Читать книгу Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9. - Mathias Bröckers - Страница 7
Vorwort
ОглавлениеDies ist ein Buch über Verschwörungen. Wenn Sie das für etwas Schlimmes halten, kann ich Sie beruhigen: Verschwörungen sind das Selbstverständlichste der Welt. Ihr schlechter Ruf sowie die Tatsache, dass die meisten Staaten Gesetze gegen Verschwörungen erlassen haben, hat nichts mit ihnen selbst, sondern mit ihrem Missbrauch zu kriminellen Zwecken zu tun.
Dies ist auch ein Buch über Verschwörungstheorien. Diese stehen bei vielen Zeitgenossen ebenfalls in denkbar schlechtem Ruf, doch auch diese Tatsache ist weniger der Verschwörungstheorie an sich als vielmehr ihrem Missbrauch zu propagandistischen, demagogischen Zwecken geschuldet. Ohne angemessene Verschwörungstheorien aber, so wird zu zeigen sein, lässt sich unsere hochgradig komplexe und konspirative Welt gar nicht mehr verstehen.
Dies ist vor allem ein Buch über die Verschwörungen und Verschwörungstheorien des 11. September 2001. Wenn dieses Datum Ihnen nicht nur wegen der brennenden und zusammenstürzenden Zwillingstürme des World Trade Center selber, sondern mehr noch wegen der landauf, landab behaupteten Täterschaft zu denken gibt, dann sollten Sie sich zumindest probeweise von etwas verabschieden, das sich nach der größten Polizeifahndung aller Zeiten als lupenreine (weil unbewiesene) Verschwörungstheorie herausgestellt hat: die offizielle Version der Ereignisse. Gegen den angeblichen Chefplaner Osama Bin Laden und seine »Al-Qaida«-Bande liegen heute, ein knappes Jahr nach den Anschlägen, so viele Beweise vor wie wenige Stunden danach: praktisch keine.
Dies ist auch eine Art Tagebuch der Anschläge auf das WTC und das Pentagon, denn der Schock des 11. September erreichte mich mitten in der Arbeit an diesem Buch und krempelte es völlig um. Statt das Verschwörungswesen an historischen und theoretischen Beispielen studieren zu müssen, konnte ich es plötzlich aktuell und gleichsam auf freier Wildbahn beobachten. Als konspirologischer Beobachter und Forscher wurde ich so umgehend zu einem Kriegsgewinnler, denn mit dieser Katastrophe und ihren schrecklichen Folgen lieferte die Realität ein Forschungsobjekt par excellence live auf den Bildschirm. Meine Anmerkungen dazu habe ich vom 13. September an unter dem Titel »The WTC-Conspiracy« im Online-Magazin telepolis veröffentlicht. Sie finden sich hier nun in gedruckter Form.
In diesem Buch will ich Ihnen keine eigene Verschwörungstheorie zum 11. September verkaufen. Ich verspreche weder einfache Lösungen noch perfekt passende Deckel auf brodelnde Töpfe von Widersprüchen, noch stimmige Endreime auf Berge von Ungereimtheiten. Eines jedoch könnte die Lektüre bewirken: dass Ihnen das Propaganda-Menu, das die Köche in Brainwashington D. C. und ihre Medienkellner aufallen Kanälen servieren, nicht mehr so richtig schmeckt; dass Ihnen die Zutaten suspekt erscheinen und Sie beginnen, Fragen zu stellen und selbst nach möglichen Antworten zu suchen. Und falls Sie vorerst sprachlos sind: Die 100 dringlichsten FAQ, die »most frequently asked questions« zum 11. September, finden Sie am Ende dieses Buches.
Dieses Buch ist eine Einladung zur Anti-Conspiracy-Conspiracy, zur Gegen-Verschwörungs-Verschwörung. Es versucht eine Einübung in den konspirologischen Blick und begreift auch die makroskopische Welt als Bündel von Wahrscheinlichkeiten, aus dem erst durch den individuellen Akt der Beobachtung (Wahr-Nehmung) Realität entsteht. Es plädiert dafür, die Konspirologie aus der Verbannung als schmutzige, unscharfe Erkenntnistheorie zu befreien und als kritische Wahrnehmungswissenschaft ernst zu nehmen. Wenn es vor einigen Jahrhunderten naiv war und als Aberglauben galt, hinter den Dingen unsichtbare Drahtzieher und Interessen anzunehmen, sollte es im vor uns liegenden Jahrhundert als naiv gelten, hinter der Wirklichkeitssimulation der Medien keine Drahtzieher und Interessen zu vermuten.
