Читать книгу Ein Herz und keine Seele - Mark Billingham - Страница 8

FÜNF

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Es ist nicht so, als herrschte um Brooklands Hill herum ein Mangel an Cafés, doch kaum war Sarah Teil der morgendlichen Elternbrigade geworden, hatte sich gezeigt, welches Etablissement deren Meinungsmacher bevorzugten. Wie auf den Hauptstraßen der allermeisten Stadtviertel finden sich auch hier zwei Filialen der bekannten Coffeeshop-Ketten, dazu eine Bäckerei, die einen anständigen Café Latte im Angebot hat. Und doch würde HazBeanz immer die erste Wahl bleiben. Der Kaffee ist gut, natürlich, das Essen bekommt enthusiastische Kritiken, und die Einrichtung ist wie zu erwarten etwas … verschroben. Nicht zueinander passende Metalltische und freigelegte Ziegelmauern. Der Laden ist freundlich, auf nette Weise unkonventionell, vor allem aber unabhängig, was natürlich zwangsläufig etwas über die Kundschaft aussagt.

Es sagt der Welt, dass sie, die Kunden, unabhängig sind, dass sie nicht auf Marken achten und ihr Bestes tun, um die Geschäftswelt vor Ort zu unterstützen. Es zeigt, dass sie eine bewusste Wahl treffen. Vor allem aber lässt es an der simplen Tatsache keinen Zweifel aufkommen, dass sie es sich leisten können, für ihren handgemahlenen Espresso und das extravagante Gebäck ein bisschen mehr auszugeben, und das jeden Morgen.

All das ist Sarah ziemlich egal. Sie würde sich ihren Kaffee auch an der Tankstelle holen oder, noch besser, gratis im Supermarkt, wo sie eine Kundenkarte besitzt. Letztlich trinkt sie sowieso am liebsten einen einfachen, starken Tee. Und ein Bacon-Sandwich ist ihr lieber als ein Macadamia-Muffin. In ihren Augen ist das alles irgendwie hohles Getue. Mehr Stil als Inhalt, so wie es in vielen anderen Bereichen längst alltäglich ist.

Aber das ist für Sarah nicht entscheidend. Sie will einfach mit den anderen zusammen sein.

Manchmal muss sie noch ein bisschen Zeit totschlagen und sich vor den Schaufenstern herumtreiben, denn sie kommt nicht gern als Erste. Heute allerdings sieht sie zu ihrer Freude, dass Savita, Heather und Caroline schon da sind.

An ihrem üblichen Fenstertisch.

Kaffee und Kuchen.

Small Talk …

Winkend geht sie am beschlagenen Fenster vorbei und setzt, ehe sie die Tür öffnet und eintritt, die passende Miene auf. Sie wirkt froh, die anderen zu sehen, aber natürlich, wie sie alle, auch reichlich genervt. Denn es ist wirklich ein Albtraum, die Kinder an der Schule abzuliefern. Kein Wunder, dass nachher alle ihren überteuerten Kaffee brauchen, eine süße Leckerei und die Chance, mal abzuschalten und sich ein bisschen zu entspannen.

»Ehrlich gesagt bin ich jeden Tag völlig erledigt, wenn ich Jacob endlich so weit habe«, hatte Caroline ihr einmal erzählt. »Fix und fertig. Wenn er in der Schule ist, brauche ich diesen Koffeinschub, weil ich immer noch den kompletten Arbeitstag vor mir habe.«

»Ja, ich weiß, was du meinst«, hatte Sarah mit einem mitfühlenden Nicken entgegnet und Heather einen wissenden Blick zugeworfen. »Manchmal fahre ich nach Hause und lege mich gleich wieder ins Bett.«

Caroline hatte ausgesehen, als wollte sie Sarah am liebsten ohrfeigen.

