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1.4 Wann begann die große Verschwendung?
ОглавлениеIn den 60er Jahren habe ich das Buch „Die große Verschwendung“ gelesen. Dort wurde unter anderem beschrieben, wie eine große Firma den Verkauf von Kartoffelmesser vervielfachte. Kartoffeln waren mit Getreide (Brot) damals das wichtigste Nahrungsmittel. Man legte ein Zeitungspapier aus, sodass die Schalen vom Papier aufgenommen werden konnten. Bevor man die Kartoffeln auf den Herd stellte, fiel das Schälmesser in der Regel auf die Schalen. Die Firma hatte nun die Idee den Griff des Schälmessers der Farbe der Kartoffelschalen anzupassen. Man packte in der Regel die Schalen in das Papier ein und weil da jetzt ein fast unsichtbares Schälmesser lag, wurde es mit den Schalen häufig weggeschmissen. Damals fand ich diese Dreistigkeit auch interessant. Schon mehr ärgerte mich, dass in dem Buch auch festgestellt wurde, dass viele Produkte und Güter schon damals hätten länger haltbar hergestellt werden können. Z. B. Reifen und Mäntel bei Fahrräder und Autos wurden so hergestellt, dass man bald wieder welche kaufen musste. Spätestens hier begann die Zeit der Profitmaximierung nach dem Zweiten Weltkrieg.
Anfang der 60er Jahre hätte man vielleicht noch einen anderen Weg einschlagen können. Zu dieser Zeit machte ich eine Lehre in Konstanz als Zimmermann. Ich konnte mindestens zwischen vier Ausbildungsplätzen wählen. Es war auch die Zeit, in der die Gewerkschaften immer mächtiger wurden. Nach Tarif verdiente ein Geselle damals 3,50 DM in der Stunde. Kein Geselle, den ich kannte, arbeitete aber nach Tariflohn. Mindestens 4,20 DM war der tatsächliche Lohn. Quasi automatisch bekam man jedes Jahr 20 Pfennig oder knapp 5 % hinzu. Bei Überstunden verdiente man gut 6,00 DM pro Stunde.
Es war auch die Zeit, in der man langsam aber sicher tarifmäßig immer weniger arbeiten musste. Von 42 Stunden sank die Arbeitszeit in wenigen Jahren auf 38 und in manchen Branchen auf 36 Stunden. Herbert Marcuse war nicht der Ein-zige, der in die Zukunft blickend glaubte, dass wir bald nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten müssen. Das hieß die Freizeit wird immer mehr zunehmen und auf das Paradies braucht man nicht mehr bis nach dem Tod zu warten, denn das schaffen wir uns jetzt schon in der irdischen Welt selbst.
Dies war auch die Zeit, in der wir nach Umfragen am glücklichsten waren. Der Güterbedarf war gedeckt, materiell ging es allen ganz gut. Ich habe damals die Volksschule besucht und kann mich nicht erinnern, dass auch nur ein Schüler keine Ausbildung gemacht hat. Jeder hatte einen Arbeitsplatz. Größere Firmen hatten immer ein oder zwei Plätze für geistig behinderte Menschen, die aber mit zur Firma gehörten und auch gar nicht so schlecht bezahlt wurden. Ich will hier diese Zeit aber nicht verklären. Die Arbeit war hart und nicht viele können sich heute noch vorstellen, wie hart wir gearbeitet haben. Der Ton war rau und es gab auch eine klare Hierarchie an der niemand rütteln konnte. Das Geld bekam man wöchentlich in einer Lohntüte direkt vom Chef überreicht und selbst ich als Stift (jüngster Lehrling) verdiente richtig gutes Geld. Es war noch die Zeit, in der Menschen, die auf dem Bau arbeiteten, selten das 70ste Lebensjahr erreichten. Trotzdem, wir fühlten uns nicht ausgebeutet, sondern hatten das Empfinden für harte Arbeit gut bezahlt zu werden. Der Chef verdiente und ließ seine An-gestellten auch mitverdienen. Der Chef fuhr ein Auto und seine Angestellten ka-men mit dem Motorrad oder Fahrrad ins Geschäft. Alles hatte einen Rahmen, den man verstehen und mit dem man leben konnte.
