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Teil III Struktur und Verwirklichung von Pflichten und Rechten › Kapitel 3 Absolute und relative Rechte

Kapitel 3 Absolute und relative Rechte

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Die subjektiven Rechte (Berechtigungen) werden nach verschiedenen Gesichtspunkten unterteilt. Von fundamentaler Bedeutung für das deutsche Recht ist die Einteilung in relative und absolute Rechte. Anlass der Unterscheidung bildet die Regelung des § 823 I BGB. Danach ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig ua das Eigentum oder „ein sonstiges Recht“ eines anderes widerrechtlich verletzt. Die Frage ist, was man unter einem „sonstigen Recht“ zu verstehen hat. Nach dem Wortlaut des § 823 I kann man zum Ergebnis kommen, dass jedes Recht gemeint ist. Diese Auffassung entspricht jedoch nicht der vorherrschenden Interpretation. Vielmehr soll als „sonstiges Recht“, dessen Verletzung einen Schadensersatzanspruch nach § 823 I auslöst, nur ein „absolutes“ Recht in Betracht kommen; „relative“ Rechte hingegen sollen nicht den Schutz der Vorschrift genießen.

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Das relative Recht existiert in der Relation bestimmter Personen zueinander und verbindet sie zu einem Rechtsverhältnis. Regeltyp des relativen Rechts ist der Anspruch, dh das Recht einer Person, von einer anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Legaldefinition § 194 I). Der Anspruch bezeichnet ein Rechtsverhältnis, an dem typischerweise zwei Parteien beteiligt sind: der Berechtigte auf der einen, der Verpflichtete auf der anderen Seite. Stets besteht der Anspruch gegenüber einem (oder mehreren) bestimmten Verpflichteten; stets steht er einem (oder mehreren) bestimmten Berechtigten zu. Das relative Recht kann dem Grundsatz nach nur von den am Rechtsverhältnis beteiligten Personen, nicht von Außenstehenden (Dritten) verletzt werden (Rn 289).

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Absolute Rechte sind so strukturiert, dass sie im Prinzip allen anderen Personen gegenüber bestehen. Als Beispiel diene das Eigentum. Man kann es definieren als das umfassende Recht an einer Sache, kraft dessen der Eigentümer mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen (§ 903). Wenn wir sagen: „S ist Eigentümer des blauen Pkw, in den er gerade einsteigt“, so drücken wir keine Relation zwischen S und bestimmten anderen Personen aus, sondern eine Relation zwischen S und allen anderen. Denn allen anderen gegenüber ist er Eigentümer; alle anderen sind daher verpflichtet, dieses sein Eigentum zu achten.

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Man könnte dem entnehmen, dass der Unterschied zwischen absoluten und relativen Rechten gar nicht wesentlich sei. Auch das absolute Recht stellt rechtliche Bezüge her, nur eben nicht zu bestimmten einzelnen Personen, sondern zu allen. Man könnte daher zB meinen, das Eigentum bilde nur die Summe von Rechtsverhältnissen, die den Eigentümer mit allen anderen verbindet; es stelle nur die Summe von unzähligen Ansprüchen dar, die der Eigentümer gegen alle anderen Personen hat; sind alle anderen verpflichtet, das Eigentum des S an seinem Pkw zu respektieren, so hat er – so könnte man denken – einen Anspruch gegen alle, sein Eigentum zu beachten. Eine derartige Deutung erwiese sich jedoch als sehr unzweckmäßig. Sie würde jede Person mit jeder anderen in einer Unzahl von Rechtsverhältnissen verbinden. A in München hätte gegen B in Kiel (wie gegen jede beliebige Person) Anspruch auf Achtung des Eigentums an seiner Habe, mit der B möglicherweise niemals in seinem Leben in Berührung kommen wird. Was sollte ein solcher Anspruch dem A denn auch nützen, wenn B gar nicht daran denkt, ihm sein Eigentum streitig zu machen?

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Das Gesetz wählt daher eine andere Konstruktion des absoluten Rechts. Dem Inhaber des absoluten Rechts werden zunächst keine Ansprüche gegen andere eingeräumt; ihm steht vielmehr allen anderen gegenüber die Befugnis zu, die geschützten Interessen unter Ausschluss anderer zu verfolgen und zu verwirklichen. Mit dieser Bestimmungsbefugnis korrespondiert eine Pflicht aller anderen, die jedoch nicht auf Erbringung einer Leistung, sondern lediglich darauf gerichtet ist, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um die geschützten Interessen nicht zu beeinträchtigen. Das absolute Recht schafft demzufolge eine latente Lage des rechtlichen Könnens und Sollens, die sich zunächst nicht in bestimmten Rechtsverhältnissen konkretisiert. Rechtsverhältnisse und Ansprüche entstehen erst, wenn ein anderer das absolute Recht verletzt oder gefährdet.

