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5.5. Herbert Kühns Publikationen vor, während und nach der nationalsozialistischen Diktatur

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In Bezug auf eine literaturkritische Analyse von Herbert Kühns Arbeiten, standen folgende Fragen im Vordergrund:

Schloss er sich der durch Kossinna vorgegebenen «völkischen» Linie an?

Inwieweit beugte er sich den ideologischen Vorgaben der Nationalsozialisten ab den späten 20-iger Jahren?

Stand er möglicherweise im Widerspruch zu diesen Auffassungen?

Änderte sich seine Einstellung nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur?

Wo ist Herbert Kühns wissenschaftsgeschichtliche Einordnung innerhalb der Ur- und Frühgeschichte zu finden?

Eine Antwort auf die ersten beiden Fragen bietet die Analyse seines Vortrags: «Herkunft und Heimat der Indogermanen», den er im August 1932 in London, auf dem ersten internationalen Kongress für Vor- und Frühgeschichte hielt.

Nachdem Herbert Kühn aufzählt w o h e r diese Indogermanen auf keinen Fall kommen können, beschreibt er einen Siedlungsraum vom Rhein im Westen, Skandinavien im Norden, Iran im Süden und etwa dem Dongebiet im Osten, dieser Raum ist der indogermanische Urraum und innerhalb dieses Gebietes werden die Ursitze gesucht. (KÜHN 1932/2)

Die Diskussion, ob nun das Licht der Zivilisation aus dem Osten oder aus dem Norden kam bewegte im «völkischen» und vornationalsozialistischen Deutschland so manchen Intellektuellen. (WIWJORRA 1998)

Aber neben diesem mythischen Urraum, ist auch der Zeitpunkt des ersten Auftretens der Indogermanen von höchster, da nationalistischer Bedeutung.

Herbert Kühn referiert zuerst die auch nach dem 2. Weltkrieg bei einigen Autorinnen und Autoren (GIMBUTAS 1965) noch gängige Lehrmeinung, dass das erste Auftreten der Indogermanen irgendwo zwischen Schnurkeramik und früher Bronzezeit anzusiedeln sei: ...daraus (aus den verschiedenen Worten für «erz» in verschiedenen Sprachen – Anmerk. d. Verf.in)) wird ganz allgemein gefolgert, dass die Wanderung vor der eigentlichen Bronzezeit, am Ende des Neolithikums erfolgt sein müsse. (KÜHN 1932/2,1)

Aber Herbert Kühns Argumentationsweise geht weiter: Das «Urvolk» muss ja irgendwie etwas Einheitliches, «ein Volk» sein. Daraus folgert er: Denn das ist das Ergebnis jahrzehntelanger Forschung der Vorgeschichte: ein neolithisches Volk, das das Urvolk der Indogermanen gewesen wäre, gibt es nicht, im Neolithikum ist Europa schon aufgeteilt, sind die Völker schon gespalten. (KÜHN 1932/2, 2) ... Es kann nur in der Zeit vorher, im Paläolithikum existiert haben, und in der Tat, nur in dieser Zeit hatte Europa noch ein einheitliches Gesicht, eine einheitliche Struktur; im Neolithikum ist das Volk schon geteilt. (KÜHN 1932/2, 3)

Wieso man in den dreissiger Jahren den Begriff «Volk» für Zusammenhänge hernehmen konnte, die man heute als «Gruppe», «Inventar», «Kultur» bezeichnet, hängt mit der Rezeption von Gustav Kossinnas Thesen zusammen. Sein Lehrsatz: Scharf umgrenzte archäologische Kulturprovinzen decken sich zu allen Zeiten mit ganz bestimmten Völkern oder Völkerstämmen.(KOSSINNA 1912), den Gustav Kossinna schon 1895 auf einer Tagung in Kassel erstmals äusserte, öffnete fortan den ethnischen Interpretationen von Befunden und Funden alle Tore und führte dazu, «Völker» mit archäologischen Inventaren gleichzusetzen. Von einem schriftlich dokumentierten Zeithorizont aus chronologisch retour gehend, bemühte man sich, die lückenlose Genealogie soweit wie möglich zurück zu verfolgen.

