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ОглавлениеTeil III Struktur und Verwirklichung von Pflichten und Rechten › Kapitel 4 Das Gestaltungsrecht
Kapitel 4 Das Gestaltungsrecht
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Unter den relativen Rechten bilden Gestaltungsrecht und Anspruch die Haupttypen. Das Gestaltungsrecht verleiht seinem Träger die Befugnis, durch einseitige Erklärungen auf die Rechtslage eines anderen einzuwirken, zB das Recht eines anderen zu beendigen, zu mindern oder zu verändern. Als einseitige Bestimmungsbefugnis trägt das Gestaltungsrecht in besonderem Maße den Charakter der „Herrschaft“ mit Hilfe des Zivilrechts. Dies gilt umso mehr, als in der Regel die rechtsgestaltende Wirkung eintritt, ohne dass zuvor ein gerichtliches Verfahren angestrengt werden müsste. Daher muss die Zivilrechtsordnung die Gestaltungsrechte begrenzt halten. Gestaltungsrechte entstehen grundsätzlich entweder auf Grund vorheriger Zustimmung („Unterwerfung“) des Betroffenen oder kraft Gesetzes als Reaktion auf eine Rechtsverletzung oder eine sonstige Störung eines Rechtsverhältnisses.
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Ein Gestaltungsrecht stellt zB das Recht zum Rücktritt vom Vertrag dar. Der Rücktritt wird durch einseitige Erklärung gegenüber dem Vertragspartner ausgeübt (§ 349) und hat die Wirkung, dass die Parteien die empfangenen Leistungen und die daraus gezogenen Nutzungen einander zurückerstatten müssen (§ 346 I). Voraussetzung der Wirksamkeit des Rücktritts ist das Bestehen eines Rücktrittsgrundes. Dieser beruht entweder auf einer Vereinbarung der Vertragspartner (Rücktrittsvorbehalt) oder einer gesetzlichen Anordnung, welche die Störung eines Vertragsverhältnisses regelt.
Im Gegensatz zum Anspruch bedingt das Gestaltungsrecht keine Pflichtenlage bei dem Betroffenen. Wenn A dem B gegenüber zum Rücktritt von einem Vertrage berechtigt ist, so ergibt sich weder für A noch für B eine Pflicht. A kann, muss aber nicht von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch machen. Auch B ist in keiner Pflichtenlage; er kann nur abwarten, ob A zurücktritt oder nicht. Freilich ergeben sich sowohl für A als auch für B Pflichten als Folge des erklärten Rücktritts.
Damit hängt es zusammen, dass die Rücktrittsrechte keiner zwangsweisen Durchsetzung bedürfen; sie tragen ihre Sanktion in sich. Wenn jemand berechtigt ist, vom Vertrag zurückzutreten, und den Rücktritt erklärt, so ist durch die Wirkung der Rücktrittserklärung das Schuldverhältnis in ein Abwicklungsverhältnis mit den Pflichten des § 346 umgewandelt, ohne dass ein Gericht dies bestätigen und ohne dass ein Vollstreckungsorgan Zwangsmaßnahmen ergreifen müsste. Das gleiche gilt für andere Gestaltungsrechte wie das Recht zur Kündigung eines Rechtsverhältnisses und zur Anfechtung, dh Vernichtung der Wirkungen einer Erklärung (Näheres Rn 594 ff).
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Freilich kann Streit darüber entstehen, ob einer Partei, die eine Gestaltungserklärung abgegeben hat, überhaupt ein Gestaltungsrecht zustand. Angenommen: A tritt vom Vertrag zurück mit der Begründung, er habe sich den Rücktritt vorbehalten; B bestreitet hingegen, dass bei Vertragsschluss von einem Rücktrittsvorbehalt die Rede war; B klagt auf Erfüllung des Vertrages. In einem solchen Streitfalle entsteht eine für die Beteiligten unangenehme Unsicherheit. Ist der Vertrag durch den Rücktritt aufgelöst oder ist er es nicht? Hat A recht, so setzt sich B, indem er auf Durchführung des Vertrages beharrt, unangenehmen Folgen aus. Hat B recht, so verletzt A durch seine Weigerung, das Schuldverhältnis abzuwickeln, den Vertrag und hat Schadensersatzansprüche des B zu erwarten. Bis zur gerichtlichen Klärung aber kann es lange dauern.
Aus diesem Grunde wählt das Gesetz in einigen besonderen Fällen folgenden Weg: Es gewährt zwar ein Gestaltungsrecht, bindet seine Ausübung aber an eine gerichtliche Mitwirkung, um vorher dem Gericht Gelegenheit zu geben, über das Bestehen des Gestaltungsrechts zu befinden. Ein Beispiel dafür ist die Ehescheidung. Das Gesetz gibt den Ehegatten ein Recht auf Scheidung, wenn gewisse Tatbestände erfüllt sind (§§ 1565 I, 1566 I, II). Es handelt sich um ein Gestaltungsrecht, das aber nicht durch bloße Erklärung geltend gemacht werden kann. Denn es würde zu Unsicherheiten führen, wenn die Ehegatten die Ehe gegenseitig durch bloße Privaterklärungen „kündigen“ könnten und dann möglicherweise lange Zeit streitig bliebe, ob nun ein „Kündigungsgrund“ bestand oder nicht. Deshalb ordnet das Gesetz an, dass das Recht, die Scheidung herbeizuführen, durch Antrag bei Gericht geltend gemacht werden muss. Erst wenn das Gericht die Berechtigung des Klagebegehrens untersucht und bejaht hat, also erst mit dem rechtskräftigen Gerichtsbeschluss wird die Scheidung wirksam.
Literatur zum Gestaltungsrecht:
P. Mankowski, Beseitigungsrechte. Anfechtung, Widerruf und verwandte Institute, 2003; J. Schürnbrand, Gestaltungsrechte als Verfügungsgegenstand, AcP 204, 177; Chr. Schreiber, Nichtigkeit und Gestaltungsrechte, AcP 211, 35.