Kraft des Eigentums an seinem Automobil ist S mit niemandem zu einem Rechtsverhältnis verbunden, hat er gegen niemanden einen Anspruch. Erst wenn ein anderer ihn in seinen Eigentümerinteressen stört, entstehen echte Ansprüche.

Das Gesagte ergibt sich aus dem Zusammenspiel folgender Vorschriften:

§ 823 I: Wer widerrechtlich und vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum verletzt, ist dem Eigentümer zu Schadensersatz verpflichtet. §§ 985, 986: Der Eigentümer kann von einem anderen, der die Sache besitzt, ohne ihm gegenüber dazu berechtigt zu sein, Herausgabe verlangen. § 1004 I 1: Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Vorenthaltung oder Entziehung des Besitzes (s. § 985) beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. § 1004 I 2: Sind weitere Beeinträchtigungen der in § 1004 I 1 genannten Art zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

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Nicht selten wird der unzutreffende Eindruck erweckt, als stellten die absoluten Rechte keine Beziehungen zwischen Personen her, sondern – was die absoluten Vermögensrechte betrifft – die Relation zwischen Personen und Gegenständen. Das BGB selbst spricht von Eigentum „an der Sache“. Demzufolge wird das Eigentum als Verhältnis zwischen Eigentümer und Sache dargestellt. Der gesetzliche Sprachgebrauch („Recht an der Sache“) kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die absoluten Rechte Beziehungen unter Personen gestalten. Ein subjektives Recht kann nicht zwischen einer Person und einem Gegenstand bestehen, sondern existiert stets in der Relation zwischen Personen. Der Ausdruck „Eigentum an der Sache“ steht als Abkürzung für die komplexe Berechtigungs- und Pflichtenlage, die zwischen dem Eigentümer und allen anderen Personen besteht. Die Umschreibung der Eigentümerbefugnisse als „Herrschaft über die Sache“ ist nur eine bildhafte Kennzeichnung der Bestimmungsbefugnisse, die der Eigentümer allen anderen Personen gegenüber in Bezug auf die Sache hat (dazu Hadding, JZ 1986, 926). Auch die Persönlichkeitsrechte, wie zB das Recht auf körperliche Unversehrtheit, sind nicht Rechte „an der eigenen Person“, sondern Rechte gegenüber anderen Personen in Bezug auf die persönlichen Lebensinteressen.

Es ist behauptet worden, es könne keine Persönlichkeitsrechte geben, weil der Mensch sich selbst nicht rechtlich zugeordnet sein könne. Diese Vorstellung beruht auf einem falschen Begriff des subjektiven Rechts, welches stets nur Beziehungen unter Rechtssubjekten regelt. Wenn ich sage: Ich habe ein Recht „an“ meiner eigenen Privatsphäre, dann benutze ich nur eine vereinfachte Redeweise. Rechtlich meine ich: Ich habe ein Recht darauf, dass andere den mit „Privatsphäre“ umschriebenen Bereich meines Lebens achten.

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Der konstruktive Unterschied zwischen absoluten und relativen Rechten ist durch einen funktionalen Zusammenhang zu ergänzen. Die relativen Rechte bilden bloße Instrumente zur Verwirklichung der hinter ihnen stehenden Zuordnungen. Verpflichtet sich jemand durch einen Kaufvertrag, einen Schrank zu übergeben und zu übereignen (§ 433 I 1), so bildet das Vertragsverhältnis die Substanz der Rechtsbeziehung zwischen Verkäufer und Käufer; der Anspruch hingegen ist rechtstechnisches Mittel der Durchsetzung des Vertragsrechts. Ist jemand nach § 823 I wegen schädigender Verletzung des Eigentums einem anderen zum Schadenersatz verpflichtet, so stellt das absolute Recht „Eigentum“ und der mit ihm bezeichnete Raum geschützter Interessen die Substanz der rechtlichen Relation zwischen Eigentümer und Schädiger dar; der Schadensersatzanspruch ist nur Instrument zum Schutz der angegriffenen Eigentümerinteressen.


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