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9. Kapitel Frankreich, Lyon

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In dem Be­spre­chungs­raum von In­ter­pol, in­mit­ten ei­nes gro­ßen Ti­sches aus Nuss­baum­holz stand ein klei­ner Be­amer, der ei­ne Pro­jekt­ions­flä­che an der Stirn­wand des Rau­mes mit dem Lo­go von In­ter­pol an die Wand warf. Klei­ne LED Spots in der De­cke spen­de­ten ge­nug licht und tauch­ten den Raum in ei­nen hel­len Schein von kalt­wei­ßem Licht. Auf den brau­nen Leder­ses­seln hat­ten die an­we­sen­den Platz ge­nom­men. Rous­sel saß am Kop­fen­de des Ti­sches, Liz Croll links von ihm und Mi­cha­el Korn rechts. Vor Rous­sel lag ein blau­er Ord­ner mit dem auf­ge­druck­ten Lo­go von In­ter­pol.


Rous­sel be­gann, mit ei­nem deut­li­chen Ak­zent zu spre­chen »Ich freue mich außer­or­dent­lich, dass sie bei­den hier sind Miss Croll und Mis­ter Korn. Wie sie wis­sen, han­delt es sich um ei­nen neu­en Job. Bis­her war es ja so, dass In­ter­pol kei­ne ei­ge­nen Agen­ten ins Feld schi­cken konn­te. Das lag nicht zu­letzt da­ran, dass alle Mit­gliedss­taa­ten ei­ne eige­ne, so­gar meh­re­re, Poli­zei­be­hör­den hat und es so­mit zu Ver­wi­cklun­gen von In­ter­pol mit den je­wei­li­gen Be­hör­den ge­führt hät­te. Nach jah­re­lan­gen zä­hen Ver­hand­lun­gen mit den ein­zel­nen Staaten ist es uns, nicht zu­letzt un­ter mei­ner Lei­tung ge­lun­gen die­se Pro­ble­me aus dem Weg zu räu­men. Je­der Mit­gliedss­taat hat uns, nicht oh­ne Zu­ge­ständ­nis­se, ein­ge­räumt ein ei­ge­nes Te­am von In­ter­po­lagen­ten auf­zu­bauen, die auch in je­dem Mit­glieds­taat die glei­chen Be­fug­nis­se hat. Un­ser Com­pu­ter hat da­für ins­ge­samt vier Na­men aus­ge­spuckt mit den be­sten Kan­di­da­ten. Sie bei­den sind zwei die­ser Na­men. Num­mer 3 ist der­zeit noch be­schäf­tigt, wird aber in kür­ze zu ih­nen stoßen. Num­mer 4 aller­dings, ist noch in den USA ge­bun­den, soll­te aber spä­tes­tens mor­gen hier ein­tref­fen. Vor­ran­gig je­doch sind sie bei­den ge­fragt.«

Liz hör­te stau­nend zu, wäh­rend Korn ei­nen geis­tig ab­we­sen­den Ein­druck mach­te und mit sei­nen Fin­gern spiel­te. Sie hat­te den Kotz­bro­cken be­reits ken­nen­ge­lernt. Jetzt die Aus­sicht da­rauf, mit ihm zu­sam­men­zu­ar­bei­ten, jag­te ihr ei­nen Schau­er über den Rü­cken.

Rous­sel fuhr fort »Sie bei­den ken­nen sich na­tür­lich noch nicht, ich darf al­so ein biss­chen was er­zäh­len. Be­gin­nen wir mit Miss Croll. Sie sind ei­ne der be­sten Po­li­zis­tin­nen, die je­mals ei­ne Mar­ke ge­tra­gen hat. Wirk­lich be­ein­druckend. Trotz ih­res Han­di­caps ei­ner ge­rin­gen Körper­grö­ße sind sie ei­ne der be­sten Er­mitt­le­rin­nen ge­wor­den und sie scheu­en sich nicht in körper­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu ge­hen, noch da­zu ha­ben sie die Fä­hig­keit ent­wi­ckelt Lü­gen zu er­ken­nen. Sie sind kom­mu­ni­ka­tiv und ver­fü­gen über ei­nen gro­ßen Er­fah­rungs­schatz.« Rous­sel mus­ter­te sie mit ei­nem be­wun­dern­den Lä­cheln auf den Lip­pen.

