Читать книгу Endstation Alpenparadies - Markus Michel - Страница 8

– 4 –

Оглавление

Ein fernes Rauschen. Wie konnte ihm das nur passieren! Seit über dreißig Jahren erledigt er gewissenhaft …

Max steht am Fenster in seinem Büro. Er trägt ein hellblaues Hemd, wer hätte sagen können, ob ein anderes Kleidungsstück während einer Wäsche nicht leicht abgefärbt hat, ein Hauch von hellblau, ferne Ahnung von Himmel, am Kragen ein dunkler Tupfen.

Ja, er wurde gestern in der Nacht von der Polizei angehalten. Die benahmen sich ganz korrekt, schließlich war nicht auszuschließen, dass er das Auto … Und so spät durch die Straßen! Strasbourg St-Denis. Das Viertel bekannt. Zwar sein Arbeitsort in der Nähe. Am Tag ist das etwas anderes. Eine andere Welt. Er hat sich bisher nicht umsonst gehütet, nachts hierher zu kommen.

Vielleicht hätte er die Autotür schnell schließen sollen. Wenn sie es gesehen hätten, wäre der Verdacht erst recht auf ihn …

Die Polizisten befahlen ihm, die Hände hochzunehmen. Einer kam näher, Max wurde abgetastet, musste mit in den Kastenwagen der Polizei, das war ihm noch nie passiert, zum Glück kein Mensch weit und breit, er hätte gleich alles zugegeben, alles, was von ihm verlangt worden wäre, ein kalter Schweiß unter seinem Hemd. Nein, vielleicht hätte er sie sogar hinters Licht geführt. Gab ja leider nichts. Er wurde aufgefordert, die Taschen zu leeren. Sie prüften wortlos seinen Ausweis. Ließen ihn laufen, ohne ein Wort der Entschuldigung. Zum Glück kein Mensch weit und breit.

Er starrt in den Hof zum Haus gegenüber. Im Fenster immer noch die aufgespießten Puppenköpfe. Erneut muss er an das Gespräch der beiden Frauen in der Metro denken. Oder hat er das letzte Nacht nur geträumt?

Max öffnet missmutig die Schreibtischschublade, zieht unter einem Stapel Rechnungen ein schmales Buch hervor: «Die Alpenwelt», blättert kurz darin. «Alpenglöckchen, Bärtige Glockenblume …» Er lässt das Büchlein gleich wieder verschwinden.

Punkt zwölf steht er auf, schiebt den Drehstuhl ans Pult, knipst das Licht aus, das trotz strahlenden Herbsthimmels den ganzen Tag in seinem Büro brennt. Die hohen Mauern der umliegenden Häuser lassen zu wenig Tageslicht herein. Max schließt hinter sich die Tür. Er steigt die Treppen hinunter, durchquert den Hof, tritt auf die Straße. Beim Grand Rex vorbei, dem Größten, an der Ampel warten, bevor er den Boulevard kreuzen kann. Das Theater Gymnase kündet wie immer irgendein Boulevardstück an. Etwas weiter vorne würfeln vier, fünf Araber und drei Schwarze auf zwei aufeinander gestellten Pappschachteln um Geld. Ein Straßenfotograf versperrt ihm den Weg, gibt Zeichen, Max solle stehenbleiben, hantiert mit großen Gesten an einer Polaroid Kamera herum. Hält man ihn jetzt für einen Touristen! Nom de bleu! Aber bei denen ist bestimmt nicht mehr so viel zu verdienen. Die mit ihren Selfies. Um trotzdem Kunden anzulocken, hat der Fotograf eine Holztafel, worauf die Sehenswürdigkeiten von Paris in kitschigsten Farben gemalt sind. Und mitten darin ein rundes Loch, durch das der Tourist seinen Kopf strecken kann.

Ein Vogelschwarm fliegt in hoher Geschwindigkeit über die Hausdächer.

Beim Self Service Bonne Nouvelle steht die Schlange bis hinaus auf den Gehsteig, wie immer um diese Zeit. Er stellt sich wie immer seufzend hinten an. Die Schlange rückt ein paar Schritte vor, stockt, rückt ein paar Schritte vor, stockt, rückt vor, jetzt ist er bereits bei der Eingangstür, jetzt kann er bereits ein Tablett, Messer, Gabel, Papierserviette nehmen, sich einen Teller mit panierten Fischstäbchen und Pommes frites auf das Tablett stellen, daneben eine kleine Schale mit Kopfsalat, eine kleine Flasche mit rotem Tischwein, da fällt ihm ein, dass zu Fisch eigentlich Weißwein angebracht wäre, zu spät, der Hintermann stößt ihn in den Rücken, er muss vorrücken. Das Tablett mit beiden Händen verkrampft festhaltend, schlängelt er sich zwischen Tischen und Stühlen hindurch, bis er einen freien Platz entdeckt. Die Pommes frites sind nur lauwarm und triefen, als wären sie im Fahrwasser eines lecken Öltankers geschwommen.

Wieder im Büro, klingelt das Telefon. Der Direktor verlangt ihn unter vier Augen zu sprechen.

Max schluckt leer.

Alpenglöckchen, Bärtige Glockenblume, Gefleckte Taubnessel, Stengellose Kratzdistel, Berg-Goldnessel, Silberdistel, Bitteres Schaumkraut.

In lichten Bergwäldern. Gebüschen. Auf mageren Wiesen und Weiden. Grasigen Berghängen.

Endstation Alpenparadies

Подняться наверх