Herbert Kühn folgte dieser Argumentationslogik bis ins Paläolithikum: ... das Magdalénien dagegen muss die Indogermanen darstellen. (KÜHN 1932/2, 3)

Die Verbreitungskarte des Magdalénien, die Herbert Kühn vorlag, deckte sich mit dem von ihm genannten Raum. Alle folgenden Kulturgruppen dieses Gebietes teilen sich, nach dieser Argumentation, entweder in Abkömmlinge dieses einen Urvolkes, gewissermassen Eingemeindete oder Eindringlinge von irgendwoher auf. So ergibt sich auch der Raum des Magdaléniens, vermehrt um das vom Eis freie Land des Nordens. (KÜHN 1932/2, 3) Selbst wenn man berücksichtigt, dass Herbert Kühn auf der Basis seines zeitgenössischen Wissenstandes dachte und lehrte, so ist doch ohne Zweifel zu erkennen, dass er, Gustav Kossinnas geistige Vorgaben im Hinterkopf, einen Vortrag hielt, der auf jeden Fall als «völkisch-national» einzustufen ist.

Wie kam Herbert Kühn zu diesen Thesen? Was waren seine wissenschaftlichen Methoden? Welche Grabungen und Experimente führte er durch? Auf welchen Beobachtungen fussten seine Behauptungen?

Die Art seiner Kossinna-Rezeption lässt sich an Hand seiner Einleitung zum Buch: «Vorgeschichtliche Kunst Deutschlands» 1935 verfolgen. Die imperialistischen Folgerungen, die aus solchen Theorien gezogen werden können, finden sich hier beinahe unverholen wieder: Wenn die erste eigentliche Völkerwanderung germanische Menschen über ganz Europa und Nordafrika ausschüttete, dann die zweite, seit 1500 n. Chr., über die ganze Welt. (KÜHN 1935, 9)

EGGERS (1986) weist in seinem Abschnitt zu Gustav Kossinna darauf hin, dass dieser kaum Grabungserfahrungen hatte und wenig Museumspraxis. (EGGERS 1986, 202). Gustav Kossinna stellte Behauptungen auf, so EGGERS (1986) und brachte keine Beweise.

Herbert Kühns Antrag zur Errichtung des neuen Institutes, den er 1928 stellte, schien an diese methodische Auffassung anzuschliessen: Da war ein Replikenraum beantragt und eine Bibliothek. Aber Räume oder Geräte für naturwissenschaftliche Methoden, die es damals durchaus schon gab, waren nicht vorgesehen. Ebenso wenig fanden sich im Vorlesungsverzeichnis Exkursionen oder anderweitige Feldarbeit angekündigt, wie das bei Werner Buttler einige Jahre später der Fall war.

Einen Eindruck, wo Herbert Kühns methodische Schwerpunkte lagen, gibt auch das Nachwort zum Buch von Carl Hentze: «Mythes et Symboles Lunaires». Hier findet man jene von den nationalsozialistischen Studenten inkriminierte Behauptung bezüglich der Herkunft des Hakenkreuzes, die ich oben im Abschnitt 5.3. erwähnte.

Der Wert und die Bedeutung dieses Buches liegt darin, dass in ihm zum ersten Mal das kosmische Weltbild des vorgeschichtlichen Menschen in einer Ganzheit aufgebaut wird, die wir bisher nicht kannten, und dass aus diesem Weltbild, vom Mythos abgeleitet, die Wege gewiesen werden zu einer Deutung vorgeschichtlicher ornamentaler Gestaltung. (KÜHN 1932/1, 3)