»Nun zu Mis­ter Korn. Ihr Dos­sier ist eben­falls be­ein­druckend. Body­gu­ard, ei­ner der ganz har­ten Sor­te. Wach­sam, eher still und, wie soll ich es aus­drü­cken, nicht ge­ra­de men­schen­freund­lich ein­ge­stellt. Ge­fahr ist schein­bar ihr zwei­ter Vor­na­me, denn sie su­chen ge­ra­de­zu ver­zwei­felt da­nach. Eben­falls in der La­ge, Lüg­ner zu ent­lar­ven. Be­ob­ach­ter er­sten Ran­ges, es gibt ver­mut­lich fast nichts, was ih­nen ent­geht und so lo­gisch den­kend wie ein Com­pu­ter. Ne­ga­tiv an­zu­se­hen ist aller­dings ih­re Kom­mu­ni­ka­tion. Be­lei­di­gend, ar­ro­gant und ex­trem zy­nisch mit dem Char­me ei­ner Dampf­ram­me. Aller­dings auch da­durch ein Ver­hör­spe­zi­a­list. Und ich darf noch hin­zu­fü­gen, wenn sie nicht ge­ra­de ih­ren Job ver­lo­ren hät­ten, wä­ren sie nicht hier. Eher wür­den sie ei­ne Ge­fäng­nis­stra­fe ab­sit­zen. Wenn ich rich­tig in­for­miert bin über 2 Jah­re. Ist das kor­rekt?«

Rous­sel fi­xier­te Korn und der hob an »Nicht ganz, eigent­lich sind es 2 Jah­re und 4 Mona­te« gab er et­was ge­nervt zu. Liz kniff die Augen zu­sam­men und dach­te sich ih­ren Teil.

»Gibt es Fra­gen von ih­nen bei­den?« Frag­te Rous­sel.

Liz, die bis da­hin schwei­gend ge­lauscht hat­te, frag­te »Oh ja, die gibt es Mon­sieur Rous­sel. Wir sol­len ein Te­am bil­den, was sich aller­dings schwer ge­stal­tet, wenn Mis­ter Korn uns wie Dreck be­han­delt und lie­ber sein ei­ge­nes Süpp­chen kocht. Zu­dem sa­gen sie, er wür­de eigent­lich im Knast sit­zen, wo er mei­ner Mei­nung nach auch hin­ge­hört. Dann sind da, nach ih­rer Aus­sage, noch zwei Mit­glie­der, von de­nen wir bis hier­hin noch nicht das Ge­ring­ste er­fah­ren ha­ben. Be­vor ich ir­gend­was zu­stim­men kann, möch­te ich ger­ne die ge­nau­en Fak­ten ken­nen, wenn sie ver­ste­hen.«

Korn stand auf und ging durch den Raum zum Fens­ter. Er blick­te in die Tie­fe. Rous­sel und Liz sa­hen ihm ir­ri­tiert zu. Korn be­gann zu spre­chen »Ich se­he es ähn­lich wie Miss Zwerg. Mir ist nicht ganz klar, was ich zum ei­nen mit ihr an­fan­gen soll und zum an­de­ren was die bei­den an­de­ren Null­num­mern aus­ge­fres­sen ha­ben. Immer­hin bin ich mir nicht ganz si­cher, was da auf uns zu­kommt, was wir eigent­lich tun soll­ten und wel­che Be­fug­nis­se man uns ein­räumt. Ich bin kein Ver­suchs­kar­ni­ckel für In­ter­pol, den man un­ter La­bor­be­din­gun­gen zwin­gen will, Müll zu fres­sen.«

