Читать книгу Ein Herz und keine Seele - Mark Billingham - Страница 15

ZWÖLF

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Als Tanner die Tür öffnete, präsentierte Thorne eine Flasche Wein. »Das Beste, was Oddbins im Bereich Bezahlbar-und-nicht-allzu-eklig anzubieten hat.«

Tanner musterte das Etikett. »Exzellent. Und für dich habe ich ein paar Dosen Billigbier kalt gestellt. Zeit, unseren Kummer zu ertränken.«

»Meinen Kummer, meinst du. Du hast wenig Grund zur Traurigkeit, du hast doch sowieso nichts erwartet.«

Die Resultate der forensischen Untersuchungen, auf die Thorne gewartet hatte, waren am Tag zuvor kurz vor Feierabend eingetroffen. Die Fingerabdrücke des Mannes, der Philippa Goodwin betrogen hatte, waren nicht registriert, und seine DNA fand sich nicht in der landesweiten Datenbank.

»Okay«, sagte Tanner. »Dann reden wir nicht lange über Gründe und betrinken uns einfach.«

Sie machte einen Schritt zur Seite und ließ Thorne vorbei. Er bemühte sich, beim Eintreten geradeaus zu schauen, den Blick nicht auf den Fußboden zu richten und sich nichts anmerken zu lassen. Der Teppich in Tanners Hausflur war schon nicht mehr ganz neu, und doch musste Thorne unwillkürlich an den Zustand denken, in dem sein Vorgänger gewesen war.

An die Blutspuren und die weißen Flecken, die das Bleichmittel hinterlassen hatte.

An dieser Stelle war Tanners Partnerin Susan vor knapp anderthalb Jahren erstochen worden.

»Setz dich schon mal«, sagte Tanner. »Ich bring dir ein Bier.«

Thorne musste nicht fragen, ob Tanner aufgeräumt hatte, weil sie Besuch erwartet hatte. Die Frau ließ einfach nicht zu, dass es jemals etwas aufzuräumen gab. Die Fernsehzeitschrift, die offen auf dem Couchtisch lag, und die Hausschuhe, die Seite an Seite neben der Couch standen, wirkten angesichts der ansonsten mustergültigen Ordnung geradezu chaotisch.

»Auf deine alten Tage wirst du ein bisschen schlampig«, sagte er, als sie mit seinem Bier hereinkam.

»Halt die Klappe«, sagte sie, und dann: »Wieso?«

Thorne deutete auf die Zeitschrift, die Tanner daraufhin schnell zuschlug und unter dem Tisch verschwinden ließ. Dann griff sie nach den Hausschuhen. »Das Essen ist in fünf Minuten fertig«, sagte sie. »Im Prinzip muss ich es nur aufwärmen.«

»Nudeln von Marks & Spencer?«

Tanner hob drohend einen Finger, wandte sich ab und rief auf dem Weg in die Küche: »Ich hab doch gesagt, ich lerne dazu.«

Ein Running Gag mit düsterer Vorgeschichte.

Während Tanner in ihrer Beziehung immer den organisierten Part gespielt hatte – sie hatte die Rechnungen bezahlt und sich um die Steuererklärungen gekümmert –, war Susan eindeutig die bessere Köchin gewesen. Unglücklicherweise hatte sie sich zu den Mahlzeiten, das Frühstück eingeschlossen, reichlich Wein gegönnt. Die aus ihrer Sucht erwachsenen Spannungen waren – traurigerweise – bis zu ihrem Tod nicht ausgeräumt worden.

Ein plötzliches Klappern in der Küche ließ Thorne zusammenzucken. Er nahm Platz und trank die Hälfte seines Bieres in einem Zug. Er wusste, dass er nicht der Einzige war, der sich mit Schuldgefühlen herumschlug. Als er sich umschaute, bekam er den Eindruck, dass das Haus beinahe wieder so aussah wie vor der Brandstiftung, die Tanner beinahe das Leben gekostet hatte. Unglaublich ordentlich und trotzdem gemütlich. In den Regalen zu beiden Seiten des Kamins standen jetzt deutlich mehr Bücher, und es freute ihn, dass Tanner wieder zu ihrer Sortierung nach Farben zurückgekehrt war.

