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Die »Weisen von Zion«, Hitler und die Illuminaten

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1864 hatte der Rechtsanwalt Maurice Jolly ein Pamphlet gegen die despotische Herrschaft Napoleons 111. verfasst, das er, um die Zensur zu täuschen, als Dialog von Montesquieu und Machiavelli ausgab. Für Letzteren ist in diesem Dialog die Menschheit nur durch eine umfassende, totalitäre Herrschaft zu retten, während Montesquieu die liberalen Ansichten des Autors vertritt. Jolly musste die Veröffentlichung mit 15 Monaten Gefängnis und 200 Franken Geldstrafe bezahlen. Dass seine geistreiche Schrift zur Basis einer der verhängnisvollsten Fälschungen der Weltgeschichte werden sollte, hat er nicht mehr erlebt. 1898 verfasste der in Paris lebende jüdische Russe Elle de Cyon eine beißende Satire auf den neuen russischen Finanzminister Witte und bediente sich dabei langer Passagen aus Jollys Dialog. Die russische Geheimpolizei Ochrana, die auch in Paris Verschwörungen gegen das Zarenreich auf der Spur war, geriet in Besitz des Papiers und schrieb es zu einem Lehrbuch zur Eroberung der Weltherrschaft um. Ausgegeben als Dokument einer jüdischen Geheimregierung und unter dem Titel Protokolle der Weisen von Zion war aus Jollys Plädoyer für Demokratie und Toleranz eine antisemitische Hetzschrift geworden.

1903 wurden die Protokolle erstmals in einer St. Petersburger Zeitung abgedruckt, und der Zar war so beeindruckt, dass er Auszüge in 362 Moskauer Kirchen verlesen ließ. Doch immerhin verbot Nikolaus II. die weitere Verwendung, als eine Untersuchungskommission den Text kurz darauf als Fälschung entlarvte. Seitdem ist die Weltverschwörungstheorie der Protokolle dutzendfach als Fälschung ausgewiesen und auch von Gerichten als solche bewertet worden, was ihre Verbreitung unterdessen nicht aufhielt. Der Autokönig Henry Ford, der eine Bolschewisierung Amerikas durch das liberale Judentum fürchtete, druckte die Thesen des Pamphlets im großen Stil nach – doch ihren furchtbaren Siegeszug trat die Theorie von der jüdischen Weltverschwörung erst im nationalsozialistischen Deutschland an. Hitler zitierte 1921 erstmals aus den Protokollen, und von da an tauchten sie in seinen Reden immer wieder auf. Dass es sich bei den Dokumenten, die in den deutschen Ausgaben als Protokolle eines Zionistenkongresses ausgegeben wurden, der angeblich 1897 in Basel stattgefunden hätte, um eine Fälschung handelt, wusste Hitler zwar genau. Doch wie für jeden Verschwörungstheoretiker sprach sich auch für ihn jeder Beweis gegen seine Theorie gerade für sie aus, wie er im ersten Band von Mein Kampf deutlich zu verstehen gibt:

»Wie sehr das ganze Dasein dieses Volkes auf einer fortlaufenden Lüge beruht, wird in unvergleichlicher Art in den von den Juden so unendlich gehassten ›Protokollen der Weisen von Zion‹ gezeigt. Sie sollen auf einer Fälschung beruhen, stöhnt immer wieder die ›Frankfurter Zeitung‹ in die Welt hinaus: der beste Beweis dafür, dass sie echt sind ... Wenn dieses Buch erst einmal Gemeingut eines Volkes geworden sein wird, darf die jüdische Gefahr auch schon als gebrochen gelten.«[12]

Nach seiner Machtübernahme sorgte Hitler dafür, dass der Inhalt der Protokolle zum Gemeingut in Deutschland wurde. Die Behauptung, dass eine jüdische Weltverschwörung schon die Revolutionen in Frankreich und Russland ausgelöst habe und nun per Demokratie und Liberalismus den Rest der Weltunterwanderer, wurde zum Lehrstoff an Schulen. Noch über dem gerade besetzten Frankreich ließen die Deutschen Flugblätter mit Thesen aus den Protokollen abwerfen. Dies zeigt, welche zentrale Rolle diese fiktive Verschwörungstheorie für die Propaganda im Dritten Reich spielte. Noch interessanter aber ist die oben schon angesprochene Tatsache, dass sich Hitler – anders als Stalin, der wegen einer fiktiven Verschwörung die reale übersah – eine fiktive Verschwörung zum Hauptfeind erkor, um exakt nach ihrem Modell eine reale Welteroberungsstrategie zu schmieden. So wurde Hitler, wie Hannah Arendt schreibt, zu einem »Schüler der Weisen von Zion«:

»Die totalitären Bewegungen adaptierten die organisatorischen Mittel der Geheimgesellschaften und entleerten sie gleichzeitig der einzigen Substanz, die solche Methoden rechtfertigen und zweckmäßig erscheinen lassen können, nämlich des Geheimnisses und der Notwendigkeit, es zu hüten ... Die Nazis begannen mit einer ideologischen Fiktion einer Weltverschwörung und organisierten sich mehr oder weniger unbewusst nach dem Modell der fiktiven Geheimgesellschaft der Weisen von Zion.«[13]

Die Frage, ob sich die Nazi-Elite nicht nur unbewusst nach dem Muster der fiktiven Geheimloge von Zion organisiert hat, sondern gezielt von realen Geheimbünden wie der Thulegesellschaft gesteuert wurde, ist mittlerweile Gegenstand von ausgefeilten Verschwörungstheorien. So hat sich ein junger Antiquar aus Süddeutschland unter Pseudonym in einem mehrbändigen Werk[14] an dem Nachweis versucht, dass alle jemals aufgedeckten Verschwörungen nur zur Tarnung der Illuminaten dienen, hinter denen eigentlich die Rothschild-Familie stecke, die alle Nationen und so auch die »Marionette Hitler« in Kriege getrieben und sie gezwungen habe, sich bei ihren Banken zu verschulden. Das krude Werk, das wegen einiger an die Protokolle und Mein Kampf erinnernde Passagen in Deutschland auf dem Index für jugendgefährdende Schriften steht, stellt die Nazis als verrückte Hassfanatiker und untergeordnete Werkzeuge einer seit Jahrhunderten laufenden Superverschwörung von Rothschild- & Rockefeller-Plutokraten dar. In etwas avancierterer Form wird eine ähnliche These auch in dem aktuellen Konspirations-Bestseller Das schwarze Reichvertreten. Darin heißt es:

»Weder der erste noch der zweite Weltkrieg, weder der Kommunismus noch das Dritte Reich Adolf Hitlers waren Betriebsunfälle der Geschichte ... Okkult-esoterische Machtgruppen standen hinter dem Experiment eines auf rein spirituell-magischer Basis aufgebauten Dritten Reichs ebenso wie hinter dem nicht zuletzt mit vatikanischer Hilfe beendeten kommunistischen Experiments im Ostblock.«[15]

Auf 900 Seiten und mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versucht der Autor den Nachweis, dass die Nazis nicht nur, wie Hannah Arendt meint, die Organisationsstruktur einer Geheimgesellschaft übernommen, sondern auch mehr oder weniger unbewusst die Inhalte und Zwecke einer Geheimgesellschaft weiter betrieben haben: die der Illuminaten.

Der Illuminatenorden wurde am 1. Mai 1776 in Ingolstadt von dem Freimaurer, Theologieprofessor und ehemaligen Jesuiten Adam Weishaupt gegründet. Der Encyclopaedia Britannica zufolge gelang es den Illuminaten rasch, viele Freimaurerlogen unter ihren Einfluss zu bringen und eine bedeutende Position in der Bewegung der republikanischen Freidenker zu erringen. Die Errichtung einer neuen kosmopolitischen Weltordnung ohne Staaten, Fürsten und Klassen, wie sie den Illuminaten vorschwebte, zog auch viele bedeutende Männer, wie etwa Goethe oder Herder, an. Doch die ganze Bewegung kam abrupt zu einem Ende, als sie 1784 von der bayerischen Regierung verfolgt wurde.