Rous­sel press­te sei­ne Hand­flä­chen an­ein­an­der und hielt sie sich un­ter die Na­se. Liz sah den Body­gu­ard an und wünsch­te sich, sie könn­te ihn ein­fach aus dem Fens­ter stoßen. Was glaub­te der Typ eigent­lich, wer er ist? Rous­sel über­leg­te ei­ne Wei­le be­vor er lei­se fort­setz­te »Ich ver­ste­he ih­re Be­den­ken. Es ist nur so, dass man In­ter­pol als In­for­ma­tions­quel­le nutzt. Wenn sich aller­dings Pro­ble­me er­ge­ben, in de­nen es um gro­ße Ver­schwö­run­gen geht, und ich ge­be ger­ne zu, das da mit­un­ter auch hoch­ran­gi­ge Poli­ti­ker ih­re dre­cki­gen Fin­ger im Spiel ha­ben, dann wird da nicht groß weiter er­mittelt. Wenn bei­spiels­wei­se ein Mi­nis­ter die Fin­ger im Spiel hat, ver­lau­fen die Er­mitt­lun­gen im Sand, weil nie­mand ei­nen Mi­nis­ter an­pin­keln will, weil sein Job da­von ab­hängt. Bei In­ter­pol gibt es die­ses Pro­blem aller­dings nicht, wir sind völ­lig un­ab­hän­gig von jeg­li­cher po­li­ti­schen Ein­mi­schung. Aber ge­nug da­von, sie woll­ten bei­de wis­sen, wer da noch mit­mi­schen soll. Ich wer­de es ih­nen sa­gen, ob­wohl ich weiß, dass ei­ne nicht ganz in ihr Bild pas­sen wird. Ein wei­te­res Mit­glied ih­res Te­ams ist Mi­ke Banks. Ein IT und Ab­hör­spe­zi­a­list, wenn er nicht ge­ra­de wie­der Re­gie­rungs­ser­ver hackt. Saß in den USA 4 Jah­re im Knast, weil er der First La­dy ei­nen Bart ins Ge­sicht ge­zau­bert hat. Auf ih­rem Pass­bild. Wir fan­den das ganz lus­tig, weil die­se Frau wirk­lich wie ein ver­rück­ter Mann ge­han­delt hat, die USA fan­den das nicht ganz so lus­tig. Er kann so gut wie je­des Si­cher­heits­sys­tem aus­tri­cksen. Und da­mit das Gleich­ge­wicht wie­der stimmt, soll ei­ne weite­re Da­me da­zu­ge­hö­ren. In Euro­pa ist sie we­ni­ger be­kannt, in Asien und den USA da­ge­gen um­so mehr. Ihr Ge­sicht war noch nie in den Nach­rich­ten. Nie­mand kann­te die­se Frau, aber alle hat­ten Angst vor ihr. Ihr Na­me ist Lea Enis, bes­ser be­kannt als La­dy Sni­per. Ei­ne Auf­trags­kil­le­rin, die mit ei­nem Scharf­schüt­zen­ge­wehr alles ab­knallt, was Dreck am Ste­cken hat. Sie hat in den letz­ten Jah­ren über 120 Män­ner und Frau­en ge­tö­tet, die alle ei­nes ge­mein­sam hat­ten. Sie ar­beit­eten für Re­gie­run­gen oder Be­hör­den und waren alle alles an­de­re als un­schul­dig.«

»Ist das ihr ver­schis­se­ner Ernst Rous­sel? Ei­ne Auf­trags­kil­le­rin, die mit ei­nem Ge­wehr alles um­legt, was ge­ra­de ir­gend­wo steht?«, er­ei­fer­te sich Liz lauts­tark.

