Читать книгу Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9. - Mathias Bröckers - Страница 15
Die Geldverschwörung
ОглавлениеFür einen kritischen Konspirologen ist es immer wieder ein Phänomen, dass die wildesten Verschwörungstheorien ausgerechnet dort obwalten, wo der Pegel wirklicher Verschwörungen gegen Normalnull tendiert, und andersherum, dass die allergrößten Realverschwörungen angezettelt und wirkungsmächtig werden, ohne gemeinhin in verschwörungstheoretischen Verdacht zu geraten. So auch die Geldverschwörung, jene Konspiration der Verzinsung, mit der ein schlichtes Tauschmittel zu »geldheckendem Geld« wird, um wenigstens einmal den roten Karl zu zitieren, das sich aus eigenen Stücken vermehrt.
Die seit den Zeiten Moses, der griechischen Stadtstaaten und des römischen Imperiums geltende Zinslosigkeit des Geldes war eine religiös begründete Verbraucherschutzmaßnahme. Wucher, das gebräuchliche Wort für den Zins, spricht genau an, um was es geht. Ein Körnchen Gold im Wert von einem Pfennig, vom Zimmermann Joseph zur Geburt seines Sohnes Jesu im Jahre null zu fünf Prozent Zinsen angelegt, wäre bis zum Jahr 1749 zum Wert eines Goldklumpens von der Größe der ganzen Erde gewuchert. Im Jahr 1990 hätten die Zinsen diesen »Josephspfennig« auf 134 Milliarden Kugeln Gold in der Größe unseres Planeten anwachsen lassen. Ein solches Wachstum sprengt über kurz oder lang nicht nur den planetarischen, sondern auch jeden sozialen Rahmen, weil es wenigen Geldbesitzern gegenüber der Mehrheit von Armen unüberwindliche Vorteile einräumt. Gleichwohl wussten schon die archaischen Gesetzgeber, dass Geld als Kreislaufmittel der Wirtschaft zirkulieren muss und Leih- und Kreditgeschäfte unverzichtbar sind. Deshalb war das Zinsgesetz, das Moses vom Berg Sinai mitbrachte, in weitere Regeln eingebettet: ein »Erlassjahr«, wonach in jedem siebten Jahr alle Schulden zu erlassen sind, und ein »Halljahr«, das im 50. Jahr den Besitz an Boden an den ursprünglichen Eigentümer zurückfallen lässt und seinen Preis nur noch am Wert der ausstehenden Ernten bemisst. Für das Volk ein Grund zum Jubeln, was sich bis heute in unserem Ausdruck »alle Jubeljahre« niederschlägt, und zudem eine äußerst weitsichtige Wirtschaftsregel. Denn global betrachtet ist die tickende Zeitbombe der Überschuldung die mit Abstand größte Gefahr für die Weltwirtschaft – und lokal würden alle großen Städte heute so etwas wie ein »Halljahr« als Himmelsgeschenk begrüßen, weil sie sich aufgrund der Bodenspekulation ihren eigenen Gemeindegrund in den Innenstädten nicht mehr leisten können.
Da die christlichen und muslimischen Gesetzgeber die Zinslosigkeit übernahtnen, hatte diese Regel bis zum Ausgang des Mittelalters in der westlichen und östlichen Welt Bestand. Geld war ein reines Tauschmittel. Dass es sich in der Folgezeit auch zu einem Mittel der Schatzbildung mit magischen, selbstvermehrenden Eigenschaften entwickelte, ist Resultat einer überaus erfolgreichen Konspiration, die zunächst im Verborgenen blühte, in den Tabu- und Randzonen der Gesellschaft, und später zu einem Werkzeug der Mächtigen wurde, die all das hervorbrachte, was wir nunmehr Weltwirtschaft nennen und bis heute kaum durchschauen. Denn was Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts notierte, gilt noch immer: »Kein normaler Konsument weiß heute auch nur ungefähr um die Herstellungstechnik seiner Alltagsgebrauchsgüter. Nicht anders aber steht es mit sozialen Institutionen wie dem Geld. Wie dieses eigentlich zu seinen Sonderqualitäten kommt, weiß der Geldgebraucher nicht, da sich ja selbst die Fachgelehrten streiten.«[19]
