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2. Die Deutung der juristischen Person

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Um das „Wesen“ der juristischen Person besteht seit langem eine Kontroverse. Insbesondere ist darum gestritten worden, ob und inwieweit der Personenvereinigung tatsächlich eine eigene Persönlichkeit zukommt. Die von den Vertretern des römischen Rechts im 19. Jh. entwickelte Fiktionstheorie sieht in der juristischen Person lediglich eine Rechtstechnik: Die Vereinigung wird – damit gewisse Probleme zufrieden stellend gelöst werden können – als Rechtsperson nur gedacht (fingiert). Hingegen sieht eine andere Theorie in der juristischen Person eine wirkliche Persönlichkeit („reale Verbandspersönlichkeit“), sodass die Rechtsordnung mit der Zuschreibung von Rechtsfähigkeit lediglich etwas anerkennt, was sie ohnehin vorfindet. Die Erklärungsversuche haben sich von den beiden Grundpositionen aus weiter verzweigt und fortentwickelt.

Literatur:

Fiktionstheorie zB bei Savigny, System, II, 235. Theorie der realen Verbandspersönlichkeit zB bei Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, 1902, Neudruck 1954. Zur Entwicklung dieser Lehren: F. Wieacker, Zur Theorie der Juristischen Person des Privatrechts, Festschrift E.R. Huber, 1973, 339; W. Hadding, Korporationsrechtliche oder rechtsgeschäftliche Grundlagen des Vereinsrechts?, Festschrift für R. Fischer, 1979, 165; Flume, AT 2, Kap. I § 1.

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Der Streit ist nicht müßig. Er zeugt von unterschiedlichen Grundeinstellungen zum Recht; die Standpunkte wirken bis in die Lösung einzelner Konflikte hinein. Letztlich geht es darum, ob man die menschliche Gemeinschaft als Inbegriff und Komplex individueller Lebensäußerungen oder als eine die einzelnen Mitglieder überschreitende Größe sieht. Die Deutung des Kollektivs als eigenes juristisches Wesen, das sich nicht in die Lebensäußerungen der einzelnen Mitglieder vollständig auflösen lässt, sondern eine eigene Substanz besitzt, eignet sich als Konzept der Vereinsautonomie gegenüber dem Staat, birgt indes freiheitsfeindliche Tendenzen für das einzelne Mitglied im Verhältnis zur Gemeinschaft und ihren Funktionären. Die Deutung der Gemeinschaft von den Individuen her wird den Interessen der einzelnen Mitglieder gerecht, beeinträchtigt aber in gewissem Grade die Bedürfnisse der Organisation als solcher.

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Nach unserer Auffassung bildet die juristische Person eine Zweckkonstruktion, mit deren Hilfe sich Einzelpersonen zu bestimmten Zwecken zusammenschließen und in diesem Verbund auf einer gesicherten rechtlichen Grundlage tätig werden können. Die dazu nötigen rechtlichen Regeln haben auch den Zweck, Konflikte zwischen den beteiligten Individuen zu bewältigen. Es geht um Konflikte entweder der Mitglieder eines derartigen Zusammenschlusses untereinander (zB Streit zwischen dem Klubmitglied D und „dem Klub“ um die Beitragszahlung) oder der Mitglieder des Klubs mit außenstehenden Personen (wie in Fall 4 mit dem Vermieter). Rechtsfähig im vollen Sinne ist nach dieser Auffassung allein die natürliche Person, während die Rechtsfähigkeit der juristischen Person immer nur in gewissem, aus der Rechtspersönlichkeit der Mitglieder abgeleitetem Sinne besteht. Infolgedessen kann die juristische Person auch nicht als Träger sämtlicher Rechte gedacht werden, die einem Menschen zustehen können. So besagt Art. 19 III GG: „Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.“ Insbesondere ist die juristische Person nicht Träger aller Persönlichkeitsrechte. Sie hat kein „Recht auf Leben“ (auch nicht im übertragenen Sinne als „Recht auf Fortbestand“). Die Persönlichkeitsrechte, die man der juristischen Person zuschreibt, stehen ihr auf andere Weise als der natürlichen zu. Nach Auffassung des BVerfG kommt jedenfalls dort, wo der Grundrechtsschutz an Eigenschaften, Äußerungsformen oder Beziehungen anknüpft, die nur natürlichen Personen wesenseigen sind, eine Erstreckung auf juristische Personen als bloße Zweckgebilde der Rechtsordnung nicht in Betracht; das ist umso eher der Fall, als der Grundrechtsschutz im Interesse der Menschenwürde gewährt wird, die nur natürliche Personen für sich in Anspruch nehmen können (BVerfGE 1997, 1841, 1843).

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Gleichwohl besteht die Tendenz, den juristischen Personen in nicht geringem Maße persönlichkeitsrechtliche Positionen zuzugestehen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird ihnen nicht generell zuerkannt, wohl aber insoweit, als sie aus ihrem Wesen als Zweckschöpfungen des Rechts und ihren Funktionen dieses Rechtsschutzes bedürfen. Dies ist der Fall, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen werden (BGHZ 98, 94, 97 – BMW-Urteil; BGH NJW 1994, 1281, 1282, dazu BVerfG NJW 1994, 1784; BGH NJW 2015, 773 Rn 12). Es gibt für juristische Personen also einen persönlichkeitsrechtlichen Schutz mit funktionalen Einschränkungen. Obwohl sie keine „persönliche Ehre“ haben (BGH NJW 2009, 915 Rn 9), kommt ihnen ein Schutz gegen Ehrverletzungen zu, wenn und soweit ihr sozialer Geltungsanspruch in ihrem Aufgabenbereich betroffen wird (BGHZ 78, 274, 280; für öffentlich-rechtliche juristische Personen BGH NJW 2006, 601; BGHZ 176, 175 Rn 28; BGH, NJW 2009, 915 Rn 17; vgl § 194 III, IV StGB). Soweit sich juristische Personen als Unternehmen betätigten, werden ihnen Schutzpositionen unter dem Gesichtspunkt des „Unternehmerpersönlichkeitsrechts“ zugestanden (Näheres Rn 353a). Besonders brisant ist die Frage, ob Vereinen und Gesellschaften Schmerzensgeldansprüche wegen Verletzung von Persönlichkeitsrechten (etwa wegen Rufschädigung) zustehen können. Dies wird vom deutschen Recht abgelehnt (BGHZ 78, 24, 28).

Die Motive zum BGB (I, 78) hatten die Rechtsfähigkeit der jur. Person lediglich als Vermögensfähigkeit gedeutet. Doch muss man sehen, dass die Lehre von den Persönlichkeitsrechten erst lange nach dem Inkrafttreten des BGB anerkannt wurde.

Literatur:

H. Lessmann, Persönlichkeitsschutz juristischer Personen, AcP 170 (1970), 266; D. Klippel, Der zivilrechtliche Persönlichkeitsschutz von Verbänden, JZ 1988, 625; Th. Kingreen/F. Möslein, Die Identität der juristischen Person, JZ 2016, 57.

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