Dieses Weltbild, so Kühn weiter ist «alogisch», «Wesenschau», ruht auf ältester mythischer Basis, auf dem Urerleben des Menschen (KÜHN 1932/1, 3) und kann deshalb auch nur mit einem ähnlichen Denken erfasst werden: Nicht durch logisches, abstrahierendes und zergliederndes Denken sondern durch eine zusammenfassende Schau. Die mythische Welt aber ist unistisch...sie ist nicht zerlegbar, sie ruht nicht auf Analyse... Die Schau aber fügt andere Elemente zusammen als der logische Begriff. (KÜHN 1932/1, 4)

Hier erhebt Herbert Kühn die Irrationalität zur wissenschaftlichen Methode. Rationalitätsfeindlichkeit und Rekurieren auf einen scheinbaren mythischen «Urgrund» aber, die Ablehnung von kritischem und aufgeklärtem Denken leistete den autoritären und faschistischen politischen Strukturen Vorschub. (HACKER 1990, THIEME 1991, SCHWAGERL 1993)

Es gibt nur e i n e Urwurzel, e i n e n Grundgedanken, von dem alle anderen Elemente ausgehen und in den alle wieder zurückkehren. (Kühn 1932/1, 18)

Diese «Schau» nun bindet logisch nicht Zusammengefügtes, das vergleichende Bindeglied liegt in einer betonten Wesensseite der Elemente (KÜHN 1932/1, 4) Als erstes Beispiel nennt Herbert Kühn die ausserlogische innere Ähnlichkeit ...in der Verbindung Frau und Erde (KÜHN 1932/1, 4)

Es ist das tertium comparationis der Furche und der Sameneinbettung, des Gebärens und des Früchtetragens, und es mag ein sicherer Beweis für diese gewiss alogische, doch mythisch fest begründete Synthese sein, dass altlateinisch das Wort spurium sowohl Ackerfurche wie weibliche Geschlechtsteile bedeutet und Spurii die Kinder, die Gesäten. (KÜHN 1932/1, 4) Herbert Kühn rekuriert hier auf Inhalte, wie sie der Privatgelehrte und Mitbegründer des «SS-Ahnenerbes» Hermann Wirth von sich gab. Neben seinen, selbst am Ende von den Nationalsozialisten abgelehnten Theorien zu einem mythischen «Urvolk» aus der Nähe Grönlands, widmete Hermann Wirth grosse Teile seiner Schriften den Themen «Frau» und «Matriarchat». (GÖTTNER-ABENDROTH 1988, 143ff, KATER 1997, 11ff.)

Hermann Wirth sammelte noch nach dem 2. Weltkrieg über lange Jahre eine rechtsgerichtete Anhängerschar um sich. Ein Aufsatz von Hermann Wirth ist im 24. Band der IPEK, welcher die Jahre 1974 bis 1977 umfasst, zu finden.

Auch Willy Brandt fiel 1979 auf Hermann Wirth herein und nur durch sehr massiven Wiederstand aus Jusokreisen und vom Kollektiv der Politischen Buchhandlung in Bochum, konnte verhindert werden, dass ihm durch das Engagement eines SPD-Mitgliedes ein Millionenprojekt vermittelt wurde. Im Dezember 1981 starb Hermann Wirth und es heisst, dass an seinem Grab die faschistische «Wehrsportgruppe Hoffmann» defilierte. (GUGGENBERGER/SCHWEIDLENKA 1987, 119)

Das alogische Denken, z. B. die Gleichsetzung von «Mikrokosmos und Makrokosmos», für das Herbert Kühn auf den nächsten Seiten weitere Beispiele aufführt (KÜHN 1932/1, 4) ist nun auch die beste Voraussetzung die Kunst der «Primitiven» zu verstehen: Gerade unsere Zeit am Ende einer rationalistischen Epoche, sieht wie keine Zeit vorher die Grenzen der Erkenntnis, weil sie die Vergeblichkeit aller Bemühungen seit Descartes, die Wirklichkeit zu beweisen, erfahren hat. ...Damit nähert sich die Weltanschauung unserer Zeit wieder der der Primitiven (KÜHN 1932/1, 6)

Herbert Kühn macht keinen Unterschied, zwischen der Kunst des Paläolithikums und moderner, abstrakter Kunst des Kubismus oder Expressionismus, die für ihn Ausdruck dieses alogischen Weltverständnisses ist.