Sobald Sarah bestellt hat – einen Skinny Latte und einen Zimtbagel –, setzt sie sich an einen Einzeltisch den anderen gegenüber. Hin und wieder ist sie mutig genug, um sich zu ihnen zu setzen, aber meistens ist ihr mehr nach etwas Platz und Zeit für sich selbst. Heather bedeutet ihr mit einer Geste, sie solle ihnen Gesellschaft leisten, weil sie nett ist und wahrscheinlich genug von Caroline hat, doch Sarah schüttelt den Kopf. Sie bläst die Wangen auf, lässt die Luft ausströmen und hebt demonstrativ die Laptoptasche, die sie mitgebracht hat. Heather nickt zum Zeichen, dass sie verstanden hat, und Sarahs Lippen bilden ein stummes Sorry. Sie hat noch dringende Arbeit zu erledigen, das verstehen sie immer. Und wenn eine von ihnen am Tisch vorbeikommt oder sich auf ein kurzes Schwätzchen zu ihr setzt, klappt sie den Laptop zu, ehe irgendjemand sehen kann, was sie wirklich macht. Dass sie sehen, wie sie ihn zuklappt, ist nicht weiter schlimm. Alle wissen, warum sie ihre Arbeit geheim hält.

»Was machst du eigentlich genau?«, hatte Heather vor einigen Wochen gefragt.

»Ich, äh … schreibe.«

»Wirklich? Das ist ja toll.«

»Ich bin nicht besonders erfolgreich oder so was. Bloß ein paar Kurzgeschichten.«

»Ich würde so gern mal eine lesen. Ich besuche regelmäßig einen Lesekreis, wir könnten vielleicht …«

»Keine Chance.« Sarah hatte gelacht. »Ich gebe grundsätzlich niemandem, den ich kenne, meine Sachen zu lesen. Um ehrlich zu sein, fällt es mir schon schwer genug, sie den Leuten zu zeigen, die sie mir abkaufen. Nicht dass es viele wären. Außerdem schreibe ich unter Pseudonym, du brauchst dich also gar nicht erst auf die Suche zu machen.«

»Ich hab immer schon mit dem Gedanken gespielt, vielleicht selbst was zu schreiben«, hatte Heather gesagt.

»Warum tust du es dann nicht?«

»Na ja, ich glaube, es ist schwieriger, als die meisten glauben.«

»Man denkt sich bloß was aus, wirklich.« Sarah wollte das Thema abschließen. »Darin war ich schon immer gut.«

In diesem Moment klappt sie ihren Laptop auf und starrt auf den vertrauten Bildschirmschoner. Als sie aufschaut, sieht sie, dass David durch die Tür tritt. Er lächelt, als er sie entdeckt, dann geht er zur Theke, um sich etwas zu bestellen. Sie erwidert sein Lächeln, ist aber ein bisschen enttäuscht, dass Alex nicht aufgetaucht ist. Er kommt nicht regelmäßig, schaut aber ein- oder zweimal pro Woche vorbei. Wäre er heute hier, würde sie sich der größeren Gruppe, zu der er sich meist gesellt, anschließen. Die Sache hat keinen Sinn, das ist ihr schon klar. Er ist ein glücklich verheirateter Hausmann. Und doch spürt sie dieses Kribbeln, und ein kleiner Flirt tut keinem weh.

Eine kleine … Fantasie.

Sie sieht, wie David sich zu den drei Frauen am Fenster setzt. Erst jetzt registriert sie den Mann am Nachbartisch. Zumindest bemerkt sie erst jetzt, dass er sie anschaut.

War er schon hier, als sie reinkam? Sie ist sich nicht sicher.

Er beugt sich zu ihr herüber und sagt: »Entweder Sie schreiben einen schonungslosen, literarisch anspruchsvollen Roman oder …«

»Wie bitte?«

»Ich meine, auf keinen Fall Chick lit.«

Sie schaut ihn an.

»Oder Sie hängen bloß auf Twitter rum.«

Sie zuckt die Achseln und versucht, keine Panik aufkommen zu lassen.

Er lächelt und nimmt einen Schluck Kaffee. »Ich rate bloß.«

Er gehört definitiv nicht zu den Eltern von Brooklands Hill. Da ist sie sicher, weil sie alle vom Sehen kennt. Das ist ihr wichtig. Also kann er auch nichts von dem wissen, was sie den anderen über sich erzählt hat. Gleichzeitig aber ist sie sicher, dass sie ihn auch nicht aus einem anderen Zusammenhang kennt. Wie kann es also sein, dass er überhaupt etwas über sie weiß?

