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c) Vereinsautonomie und Machtkontrolle
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Das Vereins- und Gesellschaftsrecht ist von einer eigentümlichen Spannung beherrscht: Auf der einen Seite dient es der Freiheit des Bürgers, sich auch im gemeinschaftlichen Handeln mit anderen zu entfalten. Auf der anderen Seite ist der Organisationsgewalt, die in den Vereinigungen entsteht, ein freiheitsmindernder Effekt eigen: Den Organen einer Vereinigung wachsen Repräsentations- und Bestimmungsbefugnisse zu, welche eine gewisse „Herrschaft“ über die einzelnen Mitglieder mit sich bringen. Auch gegenüber Außenstehenden kann eine Machtposition begründet werden, wenn die Vereinigung in einem bestimmten Bereich eine beherrschende Stellung erlangt. Das gibt es nicht nur in der Wirtschaft durch Konzentration der Marktmacht, sondern auch im Vereinswesen. In einem mitgliederstarken Verein pflegt der Vorstand eine erhebliche Machtstellung gegenüber den einzelnen Mitgliedern auszuüben. Dadurch aber, dass sich Vereine mit gleicher Zwecksetzung vielfach zu überörtlichen und nationalen Vereinen („Verbänden“) zusammenschließen und die nationalen Dachverbände wiederum zu internationalen Organisationen, entstehen Verbandshierarchien, die sich dem Einfluss der einzelnen Vereinsmitglieder praktisch entziehen.
Zur juristischen Konstruktion ist anzumerken, dass ein Verein als juristische Person wiederum Mitglied in einem anderen Verein sein kann, etwa der Sportverein X eV Mitglied des als Verein eingetragenen Landesverbandes Y. Die Verbandsbildung hat häufig auch den Effekt der Monopolisierung der Vereinszwecke. Dadurch entsteht Macht gegenüber Außenstehenden. Wer bestimmte Sportarten wettbewerbsmäßig betreiben will, ist praktisch genötigt, in einen bestehenden Sportverein einzutreten und sich an die Regeln des Vereins und der übergeordneten Verbände zu halten.
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Inwieweit die Rechtsordnung die Organisationsgewalt der Vereine gewähren lässt oder sie im Sinne des Individualschutzes kontrolliert und beschneidet, bildet ein grundlegendes Problem. Die Stellung des Staates ist von der beschriebenen Zwiespältigkeit gekennzeichnet: Einerseits soll er den Vereinigungen die Freiheit lassen, ihre Angelegenheiten selbst auf Grund einer Vereinssatzung (§ 25) zu regeln (Vereinsautonomie). Auf der anderen Seite muss er darauf achten, dass mit Hilfe des Vereinsrechts nicht staatsähnliche Hoheitsorganisationen errichtet werden, die den Einzelnen den staatlichen Schutz ihrer Freiheit entziehen. Das BGB hat versucht, dem Rechnung zu tragen, indem es festlegt, dass der eingetragene Verein außer einem Vorstand (§ 26) eine Mitgliederversammlung (§ 32) als Organ haben muss. Die Mitgliederversammlung beschließt über alle Vereinsangelegenheiten, soweit diese nicht gemäß Gesetz oder Satzung von einem anderen Vereinsorgan zu besorgen sind. Diese und andere gesetzliche Regelungen haben es aber nicht verhindert, dass bedenkliche Machtorganisationen entstanden sind. Die Verbände scheuen sich nicht, die Bezeichnungen staatlicher Hoheitsfunktionen für sich in Anspruch zu nehmen („Sportgericht“, „Ankläger“ etc).
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Die Problematik soll anhand der Vereinsstrafe anschaulich werden. Die Vereinsstrafe hat nach Sinn und Rechtsgrundlage mit der staatlichen Strafe nichts zu tun. Sie bildet eine Disziplinarmaßnahme gegen Mitglieder, welche die Vereinssatzung verletzt oder sonst gegen die Interessen des Vereins gehandelt haben. Die Möglichkeit einer solchen Disziplinarmaßnahme ist in der Satzung oder in besonderen Vereinsordnungen geregelt. Als „Strafen“ kommen einschneidende Nachteile bis hin zur „Geldstrafe“ und zum Ausschluss aus dem Verein in Betracht.
Als einseitige Bestimmung der Rechtslage einer Person durch eine andere können derartige Maßnahmen nur rechtsgültig vorgenommen werden, wenn sich der Betroffene der Disziplinargewalt durch freiwillige Erklärung vorher oder nachher unterworfen hat. Die Disziplinargewalt der Vereine beruht folglich auf der Ermächtigung durch die Mitglieder. Üblicherweise erklärt das Vereinsmitglied diese Unterwerfung unter die Disziplinargewalt durch den Eintritt in den Verein. Der Beitritt drückt implizit den Willen aus, an die Satzung gebunden zu sein. Bei der Neugründung eines Vereins liegt die Unterwerfung in dem Vertragsschluss, mit dem die Gründungsmitglieder die Satzung als verbindliche Ordnung akzeptieren.