Hierin mag ein weiterer der ideologischen Gründe liegen, warum Herbert Kühn den nationalsozialistischen Studenten oder Redakteuren verdächtig wurde. Es gab innerhalb des Nationalsozialismus verschiedene, inhaltliche Strömungen und Auffassungen, die einander erbittert bekämpften, wie auch die Biografie von Hermann Wirth zeigt. (KATER 1997 a. div. O.)

Die moderne Kunst, die in Herbert Kühns Studium und Dissertation eine wichtige Rolle spielte, galt den Nazis in weiten Teilen als «entartet», wurde bekämpft, vernichtet und in der berühmt gewordenen Ausstellung in München negativ «gewürdigt»!

Als Nächstes stellt Herbert Kühn das wichtigste Symbol der Nazionalsozialisten, das Hakenkreuz, in diesen Zusammenhang: Nur rationalistisch-logischer Betrachtung wird diese Welt verschlossen bleiben müssen, weil eine andere Art des Denkens ihr zu grunde liegt, weil ihr die Analyse vor der Symthese steht, dem vorhistorischen Denken die Synthese aber das Primäre ist. ... Es ruht in dem logisch nicht zusammengehörigen und doch in mythischem Sinn eng verbundenen Gedankengefüge, das bestimmt ist durch folgende Positionen: Mond, Wachsen – Abnehmen, Fruchtbarkeit, Wasser, Erde, Weib, Baum, Schlange. ...die geistige Grundlage aber bleibt die gleiche, es ist einmal der Unismus, der Gedanke des Zusammenfallens logisch heterogener Elemente und zweitens der Gedanke des Symbols, des Gleichnisses, einer Ausdrucksform, die, uns verloren gegangen, in der Urzeit des Menschen die höchste Kraft besass. (KÜHN 1932/1, 8)

Die Zeichen für «Mond» und alle die mitklingenden Bedeutungen, die Kühn aufzählt – von «Weib» bis «Schlange»- sind der Kreis, die Spirale und der Kreis, der durch ein rechtwinkliges Kreuz in vier gleich grosse Segmente aufgeteilt ist, und als Hakenkreuz auf neolithischen Figürchen und Keramik auftaucht. (KÜHN 1932/1, 8, 13)

So wird das Rad das Zeichen des Mondes, das Rad, das sich zum Hakenkreuz schon früh verändern kann. (KÜHN 1932/1, 12)

In Verabsolutierung dieser Beobachtung findet sich das Hakenkreuzsymbol überall: Europa, ja sogar weltweit.

Bei allen Völkern, die näher der Natur leben, muss der Mond in den Mittelpunkt des Interesses treten, er muss die Grundlage des Mythos werden, denn das Geschehen des Menschen, Geburt und Tod – wiederholt sich hier sichtbar in der Sternenwelt. Hier liegt der Grund, warum dieselben Mythen und dieselben Zeichen bei so verschiedenen Völkern wiederkehren: ein und derselbe Mythos spricht zu ihnen und führt zu den gleichen Gedanken. (KÜHN 1932/1, 9)

Das gilt auch für alle historischen oder vorgeschichtlichen Epochen: Paläolithikum oder Neolithikum, in Frankreich oder Sibirien, im Mittelalter oder in der Neuzeit. Alle Heilszeichen des Mittelalters und auch der Gegenwart, Pentagramm und Kreuz, Rad, Ring, Kleeblatt und Hufeisen nehmen hier ihren Ausgangspunkt. Sie sind das Ende einer unendlichen mythischen Reihe, die uns noch heute verbindet mit dem Denken unserer vorgeschichtlichen Vorfahren. (KÜHN 1932/1, 10)

Räumliche und zeitliche Verabsolutierungen und Verallgemeinerungen gelten ebenfalls als Kennzeichen autoritärer oder gar faschistischer Schreibweisen. (HACKER 1990, THIEME 1991, SCHWAGERL 1993)

