstuch um. Ein Seidentuch, denkt Sarah und sieht, wie der Stoff durch seine Finger gleitet. »Ab und zu muss man auch mal ein Risiko eingehen«, sagt er. »Meinen Sie nicht?«

Ein Herz und keine Seele

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