Korn stand immer noch am Fens­ter und dreh­te sich blitz­schnell um. Liz hat­te ihm das nicht zu­ge­traut. So schnell kann sich fast kei­ner be­we­gen, er bringt das trotz sei­ner Körper­fül­le, dach­te sie.

Korn be­gann »Bis­her war es ja ganz lus­tig Rous­sel, aber Sie ha­ben was am Kopf und das sind nicht die Haa­re. Banks ken­ne ich be­reits, der ist gar nicht das Pro­blem, ob­wohl er sich für den größ­ten un­ter der Son­ne hält. Ty­pi­scher Ami eben. Aber ei­ne Auf­trags­kil­le­rin ist ein ganz an­de­res Ka­li­ber und dann noch in ei­ner Poli­zei­be­hör­de. Ent­we­der ha­ben sie völ­lig den Ver­stand ver­lo­ren, oder aber ihr Hei­li­gen­schein, der ver­mut­lich ge­ra­de in der Rei­ni­gung ist, drückt ih­ren Denk­ap­pa­rat ab. Viel­leicht soll­te ich sie mal ein biss­chen ge­gen die Wand wer­fen, da­mit die Blut­zir­ku­la­tion mög­li­cher­wei­se wie­der in Gang kommt! Oder war das Whis­ke­yg­las heu­te Mor­gen et­was zu voll?«

Rous­sel wur­de bleich wie ei­ne frisch ge­kalk­te Wand. »Ich ver­ste­he ih­re Be­den­ken ge­gen Lea Enis, aber sie steht auf der rich­ti­gen Sei­te, das ver­si­che­re ich Ih­nen. Und sie wür­de uns nie schaden!«

Korn und Croll sa­hen Rous­sel ver­ständ­nis­los an. Liz dach­te über die Äu­ße­run­gen von Rous­sel nach, aber Korn hat­te be­reits ei­ne an­de­re Spur auf­ge­nom­men und lief erst rich­tig warm. Er mus­ter­te Rous­sel ganz ge­nau »Rous­sel sper­ren sie die Lau­scher auf. Bis­her war ich freund­lich, aber ich kann auch ganz an­ders. Sie Arsch ver­schwei­gen mir ei­ne gan­ze Men­ge. Über ihr Al­ko­hol­pro­blem brau­chen wir nicht zu re­den, sie stin­ken wie ei­ne Brenn­erei und ih­re Pu­pil­len sind ein Le­xi­kon. Aber jetzt kommt ein Punkt da­zu, der neu ist. In wel­chem Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis ste­hen sie zu der Auf­trags­kil­le­rin?«

Liz war über­rascht von Korns Aus­sage. Rous­sel ein Trin­ker? Sie hielt ih­re Na­se nach vorn, konn­te aber kei­nen Al­ko­hol­ge­ruch wahr­neh­men, sei­ne Pu­pil­len waren ge­rö­tet, aber das kann von Schlaf­man­gel her­rüh­ren. Sie ent­deck­te kei­ne An­zeichen da­für. Rous­sel ver­sank lang­sam in sei­nem Stuhl, sei­ne Schul­tern wur­den schlaff und er be­gann mit kräch­zen­der Stim­me zu ant­wor­ten »Sie ha­ben recht Mis­ter Korn. Mei­ne Mutter hat mei­nen Vater ver­las­sen und ist in die USA ge­reist. Dort lern­te sie ei­nen Mann namens Ga­bri­el Enis ken­nen. Sie ha­ben ge­hei­ra­tet und ihr Sohn Ro­bert Enis wie­der­um war mein Halb­bru­der. Lea Enis ist sei­ne Tochter!«

Jetzt setz­te auch Liz an: »Lea Enis stand gar nicht auf die­ser Lis­te, die ihr Com­pu­ter aus­ge­spuckt hat, sie ha­ben sie hin­zu­ge­fügt!«