Ausserdem löste Herbert Kühns Methode der Symboldeutung natürlich ein Dilemma des Kossinna`schen Ansatzes: Wie sollte man denn in den vorsprachlichen Kulturepochen die geistige Kontinuität, analog der ethnischen, zurückverfolgen? Denn was nützt eine völkische Kontinuität, wenn dieses «Volk» dann nicht auch das Richtige «denkt»? Sprache ist nämlich ein Bedeutungsträger, Keramik, Steingeräte und andere Artefakte sind das aber erst einmal nicht, auch nicht die Muster und Verzierungen auf ihnen. Das Alles kann nur der typologischen, chronologischen Einordnung dienen. Geht man aber davon aus, wie Herbert Kühn, dass diese Muster auch Bedeutungsträger sind und gewissermassen auf überzeitliche, allgemein gültige Deutungsmöglichkeiten hinweisen, so lässt sich dieser Brückenschlag locker machen, ohne irgendeine «Sprache» prähistorischer Menschen zu kennen: Wenn also in historischen Texten oder auf Darstellungen die Gleichung:

Mond=Frau=Erde=Fruchtbarkeit gilt, so gilt sie eben auch dann, wenn man auf das scheinbare Abbild des Mondes, einen Kreis, oder des Wassers, einer Welle, beispielsweise auf neolithischer Keramik, stösst.

Auch diese Art Symbol- und Mythendeutung fand sich noch lange nach dem Ende des Nationalsozialismus in der populärwissenschaftlichen Literatur. (SCHÄFER 2001)

Die Deutung prähistorischer Bilder und Zeichen, im Sinne eines wie auch immer gearteten Weltbildes, mit Hilfe symbolischer und mythologischer Analogien, ist die Fortführung von Gustav Kossinnas Ansatz, nur mit anderen Mitteln. Statt einer ethnischen Kontinuität, dem «Volk», wird eine geistige, mythologische oder spirituelle herphantasiert.

Ich zitiere nun die von den Nationalsozialisten kritisierte Textstelle:

Beim Wechsel des Mondes regnet es, das Zeichen des Mondes wird das Zeichen des Regens. Das Mondzeichen aber ist das Rad. Der Stein von West-Kilpatrick beweist es, auf dem Sonne, Mond und Morgenstern dargestellt ist, die Sonne mit ihren Strahlen, der Stern als Punkt, der Mond aber in vier Teile geteilt, weil er sich wandelt, weil er sich teilt, er ist das Gestirn der vier Phasen, ... das Rad, das sich zum Hakenkreuz schon früh verändern kann. In dieser Form erscheint es zuerst in Susa in Mesopotamien, vor 3000 v. Chr. Geb., das älteste Hakenkreuzzeichen, das wir kennen. (KÜHN 1932/1, 12)

Herbert Kühn musste sich auf den zu seiner Zeit aktuellen Chronologiestand beziehen. Der versetzte aber die Herkunft des zentralen nationalsozialistischen Symbols Hakenkreuz aus dem «germanischen Urraum» nach Kleinasien. Mesopotamien liegt zwar nun nicht gerade nahe bei der kleinasiatischen Levante, aber doch anscheinend nahe genug, dass später Herbert Kühns Gegner daraus konstruieren konnten, er habe das Hakenkreuz als genuin aus jüdischem Gebiet kommend beschrieben. (Wöhrmeyer an Frielingsdorf, 29.5.34 UAK Zug 17/3213)

In den Auseinandersetzungen der verschiedenen nazionalsozialistischen Vorgeschichtsrichtungen, wie KATER (1997) und BOLLMUS (1970) sie darstellen, hatte Herbert Kühn sich einer Richtung zugewandt, die bald darauf sehr diskreditiert werden sollte. War Hermann Wirth bereits vor der Begründung des «Ahnenerbes» bei vielen Wissenschaftlern zumindestens sehr umstritten, so nahm auch Heinrich Himmler, nachdem er mit Hermann Wirths Hilfe seinen Verein «Ahnenerbe» begründet hatte in den Jahren 1935 bis 1936 mehr und mehr Abstand von ihm. Allerdings sicherlich nicht aufgrund von Erwägungen im Rahmen wissenschaftlicher Redlichkeit, sondern aus machtpolitischem Kalkül. (KATER 1997 a.div. O.)