Um dem Geheimnis des Geldes auf die Spur zu kommen, müssen wir ein wenig Licht auf das Ende des dunklen Mittelalters werfen: auf die Hintergründe, die Akteure und die Kämpfe, die unser heutiges Geldwesen hervorgebracht haben.[20]Bis zur ersten Jahrtausendwende hatten die Juden, denen anders als den Christen und Muslimen das Zinsnehmen gegenüber anderen Völkern erlaubt war, das Zinstabu im Verborgenen verwaltet und im christlichen Europa die Grauzone Zinsleihe (»Wucher«) übernommen. Dafür wurden sie sowohl als »unrein« ver- als auch für ihre unverzichtbaren Dienste hoch geachtet. Wer bei den christlichen Landsleuten keinen Kredit bekam, konnte ihn halblegal, »gegen Wucher«, bei jüdischen Geldverleihern bekommen. Bis zum 11. Jahrhundert spielten sich diese Leihgeschäfte vorwiegend im Rahmen der Naturalienwirtschaft ab, die keine großen Summen bewegte. Mit der Dynamisierung der Wirtschaft im ausgehenden Mittelalter aber, mit der wachsenden Mobilität, den neuen Werkzeugen und Techniken des Ackerbaus und der Produktion, spielten Geldverkehr und Kreditwesen eine immer wichtigere Rolle. Damit wurde die traditionell in der Tabuzone am Rande der Gesellschaft operierende jüdische Minderheit in eine zentrale Rolle des Wirtschaftslebens katapultiert, was geschäftstüchtige Vertreter der Christenheit nicht ruhen ließ. Alsbald traten, gegen alle Verbote, auch katholische Wucherer auf den Plan. Jacques le Goff stellt dazu fest: »Die Wahrheit ist, dass im Zeitalter Franz' von Assisi und der Heiligung der Armut die Armen verachtet wurden und der Wucher ein Mittel des sozialen Aufstiegs sein konnte, der nur mit dem Schreckgespenst des Höllenfeuers gebremst werden konnte.« Kanoniker und Scholastiker wurden in der Folgezeit nicht müde, die Schändlichkeit des Wucherers zu beweisen und die ihm drohenden Höllenqualen auszumalen. Der Wucherer stand auf der moralischen Leiter noch unter dem gemeinen Dieb oder Räuber, er war nicht nur Verbrecher, sondern auch »Sünder«; er bereicherte sich an etwas Unfassbarem, an der Zeit. Denn, so der Heilige Anselmus: »Der Wucherer leiht dem Schuldner nichts, was ihm gehört, sondern nur die Zeit, die Gott gehört. Er darf also keinen Gewinn aus Verleih fremden Eigentums ziehen.« Zudem fördere der Zeitdiebstahl durch Zins die Ungleichheit und sei, wie Thomas von Aquin im Anschluss an Aristoteles feststellt, schlicht contra naturam, »widernatürlich«, weil »Geld sich nicht fortpflanzt«. Es wurde, so Thomas weiter, »erfunden, um Tauschhandlungen zu tätigen. Und deshalb ist es an sich unerlaubt, für den Gebrauch des geliehenen Geldes eine Belohnung zu nehmen, die man Zins nennt.« Und der heilige Bonaventura ahnte, lange vor Karl Marx, gar schon etwas von heimlichem »Mehrwert«: »Das Geld kann von sich und durch sich keine Früchte tragen, sondern die Frucht kommt anderswoher.«[21]
Wie viele Konspirationen trägt auch die Geldverschwörung durchaus innovative, evolutionäre Züge, denn angesichtswachsender Mobilität und Wirtschaftsentwicklung schreit auch der Geldfluss nach Beschleunigung – und wird umso bereitwilliger zur Verfügung gestellt, je mehr sein Einsatz sich lohnt. Besonders die als »Kreuzzüge« verbrämten Raub- und Eroberungsexpeditionen erfordern Kapital, und so kommt es nicht von ungefähr, dass es der 1117 von Hugo von Payens im frisch eroberten Jerusalem gegründete Orden der Tempelritter war, der einen Ausweg aus dem Dilemma Zinslosigkeit oder Höllenqual entdeckte. Die frommen Ritter erfanden neben Scheck und Kreditbrief auch die »zinsfreie« Pfandleihe, indem sie für Kredite auf Häuser und Grundbesitz Gewinnbeteiligung aus Mieten und Ernteerträgen beanspruchten. Diese trickreiche Umgehung des Zinsverbots machte den Templerorden innerhalb kürzester. Zeit zu einem multinationalen Finanzkonzern, dessen Einfluss sich über das gesamte Europa und den Nahen Osten erstreckte. Kein König, kein Fürst und kein Abt konnte bald mehr ohne das Geld der fratres militiaetempli agieren, die außer den Mächtigen auch den gesamten Berufsstand der Kaufleute unter ihre Kontrolle brachten, da sie deren internationale Finanzgeschäfte abwickelten. Aber Reichtum kommt vor dem Fall: Der monopolistisch dominierende Templerorden wurde von einem päpstlichen Konzil seiner raffinierten Finanzinnovation wieder beraubt und die Pfandleihe mit dem Wucher auf eine Stufe gestellt. Am Freitag, dem 13. Oktober 1307, verhaftete dann, auf Betreiben des französischen Königs Philip IV., die Inquisition unter fadenscheinigen Vorwänden die Großmeister des Ordens. Aufgebrachte Händler stürmten ihren Pariser Tempel, die »Wallstreet« des Hochmittelalters. So wurde der erste international operierende Finanzkonzern, die Urform der heutigen »global players«, zerschlagen.
