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VIERZEHN

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Sarah zieht die kleine Metallkiste hervor, die hinter Farbeimern und verstaubten Flaschen mit Abfluss- und Fensterreiniger verborgen ist. Sie nimmt einen der fertig gerollten Joints heraus, lässt sich auf einen schäbigen Deckchair fallen und zündet sich die Tüte an. Der Heizlüfter ist noch nicht richtig in Gang gekommen, sodass sie in der Garage ziemlich friert, aber zum Rauchen muss sie hierherkommen.

Sie will den Geruch nicht im Haus haben.

Sie will nicht, dass die Frau, die den Hund ausführt, oder der Fensterputzer oder sonst irgendjemand etwas riecht und das Jugendamt anruft. Natürlich hätten sie damit recht, und sie würde wahrscheinlich dasselbe tun. Ein nach Gras stinkendes Haus ist definitiv nicht der richtige Ort für eine alleinstehende Mutter und ihren Sechsjährigen. Aber ein offizieller Besuch würde ohnehin nicht gut für sie ausgehen.

Das Zeug ist anständig. Sie hat es von einem der älteren Jungs im Park an der Schule gekauft, ehe sie Jamie abgeholt hat. Nach dem zweiten Zug spürt sie den Kick. Spürt, wie die Leichtigkeit durch ihren Körper strömt.

Sie legt den Kopf zurück und denkt an ihn. An ihre Worte im Restaurant und an seine Reaktion. An das, was sie in seinen Augen gesehen und was er ausgestrahlt hat. Sie denkt an die Seite von ihm, die er ihr so gerne zeigen wollte, und an alles andere, das er nicht verbergen konnte. An jede verdammte Sache, die sie gewollt hat, als sie vor gerade mal einer Stunde in seinem großen, glänzenden Auto saß.

Sie greift nach ihrem Handy und schickt ihm eine SMS: Hast du dich schon entspannt? Dann starrt sie auf das Display und wartet auf seine Antwort.

Sie versucht sich an das letzte Mal zu erinnern, als sie etwas annähernd Vergleichbares für jemanden gefühlt hat. Begehren, ja, denn gewisse Bedürfnisse müssen ab und zu erfüllt werden. Und trotzdem erscheint die Verbindung, die sie gespürt hat, ihr irgendwie neu und besonders. Sie fragt sich, ob es an ihm oder am Gras liegt, dass sie sich so benommen und scheiß-drauf-sorglos fühlt. Sie ist bereit loszulassen und lacht laut auf.

Aber natürlich macht er ihr auch Angst.

Nicht er, also das, was er ist und was er will, sondern die Macht, mit der er offensichtlich in der Lage ist, sie zu verwandeln, ob bewusst oder nicht. Mit der er eine neue Art von Begehren in ihr weckt, das sie so irrsinnig schnell überwältigt hat und sich stärker anfühlt als jedes rein körperliche Begehren. Ja, noch viel stärker als etwas Körperliches, selbst wenn sie sich ihn im Bett vorstellt.

Conrad, oder wie auch immer er in Wahrheit heißt.

Denn was ihr wirklich Angst macht, was ihr beim Gedanken an ihn derart den Atem raubt, ist, dass sie den übermächtigen Drang verspürt, ihm die Wahrheit zu sagen.

Ganz sicher liegt weder ein Stück Schokolade auf seinem Kissen noch liegt im Badezimmer irgendetwas, das man mit nach Hause nehmen möchte. Ein in Plastik verpacktes Stückchen Seife und ein paar Miniflaschen Shampoo aus dem Supermarkt. Wenn man bedenkt, wie billig das Zimmer ist, grenzt es fast an ein Wunder, dass es eine Fernbedienung für den kleinen Fernseher gibt und die Laken sauber sind.

Angesichts seines kürzlichen Hauptgewinns hätte er es sich natürlich leisten können, etwas tiefer in die Tasche zu greifen, doch er ist schon immer sparsam gewesen und hat nie einen Sinn darin gesehen, das Geld zum Fenster rauszuwerfen.