Für viele geht die Geschichte der Illuminaten mit ihrer offiziellen Auflösung 1785 allerdings erst richtig los, zählte doch eben dieses Verschwinden und die Operation im Verborgenen zu ihren eigentlichen Prinzipien, wie sie Weishaupt[16] und sein Mitbruder Adolph Freiherr von Knigge in ihren Instructiones benannt hatten:

»Wenn nur die Zwecke erreicht werden, so ist es gleichgültig, unter welcher Hülle es geschieht, und eine Hülle ist immernötig. Denn in der Verborgenheit beruht ein großer Teil unserer Stärke. Deswegen soll man sich immer mit dem [17]

Das war Wasser auf die Mühlen von frommen Verschwörungsjägern wie dem Abbé Barruel, der 1806 eine fünfbändige Horrorstudie vorlegte: über ein Komplott von Freimaurern, Illuminaten und Juden als Auslöser der Französischen Revolution und als heimliche Unterwanderer der katholischen Kirche, die schon von 800 jüdischen Priestern und Bischöfen infiltriert sei. Dem Freimaurerhistoriker Albert G. Mackey[18] zufolge hatten die Illuminaten um das Jahr 1870 mindestens 2000 Mitglieder in Freimaurerlogen in ganz Europa, doch hätte sich seines Erachtens der Baron von Knigge, eines der einflussreichsten Ordensmitglieder und frommer Christ, schwerlich so für die Illuminaten eingesetzt, wenn die Abschaffung des Christentums deren Ziel gewesen wäre. Abbé Barruel indessen brachte die Illuminaten mit islamischen Sufi-Orden, ketzerischen Tempelrittern und einer weltweiten jüdischen Verschwörung in Verbindung – und legte damit das paranoide Basiswerk vor, dem zufolge die erleuchteten Logenbrüder der Illuminaten nach ihrem offiziellen Verschwinden erst richtig Karriere machten und auch nach 200 Jahren Konspirologie immer noch ihr Unwesen treiben. Dass sich hinterdem Namen des distinguierten Freiherrn von Knigge, heute allenfalls noch durch ein vermeintliches Handbuch für gute Manieren ein Begriff, der dämonische Drahtzieher und Pionier einer bis heute andauernden Weltverschwörung verbirgt, ist einer der typischen Kicks in der Zwielichtzone des Verschwörungsdenkens. Nichts ist, wie es scheint.

Fragt ein Laie einen Verschwörungsexperten, was es mit diesen mysteriösen Illuminaten auf sich hat, wird dieser, um sich endlose Erklärungen zu ersparen, eine Dollarnote zücken. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, und das auf diesem Geldschein zeigt eine Pyramide, deren Spitze ein Dreieck mit einem strahlenden, magischen Auge bildet: das »Great Seal« der Vereinigten Staaten. Es ist das Siegel des Weishauptschen Illuminatenordens. Den Sockel der Pyramide ziert die Jahreszahl 1776. das Datum der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, zugleich auch das Gründungsjahr des Illuminatenordens. Darunter steht: Ordo Novus Seculorum die Neue Weltordnung. Das erklärte Endziel der Illuminaten hat im letzten Golfkrieg George Bush sen. (wie sein Sohn Mitglied in der »Skull & Bones«-Bruderschaft, von der noch die Rede sein wird) wieder ins Spiel gebracht, als im Namen der Neuen Weltordnung der zuvor von der CIA aufgepeppte Saddam Hussein abgestraft wurde. Aber nur ein bisschen, wie Verschwörungsexperten wissen, damit nämlich Israel weiter an der anglo-amerikanischen Kandare bleibt und das eigensinnig mit Saddam Handel treibende Frankreich endgültig seinen Einfluss im Nah-Ost-Schach verliert. Öl und der Illuminaten-Dollar hängen bekanntlich zusammen ... noch Fragen?

Ja. Ist nicht das Auge im Dreieck einfach nur das alte ägyptische und später auch christliche Symbol für die Ewige Wachsamkeit Gottes? Um diesen Einwand zu entkräften, bedarf es schon einer Lupe – aber tatsächlich: Das Auge hat einen Zinken, es schielt. Und warum? Es ist nicht Gott, sondern das Allsehende Auge der Gnosis, das esoterische Symbol der Wissenden und Erleuchteten – der Illuminaten eben, die die Welt mittlerweile fast unter das Joch ihrer Währung und Zinsforderungen gebracht haben.

Je komplexer die Verhältnisse werden, desto umfassendere und zugleich simplere Erklärungsmuster müssen her. Untereiner veritablen Riesenverschwörung, die alles erklärt, geht dann nichts mehr; wofür die angeblich seit über 200 Jahren verborgen operierenden Illuminaten nur ein Beispiel sind. In ihrer diabolischen Verschlagenheit stellen sie die finstersten Dämonen des guten alten Aberglaubens weit in den Schatten.

Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.

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