Wer Geld gegen Zins verleiht, soll dastehen wie einer, der vom Satan erfasst ist.
Koran, 2. Sure
In kaum hundert Jahren entfaltete die Zinsdynamik dennoch ihre eminente soziale Sprengkraft. Die Erfolgsstory der Templer blieb auch nach ihrer offiziellen Auflösung nicht ohne Wirkung. In den italienischen Stadtstaaten, die den Vatikan in Sachen Ökonomie nicht als weisungsbefugt, sondern als lokale Konkurrenz betrachteten, etablierten sich die ersten christlichen Geldverleiher, die im Sinne der armen Ritter den »Zeitdiebstahl« als Ressource der Wertschöpfung zu nutzen gelernt hatten. Und so sehr später auch der Reformator Luther gegen den Zinsnehmer als blutsaugenden »Werwolf« wetterte, dauerte es doch nicht lange, bis das zum Großkonzern aufgestiegene Augsburger Handelshaus Fugger dank eines protegierten Gutachtens des Theologen Eck die frohe Kunde erhielt, dass ein Zinssatz von fünf Prozent per anno durchaus noch mit dem Himmelreich vereinbar sei. Damit wurde nur noch der überhöhte Zins als Wucher gebrandmarkt, und kein bußfertiger Wucherer musste durch den apodiktischen Fluch des Propheten Hesekiel mehr sein Seelenheil gefährdet sehen ...
Wer auf Zins leiht und Zuschlag nimmt, soll der am Leben bleiben? Er muss sterben, sein Blut komme über ihn!
Hesekiel 18,13
Es kommt nicht von ungefähr, dass die beiden Gruppen, die bis heute im Mittelpunkt vieler Verschwörungstheorien stehen, eben jene waren, die am Ausgang des Mittelalters zentral in die Konspiration des Geldes verwickelt sind: Juden und Tempelritter. Der so genannte »religiöse« Antisemitismus,der die Juden als »Christusmörder« brandmarkt und zum Hassobjekt macht, kam bezeichnenderweise just zur Zeit der Kreuzzüge auf, als sich die Tempelritter daran machten, gegen die randständigen jüdischen Geldgeschäfte ihr professionelles Finanzbusiness hochzuziehen. Ähnlich wie es 800 Jahre später die deutschen Nazis mit der Parole »Nieder mit der Zinsknechtschaft« nicht auf das Bankwesen insgesamt, sondern gezielt auf jüdisches Kapital abgesehen hatten, hetzten die Templer und die bewaffneten Horden des kreuzfahrenden Mobs nicht aus biblisch-theologischen, sondern aus sehr viel konkreteren Gründen gegen die Juden. Sie waren die einzige Konkurrenz in einem boomenden Markt, in dem sich alles um die Alchemie des Geldes, die hohe Kunst der Kapitalvermehrung drehte.