Vor einigen Jahren vertraute der Co-Chairman des Rates des Weltwirtschaftsforums in Davos, Maurice Strong, einem Reporter die groben Umrisse eines Romans an, den er, Strong, gern zu Papier bringen würde. Jeden Februar kämen ja in Davos über tausend Chief Executive Officers, Regierungschefs, Finanzminister und führende Wissenschaftler zusammen, um den Gang der Welt für das folgende Jahr zu besprechen. »Was würde passieren«, so Strong, »wenn eine kleine Gruppe aus dieser großen Runde zu dem Schluss käme, dass das Wohlergehen der Erde in erster Linie durch die reichsten Industrieländer gefährdet sei? ... Um den Planeten zu retten, entscheidet die Gruppe, es sei ihre Pflicht, den Zusammenbruch der westlichen Zivilisation herbeizuführen!« Maurice Strong redet sich heiß:
»Diese kleine Gruppe von World Leaders bildet also eine Verschwörung mit dem Ziel, die Weltwirtschaft aus dem Lot zubringen. Es ist Februar. Alle entscheidenden Leute sind in Davos. Die Verschwörer gehören zur Führungselite der Welt. Sie haben sich in den globalen Waren- und Aktienmärkten positioniert. Mittels ihres Zugangs zu den Finanzmärkten, zu den Computernetzen und zu den Goldreserven erzeugen sie eine Panik. Dann verhindern sie, dass überall auf der Welt die Finanzmärkte schließen. Sie blockieren das Getriebe. Sie heuern Söldner an, welche die übrigen Konferenzteilnehmer in Davos als Geiseln festhalten. Die Märkte bleiben offen ...«
Der Reporter kann seine Überraschung nicht verbergen. Maurice Strong kennt diese Weltelite. Er sitzt im Zentrum der Macht. Er könnte das alles tatsächlich in Gang bringen. Strong fängt sich und schließt: »Ich sollte so etwas eigentlich gar nicht sagen.«
H. J. Krysmanski, Professor der Soziologie in Münster, zitiert diese Anekdote auf seiner Website, um auf eine neue Qualität der Globalisierung aufmerksam zu machen: das Entstehen einer transnationalen Machtelite, die im Verhältnis zur Weltbevölkerung kleiner und im Vergleich zu früheren Herrschaftsverhältnissen mächtiger ist als jede herrschende Klasse zuvor – was aber bis dato kaum ins Blickfeld der Sozial- und Politikwissenschaften geraten ist. Die Behauptung, dass ein kleiner Club von Hyperkapitalisten insgeheim die Weltregiert, wäre vor wenigen Jahrzehnten noch als naive Verschwörungstheorie belächelt worden. Heute unterdessen darf als naiv belächelt werden, wer angesichts der globalen Netzwerke des Finanzkapitals und der Megakonzerne noch an Metaphern wie »freier Wettbewerb« und »Marktwirtschaft« glaubt – und nicht spätestens auf den zweiten Blick die Strukturen einer Verschwörung entdeckt.
Die krankhaften Erscheinungsformen des Verschwörungsdenkens mögen lange dazu beigetragen haben, das Thema an sich als Fall für Paranoiker und Crackpots nicht weiter ernst zu nehmen – geschweige denn eine nüchterne Methode, ein Werkzeug der Realitätswahrnehmung, eine skeptische Wissenschaft daraus zu machen. Eine solche kritische Konspirologie hätte die ständige Anwesenheit von Verschwörungen in lebenden Systemen zu berücksichtigen – das heißt, die Rolle der Konspiration in der evolutionären Dialektik von Konkurrenz und Kooperation genauer zu untersuchen. Sie hätte die Aufgabe, in dieser amorphen Unterwelt gegenseitiger Vorteilsnahme Strukturen und Muster auszumachen und möglichst allgemeingültige Prüfsteine und Kriterien für den Realitätscheck von Verschwörungstheorien zu liefern.