Ich kann dieser Frage nach Herbert Kühns theoretischer und auch personellerVerortnung in den ideologischen Lagern der nationalsozialistischen Vorgeschichtsforschung nicht weiter nachgehen, da das den Rahmen und die Intention meiner Arbeit übersteigen würde. Das wird wohl Thema für weitere Untersuchungen sein. Seine Thesen bezüglich des Monotheismus, die er nach dem Ende des Nationalsozialismus vertrat, weisen ihn auch als Vertreter der «Wiener Kulturhistorischen Schule», die von Wilhelm Schmidt begründet wurde, aus.

Ich schliesse mich vorerst den Auffassungen von GOLCZEWSKI (1988) an: Herbert Kühns «jüdische Versipptheit» alleine reichte 1935 noch nicht aus, ihm die Lehrbefugnis zu entziehen. Auch die Denunziationen spielten dabei eine wichtige Rolle (GOLCZEWSKI 1988, 183 f.).

Darüber hinaus könnte aber auch Herbert Kühns theoretisches Werk, seine ideologische Nähe zu den Wirth`schen Thesen, die er auch noch in den Fünfziger Jahren vertrat, wie aus den nun folgenden Ausführungen hervorgeht, den Grund abgegeben haben, dass einige Nationalsozialisten ihn nicht mehr als geeigneten Lehrer für «die deutsche Jugend» ansahen.

Wie sahen nun Herbert Kühns theoretischen Positionen nach 1945 aus?

Es gibt nur e i n e Urwurzel, e i n e n Grundgedanken, von dem alle anderen Elemente ausgehen und in den alle wieder zurückkehren. (Kühn 1932/1, 18)

Herbert Kühn, seit 1946 ordentlicher Professor an der Universität Mainz und Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur schreibt 1950: Eines der bedeutendsten Probleme der Vorgeschichtsforschung der Gegenwart ist die Frage nach der Entstehung des Gottesglaubens, ist die Frage des Urmonotheismus. (KÜHN 1950, 1)

Ein «Urmonotheismus» war bereits Thema in den Arbeiten von Hermann Wirth, dem dieser grossen Raum einräumte. Auch die «Wiener Kulturhistorische Schule» vertrat die These eines «Urmonotheismus» als ältester Religion einer «Urkultur», von der die rezenten Sammler- und Jägervölker abstammten.

Auch die Frauenstatuetten des Jungpaläolithikums müssen wieder zum Beweis herhalten, denn jede von ihnen, ebenso übrigens wie die figürlichen Höhlenmalereien in Frankreich, verweist über sich hinaus auf ihren «Schöpfer».

Diesmal geht Herbert Kühn aber nicht in «mythischer Schau» vor, sondern zieht philologische, ethnologische und archäologische Ergebnisse zu Rate. Trotzdem schliesst Herbert Kühn nach wie vor vom religiösen Mythos auf die archäologischen Funde, beispielsweise vom Mythos der Erschaffung Evas direkt auf die paläolithischen Frauenstatuetten: Baute nämlich Gott Eva aus einer Rippe, so findet Herbert Kühn hier den direkten Bezug zu den knochengeschnitzten Figuren der Altsteinzeit: Doch Gott selber war vor der Eva da. Er ist auch der Schöpfer der Eva, und so muss sich ein Urgottgedanke noch vor den weiblichen Statuetten erweisen lassen. (KÜHN 1950, 4f.)