Der lange Tisch der Geldwechsler – banco –, die ohne Rücksicht auf den wetternden Papst nunmehr im Namen des Herrn Geld gegen Zins verliehen, wurde zum Synonym für die bald prächtigen Bankhäuser, die mit ihren tempelartigen Fassaden ebenso an die Tempelritter gemahnten wie an die alten Sakral- und Opferstätten. Das aus dem Abschaum der Gosse zu unübersehbarer Bedeutung aufgestiegene Geldgewerbe feiert sich selbst und belegt zugleich, dass in seinen Tempeln tatsächlich eine Art ritueller Magie stattfindet. Es ist kein Zufall, dass die Zentralbank der heutigen Welt, die Federal Reserve Bank (FED) der USA, immer noch der »Tempel« genannt wird und seine Großmeister reden wie Orakelpriester. Berühmt istAlan Greenspans Diktum: »Wenn Sie mich verstanden haben, habe ich mich nicht präzise genug ausgedrückt.« Die Grundlagen ihres Zaubers sind seit dem Hochmittelalter, der Entstehung des modernen Bankwesens, dieselben geblieben, und selbst in dem Wahlspruch des amerikanischen 20. Jahrhunderts »time is money« hält sich eine Erinnerung an den »Zeitdiebstahl«, den die Scholastiker noch als sündhaft tabuisiert hatten. Heutzutage hat die ökonomische Globalisierung zu einer immer größeren Konzentration des Finanzkapitals in den Händen von immer weniger Akteuren geführt. Nie zuvor in der Geschichte haben ein paar Handvoll von Leuten eine derartige internationale Macht ausgeübt wie heute. Ist also tatsächlich längst »alles unter Kontrolle« – unter der eines Dutzends Finanzmagnaten und Bankkonzernen, die Staaten und Regierungen wie die Puppen tanzen lassen können, weil sie an ihrem Tropf hängen? In Deutschland kommen mittlerweile fast 50 Prozent des gesamten Staatshaushalts nicht mehr der Bevölkerung zugute, sondern gehen als Schuldzinsen an die Banken. Die Hälfte von jeder Steuermark: ab durch den Schornstein. In anderen Ländern sieht es noch viel dramatischer aus. Wie immer man das System nennt, das dahintersteckt – es läuft auf eine fatale Katastrophe hinaus. Und die Schere zwischen Arm und Reich geht ständig weiter auseinander. Der Verdacht, dass tatsächlich bald alles unter der zentralistischen Kontrolle einiger Finanzmogule steht, kann da nicht länger einfach als wilde Verschwörungstheorie abgetan werden.
Die Geldmacht
Ich sehe in naher Zukunft eine Krise heraufziehen ... In Friedenszeiten schlägt die Geldmacht Beute aus der Nation und in Zeiten der Feindseligkeiten konspiriert sie gegen, sie. Sie ist despotischer als eine Monarchie, unverschämter als eine Autokratie, selbstsüchtiger als eine Bürokratie. Sie verleumdet all jene als Volksfeinde, die ihre Methode in Frage stellen und Licht auf ihre Verbrechen werfen ... Eine Zeit der Korruption an höchsten Stellen wird folgen, und die Geldmacht des Landes wird danach streben, ihre Herrschaft zu verlängern, bis der Reichtum in den Händen von wenigen angehäuft und die Republik vernichtet ist.
Abraham Lincoln, 21.11.1864
Dennoch glaubt Robert A. Wilson zum Beispiel nicht, dass wir auf ein System totaler globaler Kontrolle zusteuern. Die Ursache dafür sieht er ausgerechnet in jenem Medium, das sich in jüngster Zeit zu einem ganz neuen Nährboden für die Ausbreitung von Verschwörungstheorien entwickelt hat: dem Internet.
»Ich glaube, es ist die revolutionärste Entwicklung, der dramatischste Schritt, seit das Leben einstmals vom Wasser auf das Land gewandert ist. Internet bedeutet die Abwesenheit von Kontrolle über das ganze System als einzige Möglichkeit, das System aufrechtzuerhalten. Keine kleine Truppe von Verschwörern kann jemals das Netz kontrollieren. Der einzige Weg, das Netz als Ganzes aufrechtzuerhalten, ist die Dezentralisierung der Kontrolle ... Ich denke, das Internet zwingt zur Dezentralisierung, und deshalb sehe ich die Welt im 21. Jahrhundert eher auf ein anarchistisches als auf ein faschistisches System zusteuern. Ich meine damit nicht ein total anarchistisches Chaos, aber es geht eher in diese Richtung als zu einem Faschismus der Kontrolle und der strikten Hierarchien.«[22]
Das Internet, in dem das Verschwörungsdenken einen unglaublichen Nährboden gefunden hat, versetzt uns gleichzeitig in die Lage, uns ein eigenes Bild über reale Verschwörungen und falsche Theorien zu machen – und sogar jene reale Verschwörung zu knacken, die nach der Liberalisierung von Telefon-, Energie- und anderen Monopolbetrieben jetzt am dringendsten ansteht: das Geldmonopol.