Für die kritische Konspirologie sind Verschwörungen die »dark matters« des Informationszeitalters und Verschwörungstheorien auf Indizien beruhende Vorstellungen über Zustand und Wirkungsweise dieser dunklen Materie. Ähnlich wie Neutrinos oder andere subatomare Teilchen lässt sich die Anwesenheit der dunklen Verschwörungsmaterie nur indirekt nachweisen: In dem Moment, wo man sie direkt beobachtet das heißt aufdeckt –, verliert sie ihren Verschwörungscharakter. Die Unschärferelation der Quantenphysik – die paradoxe Verschwörung von Teilchen und Welle, von Schrödingers Katze und Einsteins Maus – scheint auch für die Beobachtung von Verschwörungssystemen zu gelten. Je genauer man einen bestimmten Aspekt ins Auge fasst, umso unweigerlicher gerät ein anderer aus dem Blickfeld. Auf diese Unschärfe werden wir im Verlauf dieses Buchs noch an vielen Punkten stoßen, doch das entstehende Bild deshalb als untauglich zu verwerfen, wäre falsch.
Im ersten Teil des Buchs nähern wir uns dem Thema aus großem historischen Abstand, genauer: mit einem Rückblick auf die vielleicht einzige wirkliche Weltverschwörung, die seit über zwei Milliarden Jahren existierende Konspiration der Bakterien. Zu diesem Zeitpunkt schlossen sich die damaligen Weltherrscher – einzellige Bakterien – auf konspirative Weise zusammen, um mehrzellige Lebewesen hervorzubringen. Diese Bio-Konspiration wirft unsere derzeitigen Vorstellungen von der Evolution des Lebens ziemlich über den Haufen und entlarvt nebenbei den Neodarwinismus als Verschwörungstheorie. Denn nicht nur Kampf und Konkurrenz (im Darwinschen Sinne), sondern auch zwei weitere Prinzipien – Konspiration und Kooperation – haben dafür gesorgt, dass auf diesem Planeten Leben entstehen und gedeihen konnte.
Die nächsten Kapitel engen den historischen Rahmen dann schon deutlich ein und werfen einige Schlaglichter auf das menschliche Verschwörungswesen in den letzten Jahrhunderten sowie auf die Strukturen und Funktionsweisen von Verschwörungen und Verschwörungstheorien – von Hitler und Stalin bis zu den dunklen Geschäften der CIA, von den Templern und Freimaurern bis zur Federal Reserve Bank.
Der zweite Teil des Buchs ist dann sozusagen der »Live« Berichterstattung gewidmet und enthält ein konspirologisches Tagebuch in Form jener Artikel, die vom 12. September 2001 bis Ende März 2002 im Online-Magazin telepolis erschienen sind. Ich habe diese Texte weitestgehend in der Originalfassung belassen und stillschweigend nur Flüchtigkeitsfehler und Wiederholungsschleifen getilgt. Korrekturen, Ergänzungen und Kommentare aus späterer Sicht (mein »Redaktionsschluss« bei diesem Buch war Ende Juli 2002) sind jeweils kursiv angefügt. Das jeweilige Veröffentlichungsdatum ist in der Titelzeile angegeben und für die Einschätzung der Lektüre nicht unwichtig.