Sie spürt, wie ihr die Röte ins Gesicht steigt.

Dieses Gefühl hat sie noch nie gemocht.

»Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie sich entschieden haben«, sagt sie und wendet sich wieder ihrem Bildschirm zu.

»Okay, mach ich.«

Er muss ungefähr Mitte vierzig sein, denkt sie, ein paar Jahre älter als sie. Er trägt einen Anzug mit Nadelstreifen, dazu allerdings ein Hemd mit Blumenmuster, oberster Knopf offen, und eine ausgebeulte Schiebermütze. Elegant, aber lässig, voll im Trend, vermutet sie. Ein Look, an dem er wahrscheinlich sorgfältig gefeilt hat. Er trägt einen silbrigen Kinnbart und einen kleinen Ohrstecker. Hinter einer Brille mit dickem braunem Rand sind leuchtend grüne Augen zu erkennen.

»Ich muss zugeben, dass ich Mühe habe«, sagt er nach ungefähr einer Minute.

»Wie schade«, entgegnet sie.

»Um sicher zu sein, müsste ich Ihnen ein paar Fragen stellen.«

Sie schaut hinüber zum Fenstertisch und bemerkt, dass Caroline sie beobachtet. Das macht sie glücklich. Langsam klappt sie den Deckel des Laptops herunter und sagt: »Ich gebe Ihnen drei.«

»Drei?«

»Das ist ein einmaliges Angebot.«

Er nickt und lehnt sich zurück, als würde er darüber nachdenken. »Wie heißen Sie?«

Sie braucht ein paar Sekunden. »Sarah.«

»Wohnen Sie hier in der Nähe?«

»Nicht weit weg.« Sie beißt in ihren Bagel und kaut. »Noch eine Frage …«

»Dann wähle ich wohl besser eine gute.«

»Ja, das sollten Sie.«

Erneut beugt er sich vor und senkt die Stimme ein wenig. »Geben Sie jemals fremden Männern Ihre Telefonnummer?«

Sie spürt, dass sie wieder rot anläuft. Aber diesmal ist der Grund ein anderer, und es macht ihr nichts aus. »Sind Sie denn fremd?«

»Auf jeden Fall«, sagt er.

»Dann geben Sie mir Ihre.«

Er rattert eine Zahl herunter, und sie tippt die Ziffern in ihr Handy. Kurz darauf klingelt sein Telefon. Er schaut auf das Display, nickt und drückt den Anruf weg.

»Fremd, aber ehrlich«, sagt sie.

»Ist das gut?«

»Es ist okay«, sagt sie.

Danach schweigen sie, als seien sie beide zu dem Entschluss gelangt, dass genug geredet wurde. Sie schaut sich um und stellt fest, dass auch Heather und Savita sie inzwischen beobachten. Nicht schlecht. Sie genießt den Umstand, dass ausnahmsweise sie es ist, die das Thema vorgibt, dass sie ihnen Gesprächsstoff für später bietet, wenn sie die Kinder wieder aufgabeln.

Sie lächelt.

Wird sie hier gerade tatsächlich von diesem Typen angemacht?

Jedenfalls fühlt es sich so an, und sie ist selbst überrascht, wie sehr sie das freut. Es ist eine ganze Weile her.

Als der Mann aufsteht, bindet er sich ein Halstuch um und sagt: »Ich heiße übrigens Conrad. Oh, und ich tippe definitiv auf etwas Literarisches.«

Sie sieht ihm beim Rausgehen hinterher, klappt ihren Laptop wieder auf und weiß, ohne hinzusehen, dass das Müttertrio am Fenster sie weiter im Blick behält. Ihr Bildschirmschoner leuchtet wieder auf, und sie gibt sich keine Mühe, ihr Lächeln zu verbergen. Ein dunkelhaariger Junge in einem Chelsea-Trikot. Mit Zahnlücke, herumalbernd, die Daumen hochgereckt. Er blinzelt gegen die Sonne, hinter ihm das ungebrochene Blau des Meeres und eines wolkenlosen Himmels.

Jamie …

Ein Herz und keine Seele

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