Schon zu Beginn des Jahrhunderts hatten findige Ökonomen entdeckt, wo der eigentliche Haken der kommunistischen und der kapitalistischen Wirtschaftssysteme liegt. Die Kommunisten lähmten den Markt, indem sie das natürliche Prinzip der freien Konkurrenz völlig ausschalteten. Und die Kapitalisten lähmten ihn fast ebenso, weil sie Konkurrenz zwar zuließen, aber Investitionen durch teures, mit Zinsen belastetes Geld erschwerten, und weil sie so auf Dauer nicht dem freien Unternehmer, dem Wettbewerb, der Evolution, sondern stets nur den Geldbesitzern Vorteile verschafften. Freie Marktwirtschaft, so Silvio Gesell, der Theoretiker und kurzzeitige Wirtschaftsminister der Münchner Räterepublik, kann nur mit »Freigeld« erreicht werden – einem zinslosen Geld, das nur als Medium des Tausches, nicht aber zur Schatzbildung taugt, denn durch Aufbewahrung gewinnt es nicht, sondern verliert es an Wert. Praktische Versuche mit solchem Geld in Kommunen und Landkreisen hatten damals zu einer extremen Belebung der Geldzirkulation und des Investitionsklimas geführt – Daten, die jeden Ökonomen in Entzücken versetzten.
Doch Gesells brillante Ideen verschwanden fast so schnell wieder von der Bildfläche wie die Münchner Räteregierung. In den 1940er Jahren wurden sie zwar von dem renommierten amerikanischen Wirtschaftsprofessor Irving Fisher noch einmal aufgegriffen, doch über ein kleines Senats-Hearing kam sein bahnbrechender Vorschlag von »stamp money« nicht hinaus.
Die Geldverschwörung läuft seitdem unangefochten und weitestgehend unbemerkt weiter, und nicht nur das: Obwohl jeder Geld benutzt und bei jedem Einkauf, bei jeder Rechnung Zinsen bezahlt, weiß doch kaum jemand von dieser Verschwörung bzw. hält den Zusammenhang von Geld und Zins für so naturgegeben wie den von Wasser und Feuchtigkeit.
Tatsächlich werden Banken, die Geld zu hohen Kosten in die Zirkulation bringen, durch das Internet tendenziell überflüssig: Die User könnten sich auf ihr eigenes Geld einigen und es – dank Verschlüsselungssoftware – fälschungssicher zirkulieren lassen.
Schlechte Nachrichten für die Illuminaten, wenn es sie denn gibt, und für alle, die nach zentralistischer Kontrolle streben – so wie der weltweite Vertrieb der kostenlosen Verschlüsselungssoftware »Pretty Good Privacy«[23] von den amerikanischen Geheimdiensten nicht verhindert werden konnte, so wenig wird sich verhindern lassen, dass die Benutzer damit unentschlüsselbare, absolut geheime E-Mails verschicken und künftig eigene, nicht nur fälschungssichere, sondern auch zinsfreie Zahlungsmittel entwickeln. Damit werden zum einen Operationen im Verborgenen in einem Ausmaß möglich, von denen selbst die perfidesten Geheimlogengründer aller Zeiten nur träumen konnten, zum anderen aber werden reale Großverschwörungen wie die des Big Money einfach unterminiert. Wen würde morgen noch der teure Dispokredit der Bankeninteressieren, wenn die Internet-Community zinsloses Geld anbietet? Wenn die Illuminaten tatsächlich zweihundert Jahre gearbeitet haben, um die Papierscheine, die seit Bruder Roosevelts »New Deal« das erleuchtete Siegel tragen, als Währung ihrer heimlichen Weltregierung zu etablieren, dann hätte ihnen das World Wide Web einen schweren Strich durch die Rechnung gemacht. Im Verlauf unseres Millenniums werden sie auf diesem mörderischen Geld, unter dessen Zinslasten Milliarden Menschen ächzen, schlicht und ergreifend sitzen bleiben – und das Schöne ist: Es bräuchte zu dieser Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus – außer einem Spekulationsverbot mit Grund und Boden – nicht einmal eine Revolution.
Wenn im anbrechenden Internet-Zeitalter zentralistische Kontrolle tendenziell unmöglich wird und selbst reale Verschwörungsbastionen wie das Geldmonopol unterminiert werden können, zeigt sich damit ein weiterer allgemeiner Grundzug aller Verschwörungen: dass sie nämlich selten so superclever und übermächtig sind, wie ihre Theoretiker annehmen. Wenn aber die eine Megaverschwörung, die mit ihren Tentakeln die ganze Welt umschlingt, nur in der Einbildung von schlichten Gemütern existiert, folgt daraus nicht, dass auch alle anderen Verschwörungstheorien nur Phantastereien sind. Das zeigen aufgedeckte Verschwörungen wie die 1981 enttarnten Aktivitäten der rechtsradikalen Loge Propaganda Due, kurz: P2, die mit 950 ihrer Agenten sämtliche Schlüsselstellungen Italiens einschließlich der Regierung übernommen hatte.