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Max kommt vorsichtig um die Ecke zurück zu den Marktständen. Er schaut sich nach allen Seiten um. Der Mann mit der Lederjacke ist nicht mehr zu sehen.

Der Duft von frischem Brot strömt aus einer Bäckerei. Max gerät ins Träumen. Der Duft erinnert ihn an seine Jugend, obwohl er den Zusammenhang nicht hätte erklären können.

Wozu sich unnötig Sorgen machen. Alpenparadies Dolce Vita … und was bitte noch alles! Der Direktor kann ihm den Buckel runter rutschen! Was gibt es herrlicheres als frisches Brot! Doch nach einem Tag ist es bereits alt. Es gibt zwar Menschen, die so etwas mögen. Er nicht. Er schrickt zusammen. Ein Feuerwehrleiterwagen fährt heulend vorüber, hält etwas weiter vorne an. Die Leute bleiben stehen, gaffen. Auch Max bleibt stehen. Die Leiter wird ausgefahren, gegen ein Dachfenster gestellt, ein Feuerwehrmann klettert hinauf. Die Leute fotografieren und filmen mit ihren Handys, reden erregt durcheinander, lange Hälse, kleine Kinder werden auf die Schultern gehoben.

Das ist es, was die Menschen interessiert, die wirklichen Probleme lassen sie kalt, werden ignoriert, ärgert sich Max und schnäuzt seine Nase. Ein Leben lang Gaffende. Bei denen ist es ein Leichtes, sie … Die merken nicht mal, dass es sie selbst betrifft, merken es erst, wenn es zu spät ist.

Eine Händlerin erzählt, man habe die Feuerwehr benachrichtigen müssen, weil die da oben unter dem Dach gedroht habe, aus dem Fenster hinunter auf die Marktstraße zu springen. Stellen Sie sich vor! Zut alors! Aber am Dachfenster ist keine Frau zu sehen, und Max ist sich nicht sicher, ob er richtig gehört hat. Inzwischen ist ein Kastenwagen der Polizei angerückt. Ein kleines Mädchen, das neben Max steht, fordert seine Maman mit quengelnder Stimme auf, endlich ein Foto zu schießen. Da diese nicht sofort reagiert, tritt das kleine Mädchen sie heftig gegen das Bein. Die Maman verzieht vor Schmerz das Gesicht, schimpft jedoch nicht etwa mit der Kleinen, sondern gehorcht und knipst jetzt mehrere Bilder.

Der Feuerwehrmann auf der Leiter schaut noch immer ins Zimmer. Nebenan öffnet sich das Fenster, ein Frauenkopf, eine Hand werden sichtbar, die Hand streut Erde auf die Menge, die mit entrüstetem Ausruf zur Seite weicht, worauf Hand und Kopf gleich wieder verschwinden, das Fenster geschlossen wird. Unten schwenken sie die Leiter hinüber, der Feuerwehrmann oben schlägt mit dem Beil die Scheibe ein, greift hinein, öffnet das Fenster und klettert ins Zimmer. Mehrere Polizisten stürmen in den Hauseingang.

Etwas später kommen sie mit einer jungen Frau aus dem Haus, steigen mit ihr in den Kastenwagen, der sofort von der Menge umringt wird. Zwei Flics treiben die Gaffer auf Distanz. Eine Frau klammert sich richtiggehend an die Gitterstäbe am Rückfenster des Kastenwagens, um besser hineinschauen zu können.

«Na also», sagt ein Mann mit einem beachtlichen Wanst zu Max und strahlt gemütlich, «es sind doch immer die Jungen, die Probleme bereiten.»

Dies tönt wie eine Aufmunterung an die Adresse von Max. Er tut, als habe er nichts gehört.

«Das ist doch kein übertriebener Tierschutz!»

Max dreht sich um. Mit wem spricht die junge Frau, die auf hohen Absätzen vorbei stöckelt?

«Wir fordern ja nur die gleichen Grundrechte für Primaten wie für Kleinkinder und Behinderte.»

Ach so, sie hat ein Handy ans Ohr geklemmt.

Polizei und Feuerwehr sind weggefahren, die Menge hat sich wieder auf dem Markt verteilt. Das normale Treiben, als wäre nichts geschehen. Und wäre er ein paar Augenblicke später gekommen, wüsste er von nichts, wäre nichts geschehen, wie bei tausenden von anderen Begebenheiten, mögen sie für den Einzelnen noch so bedeutsam sein.

«Also das wird mir langsam unheimlich», sagt ein Gemüsehändler und reicht einer Kundin eine Tüte mit Tomaten. «Vor gar nicht langer Zeit hat hier in dieser Straße eine Frau ihre zwei kleinen Kinder aus dem Fenster geworfen. Aber ich sag ja. Das hat man jetzt davon. Die Mutter dieser Frau … Und erst der Vater! Das ist doch eine Marktstraße! Macht zwei Euros. Die Petersilie schenke ich Ihnen, meine hübsche, kleine Dame.»

Max weiß nicht, ist es zum Lachen, ist es zum Weinen?

Hübsche, kleine Dame. Die Kundin überragt ihn um mindestens einen Kopf. Aber was der Gemüsehändler vorher erzählt hat, ist nun wirklich nicht zum Lachen. Max geht schnell weiter.

Eine ältere Frau, die blonden Haare mit roten Seidenschleifen zu zwei Schwänzchen gebunden, die seitlich neckisch abstehen, trippelt vorbei. Die Backen rot geschminkt. Ein Röckchen, weiße Socken. Krampfadern. Sie sieht Max mit Augenaufschlag an. Die glaubt wohl, er sei blind!

Falls das mit dem Alpenparadies Dolce Vita nicht nur ein Gerücht ist, dann … Ein bisschen leid tut sie ihm schon. Dann würde sie über kurz oder lang … So auffällig wie sie sich benimmt. Oder eben gerade nicht. Zu auffällig, um aufzufallen. Das ist es. Aber so etwas liegt ihm nicht. Und wer weiß, ob sie nicht trotzdem … wie sagt man dem wohl? Ausgewählt? Dennoch hat er das Gefühl, als hätten sie es darauf angelegt, ihn zu verhöhnen. Erst die Bettlerin und jetzt diese schrullige Alte als Lolita.

«Nero! – Nero!»

Und was biegt um die Ecke? Ein Rehpinscher, eine etwas vergrößerte Ausgabe einer Kellerassel, trabt jetzt hinter Frauchen her. Im Vorbeigehen mustert ihn die Dame mit dem Hündchen. In ihren Augen liegt ein Ausdruck, als wüsste sie Bescheid.

Bestimmt verdankt er es so einem Liebling, dass er gestern Abend kurz vor dem Metroeingang eine braune Fußspur hinterließ.

Er weicht zur Seite. Ein Scherenschleifer schiebt sein farbiges Wägelchen mit einem mit Tretpedalen angetriebenen Schleifstein aus einem Durchgang. Max hat gar nicht gewusst, dass es das überhaupt noch gibt.

Endstation Alpenparadies

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