Als Mrs Slocombe, Tanners Katze, ins Zimmer tapste und ihn pflichtbewusst ignorierte, lehnte Thorne sich zufrieden zurück und nahm noch einen Schluck. Er merkte, wie er sich entspannte.

»Bitte schön.«

Tanner trat ein und stellte ein Tablett auf den Couchtisch. Eine Schale mit etwas, das tatsächlich appetitlich aussah, dazu Papierservietten, Salz und Pfeffer. Sie eilte zurück in die Küche, um auch ihr Tablett zu holen, auf dem zusätzlich eine Küchenrolle lag, für alle Fälle.

»Carbonara«, sagte sie. »Hau rein.«

»Toll …«

Thorne legte sich das Tablett auf den Schoß. Kaum hatte er die erste Gabel im Mund, als Tanner schon fragte: »Also, was läuft zwischen dir und Helen?«

Er schluckte die Nudeln schnell herunter. »Das dachte ich mir.«

Tanner mimte die Unschuldige.

»Verdammt, du hast mir noch nicht mal meine Rechte vorgelesen.«

»Kein Grund, gleich einen Aufstand zu machen«, sagte sie.

Während des Essens erzählte Thorne, was es seit dem letzten Gespräch Neues zu erzählen gab, also nicht viel. Er und Helen waren nach wie vor dabei, zu ›schauen, wie es läuft‹. Und sie kamen ganz gut zurecht, er fühlte sich wohl in seiner alten Wohnung.

»Aber du vermisst Alfie, oder?«

Thorne warf ihr einen düsteren Blick zu.

»Na ja, ich meine, natürlich vermisst du ihn. Ich hab euch beide zusammen gesehen, vergiss das nicht.« Sie legte die Gabel weg. »Schau mal, ich weiß ja nicht, was deiner Meinung nach am Ende dabei herauskommen soll, und ich schätze mal, du weißt es selbst nicht … Aber das, was passiert, passiert. Und am Ende wird es wahrscheinlich das Beste für euch beide sein.«

»War’s das?«

Sie nickte und griff wieder nach ihrer Gabel.

»Ich sag dir was: Falls die Mitarbeiterzeitschrift der Metropolitan Police jemals auf die Idee kommt, dich die Kummerkastenseite betreuen zu lassen, geht das Ding in null Komma nichts pleite.«

Das Essen war so gut, dass Thorne die strahlende Tanner um einen Nachschlag bat. Als er fertig war und sie alles in die Küche gebracht, die letzten Reste in den Müll geworfen und die Spülmaschine angestellt hatten, kehrten sie ins Wohnzimmer zurück. Tanner öffnete den Schrank mit der Mini-Stereoanlage und legte eine CD auf. Ein Kerl mit Gitarre und Jammerstimme sang jämmerliche Songs übers Jammern, doch in Thornes Ohren klang es gar nicht mal so übel.

Was Beweis genug dafür war, dass er sich tatsächlich langsam entspannte.

»Bloße Geräuschkulisse, das hast du mal gesagt. Weißt du noch? Du hast gesagt, Musik sei nichts als Geräusche.«

Sie setzte sich und hörte eine Weile zu. Dann senkte Thorne seine Stimme und sagte: »Versuchen Sie gerade, mich zu verführen, Mrs Robinson?«

Tanner starrte ihn fragend an. »Mrs Wer

Lachend winkte Thorne ab. »Egal.«

»Und, was hast du jetzt in der Goodwin-Sache vor? Wie willst du diesen Jennings aufspüren?«

»Wie kommst du darauf, dass ich etwas vorhabe? Ich meine, die Sache ist erledigt, oder?«

»Ja, das sollte sie sein«, sagte Tanner. »Aber ich kenne dich schon eine Weile.«

»Hm, was würdest du denn tun?« Thorne setzte sich aufrecht hin. »Schon klar, dass du nichts tun würdest, aber … rein hypothetisch.«

»Warum sprichst du nicht mit den Kollegen vom Betrugsdezernat? Findest raus, was sie vorhaben, und siehst zu, dass du ihnen irgendwie zuvorkommen kannst.«

»Klar, ein Kinderspiel.«

»Oder du lässt sie einfach ihre Arbeit machen. Lehnst dich zurück und wartest, dass sie ihn schnappen. Wie auch immer, ich hab ihnen alles an Informationen geschickt, was wir haben.«

»Verdammt, muss bei dir eigentlich immer alles so übermäßig korrekt laufen?«

»Ich geb mir Mühe.« Tanners Stimme klang mit einem Mal ein wenig angespannt.