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In diesem Zusammenhang ergeben sich schwierige Probleme. Gewöhnlich kennt jemand, der einem Verein beitritt, zwar die Ziele des Vereins, nicht aber die Einzelheiten der Satzung. Er rechnet zwar mehr oder minder bewusst damit, dass die Satzung dem Vorstand bestimmte einseitige Befugnisse einräumt. Insofern kann man sagen, dass sich Mitglied durch seinen Beitritt der Satzung unterwirft – er könnte sie ja, wenn er nur wollte, vorher lesen. Aber soll dem Mitglied jede, für seine Rechtsstellung noch so ungünstige Satzungsbestimmung als „gewollt“ zugerechnet werden? Auch dann, wenn er mit einer Satzungsbestimmung dieser Art nicht zu rechnen brauchte? Kann man Vereinsregelungen als vom einzelnen Mitglied „gewollt“ ansehen, die sich erst aus dem Zusammenspiel von überörtlichen Verbandsreglements ergeben? Kann man von freiwilliger Unterwerfung sprechen, wenn dem Beitretenden, will er seine Interessen zB als Teilnehmer an Tennisturnieren verfolgen, gar nichts anderes übrig bleibt, als einem verbandszugehörigen Verein beizutreten und das Satzungsreglement in Kauf zu nehmen?
Die Probleme ähneln denen, die bei Unterwerfung unter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Vertragspartners entstehen, siehe des näheren Rn 781 ff. Freilich soll nach hM die spezielle Kontrolle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach §§ 305 ff auf dem Gebiet des Vereinsrechts keine Anwendung finden (BGHZ 128, 93; anders, wenn in Verträgen zwischen dem Verein und Dritten, die dem Verein nicht angehören, vereinbart wird, dass für das Verhältnis zwischen den Vertragschließenden die Vereinssatzung maßgeblich sein soll). Zur Begründung für die Nichtanwendung der §§ 305 ff auf Vereinssatzungen wird ins Feld geführt, dass gemäß § 310 IV 1 der Abschnitt über die AGB auf dem Gebiet des „Gesellschaftsrechts“ keine Anwendung findet.
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Auch wenn man in der Unterwerfungserklärung des Mitglieds einen zureichenden Grund für die Rechtswirksamkeit der Vereinsstrafe sieht, erhebt sich das Problem der richterlichen Kontrolle über die Ausübung der Disziplinargewalt.
Beispiel:
Ein Tennisspieler, obwohl von seinem Verein für ein Turnier benannt, erscheint zur angegebenen Zeit nicht an der Wettkampfstätte. Er wird vom hierfür zuständigen Vorstand aus dem Verein ausgeschlossen, der die Entschuldigung, er sei plötzlich erkrankt, nicht anerkennt. Dagegen erhebt der Ausgeschlossene vor dem zuständigen Zivilgericht Klage auf Feststellung, dass der Ausschluss unwirksam sei. Was kann das Gericht überprüfen?
Ein Blick auf die Rechtsprechung zeigt, dass sich die staatliche Gerichtsbarkeit zu Gunsten der Vereinsautonomie stark zurückhält. Weder soll das Gericht prüfen dürfen, ob sich der Sachverhalt, mit dem die „Strafe“ gerechtfertigt wird, wirklich zugetragen hat, noch soll es in der Regel prüfen dürfen, ob der festgestellte Sachverhalt die Voraussetzungen der vereinseigenen „Strafdrohung“ im Einzelnen erfüllt, sofern nur die Strafmaßnahme überhaupt in der Satzung „eine Stütze findet“ – es gibt also eine Art „Subsumtionshoheit“ der zuständigen Vereinsorgane. Freilich lässt sich eine Tendenz zur Stärkung des Individualschutzes gegenüber der Vereinsgewalt feststellen:
a) Nach herkömmlicher Formulierung kann das staatliche Gericht nachprüfen „ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet ist, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist“ (BGHZ 87, 337, 343).
b) Darüber hinaus dürfen die staatlichen Gerichte überprüfen, ob die der Maßnahme zu Grunde gelegten Tatsachen „bei objektiver und an rechtsstaatlichen Grundsätzen ausgerichteter Tatsachenermittlung zutreffend festgestellt worden sind“ (BGHZ 87, 337, 345; BGH NJW 1994, 2610; NJW 1997, 3368).
c) Das Verfahren, in dem die Vereinsstrafe verhängt wird, muss bestimmte rechtsstaatliche Mindeststandards erfüllen (zB Gewährung rechtlichen Gehörs, BGHZ 29, 352, 354).
d) Eine weitergehende Kontrolle durch die staatlichen Gerichte soll bei Vereinigungen stattfinden, die eine Monopolstellung oder eine überragende wirtschaftliche oder soziale Machtstellung innehaben (dazu BGHZ 93, 151, 154; l01, 193, 200).
Literatur:
K. Schmidt, Systemfragen des Vereinsrechts, ZHR 147 (1983), 43; B. Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987; F. Van Look, Vereinsstrafen als Vertragsstrafen, 1990; D. Reuter, NJW 1987, 2401; W. Hadding/F. Van Look, ZGR 1988, 270; M. Schockenhoff, Der Grundsatz der Vereinsautonomie, AcP 193, 36; M. Benecke, Der Ausschluss aus dem Verein, WM 2000, 1173.