Wie hat man sich, nach Herbert Kühn, nun diesen göttlichen Schnitzer vorzustellen? Die Opfer der Bärenschädel in den Höhlen geben die Antwort: Wo Opfer ist, da muss auch jemand sein, dem geopfert wird, und diese Gottheit wieder offenbart sich für unseren Blick dadurch, dass sich Sitte und Brauch des Bärenopfers noch heute erhalten hat bei sibirischen Völkern. Und bei ihnen ist es der Eine Gott, dem das Opfer gebracht wird, und so sind wir zu schliessen berechtigt, dass es auch in der Eiszeit der Eine Gott war, dem man das gleiche Opfer brachte. (KÜHN 1950, 5)

Die Deduktionen sind bei beiden Beispielen gleich: Der Mythos von Eva setzt den Schöpfergott voraus, der archäologische Fund einer Statuette ihren Schnitzer, der einer Opferstelle, den Gott. Selbst wenn man gläubig wäre, ist Herbert Kühns Argumentation trotzdem, im philosophischen Sinne, unlogisch. A=B (Gott, Eva) und C=D (Schnitzer, Fund) bedeutet eben nicht A=D (Gott, Fund). Ausserdem handelt es sich um nicht aufeinander bezügliche Bereiche: 1 ungleich 2 (mythologische Inhalte und archäologische Inhalte, respektive Religion und Wissenschaft oder Worte/Bilder und Gegenstände)

Herbert Kühn referiert als Beleg seiner These drei Ausgrabungen aus den ersten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts: Die Höhle Wildkirchli nahe St. Gallen im Kanton Appenzell, das Drachenloch nahe Vättis, Kanton St. Gallen und das Wildemannliloch in den Churfirsten. Diese Höhlen sind allerdings auf keinen Fall nicht weit von St. Gallen entfernt (KÜHN 1950, 7), wie Herbert Kühn behauptet. Und sie liegen übrigens eben auch nicht alle im Kanton St. Gallen, wie PROBST (1991) in seinem Buch mit dem Titel: «Deutschland in der Steinzeit» schreibt. (PROBST 1991, 148ff.)

Nur die Höhle Wildkirchli liegt in der Nähe der Stadt St.Gallen: Etwa 20 Kilometer Luftlinie, eine halbe Stunde Autofahrt, sind es bis zum Aufstieg ab Wasserauen. Sie ist mit 1400 Metern die am niedrigsten gelegene der drei Höhlen. Um den Aufstieg ab Nesslau zum 1600 Meter hoch gelegenen Wildemannliloch, das in 30 Kilometern Luftlinie, aber 70 Strassenkilometer von St. Gallen entfernt liegt, zu erreichen, fährt man mit dem Auto von St. Gallen aus etwa eine Stunde. Die Drachenlochhöhle bei Vättis liegt etwa in 90 Kilometern Luftlinie, was etwa 120 Strassenkilometern oder anderthalb Stunden Autofahrt entspricht, entfernt. Sie liegt 2400 Meter hoch, für Auf- und Abstieg benötigen geübte Bergwanderer etwa zehn Stunden.

Gelang Herbert Kühn in den dreissiger Jahren die Rückverfolgung der «Germanen» bis ins Jungpaläolithikum, so bringen ihn nun die Funde in den Höhlen ein ganzes Stück weiter, nämlich bis ins Mittlere Paläolithikum, das Mousterien. Alle drei Höhlen wurden, abwechselnd mit Höhlenbären, von den Neandertalern aufgesucht, deren Hinterlassenschaften dort von Emil Bächler ergraben wurden.

Der Neandertaler in der Epoche des Mousterien, ... errichtete Opferaltäre. ...Der Neandertaler, verbunden mit Religion, verbunden mit Opfer, verbunden mit Kult, das ist eine der grössten Entdeckungen, die die Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte überhaupt haben bringen können. (KÜHN 1950, 6)

Herbert Kühn vollzieht strukturell keinen Bruch zu seinen früheren Einstellungen. In den dreissiger Jahren glaubte man, das «Denken» der paläolithischen Menschen erschlüsseln zu können, in den fünfziger Jahren die «Religion». (KÜHN 1950, 6)

Doch etwas Anderes, als «Religion» waren die oben dargestellten, mythischen Inhalte um «Mond-Frau-Erde» auch nicht. Ausserdem betitelte Herbert Kühn beispielsweise eine Vorlesung des Sommersemesters 1932: «Religion und Denken der Vorzeit.»

