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Der Krämer steht unter der Tür seines Ladens, trägt einen verwaschenen Berufsmantel, «Heiland Sandalen». In der Hand hält er eine Blechschale voller farbiger Bonbons, schiebt ein Bonbon in seinem Mund hin und her. Plötzlich spuckt er es zurück in die Schale und verschwindet in seinem kleinen Laden. Beim Vorübergehen wirft Max einen verstohlenen Blick hinein. Vollgestopft mit allerlei Krimskrams, verstaubtem Kinderspielzeug, Scherzartikeln. An der Wand eine Maske. Eine bösartige Fratze. Max entziffert auf dem Schildchen darunter: «Seni – der Senior». Der Krämer ist gerade dabei, die Bonbons aus der Schale in ein großes Glas zu schütten.

Als ob ihn jemand in den Bauch getreten hätte, kommt plötzlich alles gleichzeitig wieder in Max hoch. Der Direktor, dessen Visage, giftiger Zwerg, die Kündigung, ein Tritt in den Arsch ist das, aber nicht mit ihm, das muss er sich nicht bieten lassen, und diese Weiber in der Metro, Alpenparadies Dolce Vita, so ein Blödsinn, Getratsche, Alpenparadies, er ist noch nicht alt, wozu hat man sich all die Jahre eingesetzt, so kann man nicht mit ihm umspringen, man ist doch ein Mensch, nur zu, her mit den neuen Computern, an die Steckdose mit ihnen, merde, die ganze Welt vernetzt, Menschlichkeit schon längst nicht mehr gefragt, veraltet, weg damit, man wird ja sehen, wohin das führt, die beiden Frauen in der Metro hatten völlig recht, nom de Dieu, und all die Jahre sich eingesetzt für drei Mal nichts, dabei hätte er, wenn er nur gewollt, zu spät, all die Jahre gibt ihm keiner zurück, kleben geblieben wie eine Fliege, ein Fliegenleben, und dieser elende Krämer schüttet Bonbons von einem Glas ins andere, Bonbons, die er vorher abgeschmeckt hat!

In der Rue St-Denis stehen die Damen wieder in schmalen Hoteleingängen Spalier, lehnen sich an die Hauswand. Etwas weiter oben stehen sie sogar splitternackt in einem Schaufenster. Ein Mann ist dabei, einer von ihnen einen Slip anzuziehen. Hier scheint es verkehrt abzulaufen. Und jedermann kann zuschauen. Erst beim Näherkommen merkt Max, dass die nackten Damen Schaufensterpuppen sind, die, so nackt, ganz traurig in die Welt schauen.

Sie sitzt auf der Bank nebenan. Jung, das Gesicht hinter einem Buch versteckt, trägt eine grüne Bluse, in der sich die Brustwarzen abzeichnen. Max schaut verstohlen zu ihr hinüber. Ganz unverhofft spricht sie ihn an, fragt, weshalb er die ganze Zeit zu ihr herüberschaue, ob sie ihm behilflich sein könne.

Das … das Buch, stottert Max, der rote Ohren bekommen hat. Er … er rätsle die ganze Zeit, wie der Titel heißen möge.

«Wenn es mehr nicht ist», sagt die junge Frau leicht spöttisch, «Nordwand».

«Ah ja», entgegnet Max. Und nach einer Pause: «Sie sind ja angezogen, als hätten wir noch Sommer.»

Was das mit dem Buch zu tun habe, fragt sie erstaunt. Max versucht, ein Lächeln aufzusetzen.

Die alten Knacker sind doch einfach lächerlich, die jeder jungen Frau an den Arsch oder an die Brüste starren und sich noch einbilden, die würde für sie die Beine spreizen, das weiß er selbst.

Er ist noch jung, verdammt nochmal!

Sie könnte seine Tochter sein. Rechnen kann er noch, selbst als Buchhalter. Mit der eigenen Tochter. Der Gedanke wäre ihm nie … hatte ihn sich nicht verbieten müssen. Diese Frau ist jung, aber eben eine Frau, keine Tochter, und er … So ein kleiner Altersunterschied. Es gibt Männer, die werden mit siebzig noch … Ganz abgesehen davon. Bloß Fantasie.

Die junge Frau auf der Bank gegenüber klappt das Buch zu, latscht davon. Max schaut ihr nicht nach. Er fröstelt leicht. Zwar scheint die Sonne noch, aber ein Dunst ist aufgezogen, und die Bäume, die beiden Brunnen, die Bänke, die Stühle, die sitzenden, stehenden, gehenden Menschen, die umliegenden Häuser sind leicht milchig verwischt.

Er steht auf, verlässt auf der Rückseite den Square, ein leichtes Brennen im Bauch.

Endstation Alpenparadies

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