Aber zu dieser Zeit kam auch der „Sündenfall“. Für mich ist diese Erfahrung im Nachhinein ein Symbol, zu der maßlosen Gier, die wir durch die Globalisierung erfahren. Es war bei einem Richtfest. Der Chef war leicht angetrunken und er-zählte voller Stolz, wie er den Bauherrn betrogen hat. Wir mussten mehrere Hundert Gesimse aus Teak-Holz herstellen und einbauen. Ein Gesims war gut 30 cm breit. Der Preis der Gesimse sollte pro Quadratmeter berechnet werden. Mein Chef rechnete jetzt aber nicht pro Quadratmeter sondern pro laufenden Meter ab. Dies bedeutete, dass er dadurch den Gewinn verdreifachen konnte. Ich war knapp 15 Jahre damals und mir war Betrug in dieser Art fremd. Die meisten Arbeiter lachten mit dem Chef aber nicht alle. Ich weiß noch, wie „komisch“ ich mich danach fühlte.
Der Chef machte wohl öfter ähnliche Geschäfte, denn jedes Jahr wurde das Auto ein größerer Mercedes. Aber nicht nur das Auto wurde größer, sondern auch sein Bauch wuchs, seine Hängebacken wurden immer länger und das Kinn wurde zum Doppel und dann zu einem Dreifach Kinn.
Damals war es in Konstanz üblich, dass man in der Firma, in der man die Lehre absolvierte, bis zur Rente blieb. Man baute sich ein kleines Häuschen, das man kurz vor der Rente abbezahlt hatte und hinterließ zwei oder drei Kinder. Weil dies nicht mein Weg war, suchte ich nach anderen, begehbaren Wegen für mich.
Es wurde nichts aus dem Paradies. Die Chefs verdienten immer mehr, die Arbeiter im Verhältnis immer weniger und heute gibt es die Mini- und Midijobs. Es wird nicht mal mehr nach Tariflohn bezahlt, weil es nicht einmal mehr einen Mindestlohn gibt. Die Hälfte aller neuen Arbeitsplätze, die heute entstehen, sind zeitlich befristet. Im Einzelhandel hat man 2011 fast 62 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Davon 2000 festangestellte Arbeitsplätze. Etwas mehr als 3 % oder anders formuliert heißt das, dass 97 % dieser neuen Arbeitsplätze Mini-Jobs sind. Für diese Menschen bedeutet dies Unsicherheit, Ängste und im Zweifelsfall macht man dann unbezahlte Überstunden und passt sich dem Chef in einer Form an, bei der die Würde verlorengehen kann. Alles nur, um zu den Wenigen zu gehören, denen ein neuer wiederum befristeter Vertrag winkt. In den 70er und 80er Jahren konnte man diese Entwicklung nicht vorhersehen. Das Lebensniveau ist in den letzten 50 Jahren sicher gestiegen, aber die Lebensqualität hat bedenklich nachgelassen. Die stabilen Arbeits-Verhältnisse der 50er und der 60er Jahre sind wie schon die Zahlen zeigen, deutlich zurückgegangen. Dafür stiegen zu dieser Entwicklung passend, psychische Krankheiten wie Depression deutlich an.
In Demokratien geht es nicht um Glück oder Sinn, es geht um Sicherheit oder anders ausgedrückt, um die Ängste der Besitzenden. Sicherheit für die Grund, Boden, Güter und Geld besitzenden Menschen. Ein großer Teil der Polizei ist weltweit dafür da, diese Sicherheit zu gewährleisten. Polizisten werden zu-nehmend gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, um die „Sicherheit“ der Produktionsmittel, um die Ungerechtigkeit in unserer sogenannten Demokra-tie weiterhin zu erhalten, um die Reichen selbst und ihre Kinder in den soge-nannten Demokratien zu beschützen. Die Polizei nicht der Freund und Helfer für alle Menschen, sondern in erster Linie für die „Mächtigen.“ Der Wert, das per-sönliche Glück, das die meisten Menschen als ihren höchsten Wert ansehen, spielt in der Demokratie bisher kaum eine Rolle! Wert im Sinne von Guardini der sagt, dass der Wert der „Kostbarkeitscharakter der Dinge“ ist. Am Kostbarsten im Kapitalismus ist die Sicherheit der Produktionsmittel? Kann ein System, das sich schützen lassen muss, gerecht sein? Gerecht kommt von richtig. Ist das, was in der ökonomischen Welt geschieht richtig? Sollten wir nicht versuchen das gesellschaftliche System so gerecht, so richtig wie möglich machen? Müssten wir dann nicht überlegen, was in einem solchen System nicht richtig ist und deshalb geändert werden müsste?