»Ja, das ha­be ich.«, ge­stand Rous­sel. »Ver­ste­hen Sie. Lea ist die Tochter mei­nes Halb­bru­ders. Wir hat­ten über die Jah­re immer wie­der Kon­takt, bis er starb. Lea kann­te ich nur von Fotos und woll­te ihr hel­fen. Al­so ha­be ich auch zu ihr Kon­takt ge­sucht. Sie war aber nicht er­reich­bar. Com­pu­ter spu­cken ab­so­lut nichts über sie aus, sie ist wie ein Geist und im Netz fin­det sich nichts zu ihr. In un­se­rer Daten­bank aller­dings gab es ei­nen Hin­weis auf ei­ne Mög­lich­keit, sie zu er­rei­chen. Ein to­ter Brief­kas­ten in Hous­ton Te­xas. Dort ha­be ich es ver­sucht. Ir­gend­wann kam ei­ne Nach­richt von ihr. Fal­scher Na­me, nicht zurück zu ver­fol­gen­de Ver­bin­dun­gen, aber wir konn­ten E-Mails aus­tau­schen.«

»Was stand in den E-Mails?« woll­te Korn wis­sen.

»Dass sie nicht stolz auf ih­re Ar­beit ist, aber nie­mals je­man­den tö­ten wür­de, der es nicht ver­dient. Alle Agen­ten, Mit­glie­der von Re­gie­run­gen oder sons­ti­ge Opfer waren selbst Mör­der. Die USA un­ter­hal­ten welt­weit Agen­ten der CIA. De­ren Me­tho­den un­ter­schei­den sich nicht von de­nen ei­nes Kil­lers. Viel­mehr sind es selbst Kil­ler, die ih­re Mor­de un­ter dem Deck­man­tel des Staa­tes ver­üben.«

»Oh ja, den Deck­man­tel ken­ne ich be­reits, zur Ge­nü­ge. In dem Fall heißt es immer na­tio­na­le Si­cher­heit!«, er­gänz­te Korn.

»Ich möch­te die­se Lea Enis un­ter die Lu­pe neh­men und allei­ne mit ihr re­den. Wenn ich nur den ge­ring­sten Zwei­fel an ihr ha­be, wan­dert sie für den Rest ih­res Lebens in das tief­ste Kel­ler­loch, das sich fin­den lässt und ich wer­fe den Schlüs­sel da­zu in den Ma­ria­neng­ra­ben«, blaff­te Korn. Die Ver­hand­lun­gen dau­er­ten nun schon Stun­den. Liz und Korn nah­men Rous­sel ins Kreuz­ver­hör und der brach zu­sam­men wie ein Fe­rien­haus aus Pap­pe.

Liz muss­te ih­re Mei­nung über Korn re­vi­die­ren. Er war doch nicht so ein Kotz­bro­cken, wie sie dach­te. Vor al­lem sei­ne Be­ob­ach­tun­gen waren gna­den­los und tra­fen immer ins Schwar­ze. Nur die un­flä­ti­ge Art wie er mit an­de­ren um­ging, war ihr ein Dorn im Au­ge.

Korn hin­ge­gen war ganz in sei­nem Ele­ment. Da exis­tier­te nichts an­de­res mehr um ihn he­rum. Er war in sei­ner Bla­se ein­ge­schlos­sen und feu­er­te Pfeil um Pfeil her­aus.

Rous­sel konn­te nicht mehr. Alles war aus ihm ent­wi­chen und er wirk­te wie um fünf­zig Jah­re ge­al­tert. Den­noch mur­mel­te er mü­de: »Ein­ver­stan­den Mis­ter Korn.«

Weite­re 30 Mi­nu­ten spä­ter ver­lie­ßen Korn und Liz das Ge­bäu­de von In­ter­pol. Bei­de hat­ten Hun­ger und muss­ten drin­gend Ni­ko­tin nach­fül­len. Sie gin­gen in ein klei­nes Res­tau­rant um die Ecke und setz­ten sich an ei­nen Tisch, der un­ter ei­nem Frosch­grü­nen Son­nen­schutz ge­parkt war. Liz be­trach­te­te Korn wie ein Alien. Ih­re Neu­gier war zu groß ge­wor­den. Sie hat­te ei­ni­ges über ihn er­fah­ren, aber da gab es noch viel mehr, was er ver­heim­lich­te.

