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ELF

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Sie sitzen im Pizza Express auf der Silver Street, gegenüber der U-Bahn-Station Enfield Town. Sie teilen sich eine große Flasche Peroni und kleine Teller mit Knoblauchbrot und Oliven. Seit dem Augenblick, als sie das Lokal betreten und sich zu ihm an den Tisch gesetzt hat, reden sie beinahe ununterbrochen. Gerade lachen sie darüber, wie viel Zeit – oder besser: wie wenig Zeit – er sich bis zum nächsten Anruf gelassen hat.

»Okay, aber ich hab immerhin nicht vorgeschlagen, dass wir uns gleich am nächsten Tag wiedersehen, oder?«

»Stimmt«, räumt Sarah ein.

»Ich glaube, das hätte ein bisschen aufdringlich gewirkt.«

»Ja, und irgendwie verzweifelt.«

»Jedenfalls wollte ich dir einen Tag Zeit lassen, damit du einen Babysitter engagieren kannst.«

»Sehr aufmerksam.« Sie greift nach einer Olive. »Ich bewundere deine Umsicht.«

»Ein bisschen vorauszudenken zahlt sich meistens aus.«

Ein Kellner bringt ihnen die Pizzen. Sie lächelt, schüttelt den Kopf und legt sich die Serviette auf den Schoß. »Warum nehmt ihr Kerle eigentlich immer das Gericht mit dem meisten Fleisch?« Lachend deutet sie auf seine Pizza, die er gerade mit Chiliöl beträufelt. »Und würzt es so scharf wie möglich? Glaubt ihr, das lässt euch … männlicher erscheinen? Als würde euch das Testosteron aus den Ohren schießen? Du weißt schon … Fleisch! Als würden wir durch den Anblick blöd und schwach, als würde uns das von euren Qualitäten im Bett überzeugen.«

Er hat sich schon über seine Pizza hergemacht und schaut auf. »Du hast absolut recht.«

»Womit?«

»Mit allem.«

Beim Essen plaudern sie weiter dahin, als hätten sie beide beschlossen, um alles einen Bogen zu machen, was irgendwie … tiefer gehen könnte. Lieber reden sie über die Wucherpreise, die man in London für praktisch alles zahlt, über ihre Lieblings-Schokoriegel aus der Kindheit. Über seine pathologische Abneigung gegen das Zuspätkommen und ihre leicht bizarre Sucht nach Darts-Turnieren im Fernsehen.

»Wie sind deine Meetings gelaufen?«, fragt sie. »Mit diesen Investoren oder wem auch immer.«

»Genauso langweilig wie vorgestern.«

»Dann hoffe ich, du gönnst dir wenigstens ein schönes Hotel.«

Er nickt. »Oh Gott, ja.«

»Schokolade auf dem Kissen?«

»Natürlich. Und eine Menge nette Fläschchen im Bad.«

»Nimm sie mit in die Midlands.«

»Klar, ich hab schon einen ganzen Schrank voll.«

Nachdem ein Kellner die Teller abgeräumt und den Tisch gewischt hat, bestellt er noch eine Flasche Bier und sagt: »Erzähl mir von Jamies Dad.«

Ein kluger Zug, denkt Sarah. So zeigt er seine Sensibilität und dass er sich nicht im Entferntesten durch die früheren Männer in ihrem Leben bedroht fühlt. Oder dass er zumindest so rüberkommen will. Für sie ist beides in Ordnung, denn die Frage stellt sie vor keine Probleme.

»Er heißt Peter und wohnt zum Glück inzwischen sonst wo. Ihn zu heiraten war der größte Fehler meines Lebens. Oder sagen wir: der größte Fehler, den je irgendwer begangen hat. Ernsthaft, so schlimm wie der Millennium Dome. Oder sich ein Ticket für die Titanic zu kaufen.«

»Ein kurzsichtiger Gnom, der den Gartenzwerg bumsen will?«

Sarah lacht. »Eigentlich will ich bloß sagen, dass es eine ziemliche Dummheit war. Der ich allerdings Jamie zu verdanken habe. Es war also nicht nur schlecht. Einfach überwiegend schlecht.«

»Was ist passiert?«

»Es war schrecklich, mit ihm zusammenzuleben. Wirklich übel. Er war jähzornig und wurde immer unerträglicher, weil ich nicht zulassen wollte, dass er mich zu jemandem machte, der ich nicht war. Oh, ganz zu schweigen von der einen oder anderen Affäre, von denen ich idiotischerweise dachte, ich könnte damit umgehen. Er hat mich fertiggemacht.« Sie nimmt ihr Glas, lehnt sich zurück und grinst. »Bis ich ihm eines Tages gesagt habe, wohin er sich verpissen soll.«

»Gut so«, sagt er.

»Ja, obwohl es eine ganze Weile gedauert hat. Ich hab das Haus bekommen, komplett abbezahlt. Inzwischen ist es deutlich wertvoller als zu der Zeit, wo ich ihn rausgeworfen hab. Außerdem liegt einmal im Quartal ein hübscher Unterhaltsscheck im Briefkasten. Ich komme ganz gut zurecht.«

»Scheint so.«

»Mit dem Schreiben verdiene ich genug fürs Essen und die Rechnungen. Für Telefon, Auto und das alles … und ich kann mir hin und wieder eine Reise mit Jamie leisten.« Sie schüttelt den Kopf und schiebt sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wenn ich ehrlich bin, liege ich nachts manchmal wach und frage mich, ob ich das alles wirklich mitgemacht hab, verstehst du? Alles erduldet hab. Es kommt mir vor, als wäre es einer anderen passiert.«

Er nickt, nachdenklich und mitfühlend. »Hat Jamie noch Kontakt zu ihm?«

»Sie sehen sich ein paarmal im Jahr, nicht öfter. Darauf haben wir uns geeinigt. Aber es fängt an, ihn durcheinanderzubringen.«

Er wirkt verwirrt.