Es folgt in Herbert Kühns Text eine kurze Darstellung der Fundplätze mit Zeichnungen, knapp vier Seiten, im Verhältnis zum Gesamttext von dreissig Seiten, woraus der Schwerpunkt seiner Arbeit gut erkenntlich ist.

Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Steinplatten in der geschilderten Weise so, intentional von den Mousterienleuten gesetzt wurden, wenn man Herbert Kühn darin folgt, dass Schädel nicht per Zufall unter Felsbrocken oder in Moore geraten, also auch mit Intention niedergelegt wurden, so folgt daraus noch lange nicht, dass es nur eine deutbare Intention gegeben habe: Nämlich die Niederlegung als «Opfer». Es kann viele Gründe geben einen Rentier- oder Bärenschädel auf eine Stange zu spiessen.

(zur Problematik dieser These siehe auch RABEDER et al 2000)

Die Kurzschlüssigkeit von Herbert Kühns Interpretation verrät sich auch in der Formulierung: Die Lage der Kultplätze in den Höhlen in einem entlegenen Teile, da wo sie am verstecktesten sind, deutet auf den Kult, und so kamen die Ausgräber sogleich bei der Entdeckung auf den Gedanken, dass es sich um einen Opferkult handle, ...um einen Uropferkult zu Ehren einer Jagdgottheit, der das Opfer dargebracht worden ist. (KÜHN 1950, 10)

Diese Grundthese wiederholt Herbert Kühn nun mehrmals, von den philologischen «Beweisen» zu ethnologischen und wieder zurück zu archäologischen aus anderen Regionen Europas springend. Die stetige Wiederholung, die übrigens diesen Text unübersichtlicher macht, wie seine oben zitierten Texte aus den dreissiger Jahren, wirkt wie eine Beschwörung, als müsse Herbert Kühn eine Wahrheit herbeten. Solche Beschwörungen sind Anzeichen seines verunsicherten Weltbildes in den fünfziger Jahren im Vergleich zum Weltbild zwanzig Jahre zuvor.

Ein Satz aus Kühns Aufsatz von 1950 ist geradezu paradigmatisch: Eben nicht nur für das Denken der Menschheit allgemein, so, wie er es sich vorstellt, sondern viel stärker für sein Eigenes:

Die Wirtschaftsform hat sich hier nicht geändert, das Denken hat sich nicht gewandelt, der Mensch ist innerlich der gleiche geblieben, wenn auch Jahrtausende, ja vielleicht Jahrhunderttausende zwischen den Menschen von damals und heute liegen. (KÜHN 1950, 10)

Wissenschafts- und ideengeschichtlich ist Herbert Kühn in den Rahmen einer geisteswissenschaftlich orientierten Vorgeschichtsforschung einzuordnen. Die Traditionen seines methodischen Vorgehens ähneln eher einer kunstgeschichtlichen Interpretation, die nach den Bedeutungen vorgefundener ästhetischer Werke fragt.

Dieses Fragen nach Bedeutungen geschieht bei Herbert Kühn auf der Basis von unhinterfragten Prämissen (symbolische Bedeutung gilt immer und überall, es gibt Indogermanen, es gibt Monotheismus ... etc.), deren Inhalte sich im Laufe der Zeit wandeln mögen, nicht aber die Struktur dieser Art Argumentation selber.

Insofern gehört Herbert Kühn, trotz seiner Gegnerschaft zum nationalsozialistischen Regime, in die Reihe jener rückwärtsgewandten Autoren, die nach dem zweiten Welttkrieg nicht nur in der Wissenschaft der Ur- und Frühgeschichte zu finden waren, sondern ebenso in anderen Fachrichtungen und gesellschaftlichen Bereichen.

Die Geschichte des Institutes für Ur- und Frühgeschichte an der Universität zu Köln

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