»Wa­rum sind sie so ein Arsch?«, frag­te sie ganz direkt.

»Ich fas­se das mal als Kom­pli­ment auf. Vielen Dank«, er­wi­der­te Korn ge­lang­weilt.

»Das war nicht als Kom­pli­ment ge­dacht. Sie sind ein Arsch und das wis­sen Sie. Ich will nur wis­sen wa­rum?«, kon­ter­te Liz.

»Hö­ren Sie Miss Croll. Dient die­se Un­ter­hal­tung ir­gend­ei­nem be­son­de­ren Zweck? Nein, das tut sie nicht, sie ist ein­fach nur sinn­los.«

»Die­se Un­ter­hal­tung dient ei­nem Zweck. Es geht mir da­rum, wa­rum ich mit Ih­nen zu­sam­men ar­bei­ten soll­te, wenn sie mich be­han­deln wie ei­ne aus­ge­lutsch­te Eis­tü­te und ich nicht mal im ent­fern­tes­ten ei­ne Ah­nung ha­be, wa­rum das so ist. Ich bin ein Mensch wie je­der an­de­re auch und sie ver­let­zen mich fort­wäh­rend mit ih­rer Art. Wenn wir zu­sam­men ar­bei­ten, muss ich Ih­nen zwin­gend ver­trauen kön­nen, und sie soll­ten auch mir ver­trauen«, stell­te Liz fest.

Mi­cha­el über­leg­te lan­ge, be­vor er ant­wort­ete »Es gibt auf die­sem Pla­ne­ten ex­akt zwei Men­schen, de­nen ich ver­traue. Der ei­ne bin ich und der an­de­re sind nicht sie. Ver­trauen ist nicht zwin­gend not­wen­dig bei mei­ner Ar­beit. Ich ver­las­se mich nur auf mich selbst. Ich bin ein Ein­zel­gän­ger und es wird ver­mut­lich nichts auf der Welt ge­ben, was da­ran et­was än­dern könn­te. Das wird so blei­ben, ob es ih­nen ge­fällt oder nicht in­te­res­siert mich ei­nen feuch­ten Scheiß. Su­chen Sie sich ei­nen an­de­ren Kin­der­gärt­ner, ich be­kom­me näm­lich schon Aus­schlag, wenn ich ge­zwun­gen bin auf Kin­der in ei­ner Di­sco auf­zu­pas­sen.«

»Hö­ren Sie mir ge­nau zu Mis­ter Arsch. Ich pas­se allei­ne auf mich auf. Bei mei­ner Ar­beit muss ich mich aber zwin­gend auf mei­nen Part­ner ver­las­sen kön­nen. Wenn sie im Kugel­ha­gel ste­hen und ei­nen Part­ner an der Sei­te ha­ben wä­re wohl ei­ne War­nung vor­her an­ge­bracht, immer­hin macht so ei­ne Kugel häss­li­che Lö­cher«, sin­nier­te sie.

»Falls wir tat­säch­lich ein­mal im Kugel­ha­gel ste­hen soll­ten, was sie nie er­le­ben wol­len, will ich nicht die klein­ste War­nung hö­ren, denn ich wer­de mich ga­ran­tiert nicht ver­tei­di­gen. Wenn ich schon die Chan­ce be­kom­me, zu ster­ben, dann wer­de ich die nut­zen, so gut ich nur kann«, ant­wort­ete Korn barsch.