»Es wäre nett gewesen, wenn du mir Bescheid gegeben hättest, mehr will ich damit gar nicht sagen.«

»Russell hat mir praktisch keine Wahl gelassen. Außerdem ist es richtig so.«

»Ja, wenn Aufgeben richtig ist.«

»Hör dich mal reden, Tom.«

Tanners Gesichtsausdruck beendete die Diskussion. Thorne schloss für mehrere Sekunden die Augen und lehnte sich zurück. »Das lass ich lieber bleiben«, sagte er. »Manchmal gehe ich mir ziemlich auf die Nerven.«

Der jammernde Sänger musste etwas Instrumentalem weichen – leicht und latinomäßig –, und dem ersten Bier folgten weitere, die ihrem Austausch über den neuesten Klatsch aus dem Einsatzraum Schwung gaben: eine Kollegin, deren Freund gerade mit Tatortfotos auf dem Laptop erwischt worden war, ein Beamter der Spurensicherung, der dank zweifelhafter Garnelen am Vorabend einen Tatort »ruiniert« hatte, ein männlicher Detective, der neuerdings als weiblicher Detective angesprochen werden wollte. Als Thorne verkündete, es sei Zeit zum Aufbruch, deutete Tanner auf die leeren Bierdosen auf dem Couchtisch.

»Nur wenn du mit der U-Bahn gekommen bist.«

»Komm schon, Nic …«

»Willst du rausgewinkt werden und deinen Job verlieren?«

»Wieso, verpfeifst du mich?«

Tanner atmete langsam und kontrolliert aus. »Das Gästebett ist gemacht.«

»Vorausschauend«, stellte Thorne fest.

»Es ist immer gemacht.«

Thorne seufzte und erhob sich langsam. »Ich hoffe, es gibt ein anständiges Frühstück.«

»Ich kann dir einen Toast machen.«

Er trottete in den Flur und stieg die Treppe hinauf. Plötzlich fühlte er sich hundemüde. Auf dem Absatz drehte er sich um und sah Tanner, die unten bereits die Haustür abschloss.

»Was hättest du gemacht, wenn ich in mein Auto gestiegen wäre? Hättest du irgendwas gemacht?«

Sie schaute zu ihm hoch. »Ich hätte … überlegen müssen.«

Thorne lehnte sich gegen das Geländer. Und dachte: Vor sieben Monaten hast du nicht lange überlegt. In der leer stehenden Wohnung, den Schürhaken in der Hand …

»Hast du noch mal drüber nachgedacht? Das Haus zu verkaufen?«

»Ja«, sagte Tanner. »Aber ich denke, ich bleibe erst mal hier.«

Thorne nickte. »Was immer dich glücklich macht.« Dank einer Lebensversicherung hatte Tanner nach Susans Tod die Hypothek ablösen können, sodass ihr das zweistöckige Haus in Hammersmith nun komplett gehörte. Allerdings war es zu groß für sie. Fühlte sich zu groß an. Vor sieben Monaten hatte sie umziehen wollen und sich nach einer passenden Wohnung umgeschaut.

Bis sie die falsche betreten hatte.

Bis das Leben – der Tod – dazwischengekommen war.

Thorne sagte Gute Nacht und öffnete die Tür zum Gästezimmer. Vor dem Bett lag ein Handtuch, von dem ihn nun die Katze anstarrte, reglos und offenbar nicht bereit, ihren Platz zu räumen.

»Mach bloß keinen Ärger«, sagte Thorne.

Ein Herz und keine Seele

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