In der Hysterie und Medienuniformität in den Tagen und Wochen nach dem Anschlag schien meine verschwörungstheoretische Herangehensweise ziemlich schrill und unerhört – ein wutschnaubender Kollege wünschte mir dafür sogar den Tod als »Fettfleck an einer Hochhauswand«. Im Nachhinein, bei der Durchsicht für diese Buchausgabe, hat mich dann erstaunt, wie harmlos und fast selbstverständlich das mittlerweile schon klingt. Vielleicht hat das mit dem »Rückspiegeleffekt« zu tun, den der Schriftsteller William S. Burroughs meinte, als er den Mainstream kultureller Wahrnehmung einmal mit einem Beifahrer verglich, der die Landschaft nur im Rückspiegel betrachtet. Taucht etwas Unerwartetes, Neues auf, nimmt er es zuerst einmal nicht wahr. Die Behauptungen des vorausschauenden Fahrers über das, was auf sie zukommt, erklärt er für irrelevant. Erst wenn die Veränderungen dann auch im Rückspiegel sichtbar werden und beim besten Willen nicht mehr zu leugnen sind, erklärt er: »Aber das kennen wir doch schon, das ist doch gar nichts Neues.«
Diesen Effekt würde ich diesem Buch auch wünschen, und dass es von einigen Rückspiegelsehern für irrelevant, verrückt und also nicht weiter ernst zu nehmen erklärt wird, steht zu erwarten. Doch ebenso auch die Hoffnung, dass etwas vorausschauendere Zeitgenossen feststellen: »Das ist ja alles gar nichts Neues« – und beginnen, sich mit diesen altbekannten Fakten zu beschäftigen. Weil in der Welt der Konspiration alles mit allem zusammenhängt, werden einige vieles und viele einiges vermissen. Das ist leider unvermeidlich und schlicht mit der Aufnahme- und Verarbeitungskapazität meines Bioprozessors begründet. Allerdings, um noch einmal Burroughs heranzuziehen, kennen nur Paranoiker alle Fakten –das heißt, ein kritisch-konspirologischer Blick wird, anders als ein psychotisch-paranoider, ohnehin niemals eine naiv realistische Abbildung erzeugen, sondern stets ein eher kubistisches oder surreales, in jedem Fall fragmentarisches Bild.
Im dritten Teil des Buchs habe ich mich an einer solchen Skizze versucht und meine verschwörungstheoretischen »Feldforschungen« zusammengefasst bzw., da Verschwörungstheorien immer auch Spaghettitheorien sind – welchen Faden man auch rauszieht, man macht sich die Finger schmutzig –, versucht, mich in diesem komplexen Chaos überhaupt zurechtzufinden. Der Anschlag auf das WTC war ein Jahrtausendereignis, das noch Generationen von Historikern und Forschern beschäftigen wird. Noch weniger als am ersten Tag glaube ich heute, dass es sich dabei um einen »normalen« Terrorakt gehandelt hat. »Ob es tatsächlich ein Motiv für das Unvorstellbare, eine inszenierte Katastrophe wie in Pearl Harbour gibt, werden die nächsten Aktionen der Weltordnungsmacht bald zeigen«, hatte ich am 12. September notiert. Mittlerweile sind die Motive so deutlich geworden, dass ich mir das Unvorstellbare gut vorstellen kann. Das Nullergebnis der vermutlich größten Polizeiermittlung der Geschichte, die Nichtuntersuchung des Versagens der Geheimdienste und Terrorabwehr, die mit Kriegsgedröhn und Panikmache in Trance versetzte Öffentlichkeit, kurz: die gesamte Inszenierung einer al-qaidisch-ladinistischen Weltverschwörung und des Kampfes gegen den Terrorismus lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass es sich bei der Katastrophe vom 11. September um einen sorgsam geplanten Plot gehandelt hat. Wirklich gerichtsfeste Beweise auf die Hintermänner gibt es bis dato so wenige wie auf Bin Laden, doch reichten die Verdachtsmomente, Indizien und Motive der Verdächtigen allemal, um von einem unabhängigen Tribunal untersucht zu werden. Für den Anfang würde schon die Frage genügen: Wenn die CIA nicht involviert war, was hat sie eigentlich stattdessen getan?