Vielleicht beim nächsten Mal, denkt er. Nach dem nächsten Zahltag.

Er sitzt vor dem Halbkreis der an die Wand montierten Holzfaserplatte, die hier als Schreibtisch herhalten muss, und klappt seinen Laptop auf. Für einen brauchbaren Plan ist es natürlich ein bisschen zu früh – er muss sein Ziel erst besser kennenlernen –, doch ein bisschen Vorbereitung kann nie schaden. Manchmal bietet sich die perfekte Gelegenheit zum Abkassieren früher als erwartet, denn im Idealfall sind natürlich sie es, die das Tempo diktieren. Die Letzte war schon fast zu schnell gewesen und hätte ihn beinahe unvorbereitet erwischt. Von dem Augenblick an, als er über die Idee mit den Vorlesungen gesprochen hatte, hat sie praktisch darum gebettelt, ihn mit Geld zuschütten zu dürfen.

Ein echtes Kinderspiel.

Sein Handy meldet sich. Er nimmt es in die Hand und liest ihre SMS. Sieht so aus, als würde es auch bei ihr nicht lange dauern. Er macht sich Notizen. Ein paar mögliche Interessengebiete, mit denen er sie ein bisschen kitzeln kann. Sie hat eine künstlerische Ader, also liegt es nahe, in diese Richtung zu denken. Vielleicht ein Verlag oder etwas in der Art, ein Projekt, das sich auf unentdeckte Talente spezialisiert. Das könnte es sein, nur, dass er praktisch nichts über diese Dinge weiß. Also wird er um ein paar Hausaufgaben nicht herumkommen.

Noch einmal schaut er auf ihre SMS. Sie erweckt in ihm das Bedürfnis, sich gleich wieder auf das schmale harte Bett zu legen und sich noch einmal gründlich zu entspannen.

Wahrscheinlich sollte er online gehen und sich ein bisschen Basiswissen über das eine oder andere Buch aneignen, so tun, als wäre er ein begeisterter Leser. Und zwar richtiger Romane, nicht bloß billiger Thriller oder so etwas. Er muss leidenschaftlich rüberkommen, das bringt sie immer auf Trab und öffnet ihre Portemonnaies.

Schnell schickt er eine Antwort: Ja, und rat mal, an wen ich gedacht hab?

An wen ich immer noch denke, um genauer zu sein. An ihre Figur und ihren Geruch, an ihr leicht dreckiges Lachen und die Art, wie sie im Auto den Mund für ihn geöffnet hat.

Er reißt die Seite mit hingekritzelten Notizen heraus und knüllt sie zusammen. Ihm ist schon klar, dass er nichts Weltbewegendes notiert hat, und trotzdem ist er schockiert, weil er sich eingestehen muss, dass er nicht mit dem Herzen dabei war. Er kriegt es nicht hin. Weil er sie einfach nicht auf diese Weise betrachtet – nicht mehr, seit sie im Kino neben ihm gesessen hat.

Er macht sich etwas vor, eigentlich hat er schon bei ihrem ersten Blick im Café gespürt, dass irgendetwas Ungewöhnliches vor sich ging. Ein Instinkt, den er ignoriert, und eine Stimme, die er überhört hat: dass er sich möglichst schnell aus dem Staub machen sollte.

Mein Gott, denkt er, es gibt für alles ein erstes Mal. Wie soll das weitergehen? Eigentlich kümmert es ihn nicht. Er hat das Handy immer noch in der Hand, sitzt da wie ein geiler Sechzehnjähriger und wartet, dass sie ihm noch eine Nachricht schickt.

Er denkt an nichts anderes als Sarah, was sie denkt, fühlt, was sie will. Nicht an ihr Bankkonto und die Summe, die er sich abzweigen kann. Zum ersten Mal, seit er alt genug ist, jemanden abzuschleppen, denkt er nicht ans Geld.

Ein Herz und keine Seele

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