»Jamie, meine ich. Peter ist für ihn einfach ein Typ, der zweimal im Jahr mit ihm Urlaub macht und ihm Spielzeug kauft, das er nie benutzt. Jamie kennt ihn eigentlich nicht und redet nie über ihn. Das hat nichts mit einem richtigen Vater zu tun, oder?«

In den Sekunden, bevor er seinen Blick senkt, sieht sie etwas Düsteres über sein Gesicht huschen. »Nein«, sagt er. »Ganz und gar nicht.«

»Dann erzähl du mal. Was ist mit dir?«

Als er wieder aufblickt, ist sein strahlendes Lächeln zurück. »Na ja, ich schätze, ich hab auch ein paar Fehler begangen. Allerdings nicht so schlimme … keine Titanic-Dimensionen, bloß eine Menge falscher Entscheidungen.«

»Zum Beispiel?«

»Ach, der übliche Beziehungskram eben. Jemand wird eifersüchtig oder fühlt sich unter Druck gesetzt. Die Arbeit kommt dazwischen. Wahrscheinlich war es genauso sehr meine Schuld wie ihre, in den meisten Fällen.«

Sarah hebt die Augenbrauen und schenkt sich den Rest Bier ein. »Dann gab es also viele Fälle

»Durchschnittlich, würde ich sagen.«

Er fragt, ob sie ein Dessert möchte. Sie streicht sich zufrieden über den Bauch und schüttelt den Kopf. Während er dem Kellner signalisiert, dass sie bezahlen möchten, sagt sie: »Letztlich ist alles eine Frage des Timings, oder? Die richtigen Menschen zur richtigen Zeit zu treffen.«

»Exakt.«

»Im richtigen Café.«

Er beugt sich vor. »Manchmal ist es pures Glück.«

»Glück oder nicht, es geht darum, aus Fehlern zu lernen, damit man sie nicht wiederholt.«

»Oh, ich werde überhaupt keine Fehler mehr machen«, sagt er.

Sie lässt sich von ihm nach Hause bringen, obwohl ihre Wohnung nur fünf Minuten entfernt ist. Sie weiß, dass es ein großer Schritt ist, ihm zu zeigen, wo sie wohnt. Aber es ist kalt, und sie hat wenig Lust, zu Fuß zu gehen. Außerdem hatte sie bereits vermutet, dass er es ihr anbieten würde, und beschlossen, sich darauf einzulassen.

Sie lösen die Gurte, bleiben aber noch etwas im Wagen sitzen, einem teuren Mercedes. Das Auto ist makellos gepflegt, was Sarah für ein gutes Zeichen hält. Außerdem liegt irgendein Duft in der Luft. Normalerweise wird ihr von so etwas schlecht, doch in diesem Fall ist es anders. Sie findet, der Wagen riecht beinahe so gut wie er. So frisch und nur darauf wartend, in Unordnung gebracht zu werden.

»Dich zu bitten, auf einen Kaffee oder etwas mitzukommen, wäre ein bisschen übereilt, oder?« Sie dreht sich in seine Richtung. »Ein bisschen flittchenhaft.«

»Auf jeden Fall«, sagt er.

»Dann sind wir ja einer Meinung.« Und doch will sie ihn wirklich. Auch daran hat sie den ganzen Tag über gedacht. Sie kennt ihn erst seit drei Tagen, würde ihn aber gern mitnehmen und ihm zeigen, was für ein Flittchen sie sein kann.

Oder schüchtern, aber willig.

Oder hilflos …

Wie auch immer er es will.

Seit er den Wagen angelassen hat, läuft Musik. Irgendwas Entspanntes, Jazziges, aber mit Melodie, was ihr gut gefällt. Sie sieht zu, wie er die Musik ausmacht. Perfekte Fingernägel hat er.

Er sagt: »Danke für einen schönen Abend. Schon wieder.«

»Ich geb mir Mühe.«

»In der Tat …« Er beugt sich hinüber, um sie zu küssen. Sie öffnet die Lippen, doch er dreht den Kopf im letzten Moment und küsst ihre Wange.

Sie lehnt sich zurück und atmet so tief und schnell wie schon lange nicht mehr. »Okay«, sagt sie.

»Ich will nicht verzweifelt erscheinen.«

»Ich glaube, ich kann deine Verzweiflung sehen.« Sie deutet mit dem Kopf auf seinen Schoß, wo seine Erregung deutlich sichtbar geworden ist, trotz des dicken Jeansstoffs.

Er grinst anzüglich und nimmt die Hand herunter, um die Schwellung zu verbergen. »Keine Sorge, ich entspann mich, wenn ich wieder im Hotel bin.«

Ihr liegt eine Antwort auf den Lippen, und sie spürt, wie ihr das Blut ins Gesicht schießt. Ruf mich an, wenn ich dir zur Hand gehen soll, sagt sie beinahe, kommt dann aber zu dem Schluss, dass er längst genau weiß, was sie denkt.

Sarah öffnet die Wagentür.

»Die besten Dinge passieren, wenn man warten kann.« Conrad drückt einen Knopf, und der Motor erwacht zum Leben. »Die allerbesten.«

Ein Herz und keine Seele

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