Einer der blutigsten Verschwörungstheoretiker des vergangenen Jahrhunderts, Josef Stalin, prägte einst das definitive Diktum des paranoiden Staatsstils: »Ich traue niemandem, nicht einmal mir selbst.« Als Arbeitshypothese im Umgang mit Verschwörungstheorien scheint mir der Satz gut geeignet, und ich habe mich bemüht, so wenig eselhaft wie möglich den Möhren hinterherzutraben, die ich mir selbst vor die Nase halte. Und habe mich dabei auch so gut es geht an die goldene Regel des weisen Kybernetikers Heinz von Foerster gehalten: »Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners.« Dennoch finden sich in diesem Buch viele dieser Erfindungen: Worte wie wahr«, »wirklich«, »eigentlich«, »tatsächlich«, pauschale Abstrakta und Verallgemeinerungen wie »die Taliban«, »die CIA«, »die USA«, »die Ölindustrie« –und ich kann Ihnen nur raten, diesen »Lügen« nicht auf den Leim zu gehen. Es sind alles nur »Erfindungen«. Glauben Sie mir also nichts, auch wenn ich natürlich behaupte, alles nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert zu haben. Und wenn es Ihnen an bestimmten Stellen und Zusammenhängen aufgeht: »Jawohl, so ist es, das stimmt, das passt!«, dann schalten Sie sofort den inneren Beobachter ein und stellen die konspirologische Frage Nr. 1. »Und was steckt dahinter?«
Wenn dieses Buch so zuerst einmal zu einer allgemeinen Verunsicherung beitragen könnte, wäre sein aufklärerischer Zweck schon halb erfüllt. Dennoch ist seine Absicht nicht bloß dekonstruktivistisch, auch wenn es durchaus eine reife Leistung darstellt, den Blick für die Weite, die Komplexität und den Schrecken eines Trümmerfelds zu öffnen, statt sich in die beruhigende Blockbebauung von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Freund und Feind zu flüchten. Die Panik, die mit dem WTC-Anschlag erzeugt werden sollte, die Angst, die geschürt und gestreut wird, durch Briefe mit Anthrax, durch Dutzende explodierender Briefkastenbomben in ländlichen US-Gebieten, die Hysterie, die erzeugt wird durch Warnungen vor »Schläfern« und nahezu tägliche Ankündigungen neuer Anschläge: Wenn die Terroristen irgend etwas erreichen wollten, dann diese Angst; und wenn den Operatoren der Massenbeeinflussung und Propaganda an irgend etwas gelegen ist, dann an verängstigten, paralysierten Herdentieren, die ihren individuellen Verstand ausgeschaltet haben. Auch hier ist die Frage »Was steckt dahinter?« hilfreich, schon die verschwörungstheoretische Einsicht »Hier will mir nur jemand Angst machen! « reicht oft, um sie zu beseitigen. Dieser Geisterbahneffekt, die Entzauberung des Horrors, die Selbstimmunisierung gegen den Schrecken wirkt befreiend – und eröffnet den Blick hinter die Kulissen, auf die Manipulationen, Tricks und Täuschungen, auf den potemkinschen Terror.
Zauberei und Magie sind nicht ausgestorben, die Verwandlung von Ideen – Geist – in Wirklichkeit – Materie – obliegt nicht allein dem »Herrn der Ringe« in unseren Fantasiewelten, sie findet auch in unserer realen Welt täglich statt. Sprechende Kristallkugeln – Bildschirme und Mattscheiben murmeln beschwörende Mantras, wieder und wieder; kleine Mundgeräusche – Zaubersprüche – werden zu Papier gebracht und millionenfach nachgebetet. Und so gelingt das Wunder, Ideen aus dem Nichts in die Wirklichkeit zu zaubern. Inhaltslose Leerformeln wie »Gott«, »Vaterland«, »Zivilisation« und dergleichen werden derart aufgeladen, dass sie realitätsmächtig werden und sich Millionen hinter ihnen versammeln, um sich für die »Wahrheit« dieser Formeln die Köpfe einzuschlagen, und keinen Stein auf dem anderen lassen.
Achtung: »Raider« heißt jetzt »Twix«, und »Infinite Justice« wurde in »Enduring Freedom« umbenannt! Ab sofort im Regal, im praktischen Sechserpack: »die Achse des Bösen«.
Und nun willkommen in der Geisterbahn ins 21. Jahrhundert! Bedenken Sie: Wer Chaos erzeugt, will Kontrolle ausüben; wer Angst einjagt, will Sicherheit verkaufen; wo beschwörend und betörend die immer gleiche Formel wiederholt wird, steckt meistens eine Verschwörung dahinter. Schnallen Sie sich an, denn der 3. Weltkrieg wird keine Kaffeefahrt, halten Sie Augen und Ohren offen und erwarten Sie das Unerwartete. Nichts ist, wie es scheint – alles erscheint nur, wie es ist, weil Sie es so erscheinen lassen. Oder wie es die alte, von den Hopis an die Hippies vererbte Regel zur Überwindung dieser Trägheit und zur Neuformatierung von Wahrnehmung und Wirklichkeit ausdrückt: Free your mind and your ass will follow!
Berlin, 11. Juli 2002
Mathias Bröckers