Liz war baff. Das war es al­so. »Sie wol­len un­be­dingt drauf­ge­hen. Es in­te­res­siert sie nicht wo­für, wich­tig ist schein­bar nur, dass es so schnell wie mög­lich da­zu kommt!«, staun­te sie.

Der Blick den Liz traf, sprach Bän­de. Es ging ihm nicht um Ge­rech­tig­keit oder ir­gend­ein hö­he­res Ziel. Es ging nur, um sein Ziel so schnell wie mög­lich zu ster­ben. Die Fra­ge war nur wie­so? Kann man so we­nig Lebens­mut be­sit­zen? Und wenn das mög­lich ist, wie kommt es da­zu?

»Sie soll­ten ei­nen Psy­cho­lo­gen auf­su­chen Mis­ter Korn!«, kri­ti­sier­te Liz.

La­chend ant­wort­ete Korn »Das ha­be ich be­reits. Die Lis­te an Ärz­ten, bei de­nen ich war, ist län­ger als ihr Ein­kaufs­zet­tel für ein gan­zes Jahr. Und nur da­mit sie es wis­sen, was mich nicht um­bringt, macht mich nur noch här­ter.«

Schwei­gend aßen sie ihr be­stell­tes Es­sen und be­ga­ben sich dann wie­der in das Haupt­ge­bäu­de von In­ter­pol.

In dem Be­spre­chungs­raum, den sie schon den gan­zen Tag über ge­se­hen hat­ten, war ei­ne Ver­än­de­rung fest­zu­stel­len. Ber­nand Rous­sel von In­ter­pol saß wie­der et­was auf­rech­ter in sei­nem Stuhl und vor ihm stand ein Glas Was­ser. Auf ei­nem an­de­ren Stuhl be­merk­te Liz noch je­man­den. Ein schlan­ker, hoch­ge­wachs­ener Kerl mit ein­ge­fal­le­nem Ge­sicht und ei­ner leich­ten Bril­le auf den Augen, de­ren Glä­ser far­blich schim­mer­ten. Rous­sel stell­te ihn auch gleich als Mi­ke Banks vor.

Da­mit waren drei der Mit­glie­der des er­sten Te­ams von In­ter­pol an­we­send. Nur ei­ne fehl­te noch, aber es gab kei­nen Hin­weis, wo sie war.

Rous­sel be­gann »Mis­ter Banks ist ein­ge­trof­fen, als sie beim Mit­tages­sen waren. Ich darf ih­nen, Mr. Banks, jetzt auch Liz Croll vor­stel­len, ihr Dos­sier ist ih­nen ja be­reits be­kannt. Mi­cha­el Korn ken­nen sie ja schon et­was län­ger so­mit er­üb­rigt sich die Vor­stel­lung.«

Banks stand auf und gab Liz die Hand »Es ist mir ei­ne Freu­de, sie ken­nen­zu­ler­nen Miss Croll. Rous­sel hat schon viel von Ih­nen ge­spro­chen, aber er ver­gaß, lei­der zu er­wäh­nen was für ei­ne Augen­wei­de sie doch sind. Ich bin Mi­ke Banks, für sie na­tür­lich Mi­ke.«

Korn sah kurz auf und sag­te nur ein Wort »Is­tan­bul!«

Banks sah er­schro­cken aus und sämt­li­che Far­be wich aus sei­nem Ge­sicht. Still kehr­te er zu sei­nem Stuhl zurück, setz­te sich, aber ver­lor kein ein­zi­ges wei­te­res Wort. Rous­sel setz­te nach »Mi­ke Banks, auch be­kannt als Thun­ders­truck, ist IT-Fach­mann und Ab­hör­spe­zi­a­list. Es gibt so gut wie kei­ne Si­cher­heits­maß­nah­men, die er nicht um­ge­hen kann. Spricht 5 Spra­chen flie­ßend: Deutsch, Ita­lie­nisch, Rus­sisch, Man­da­rin und Fran­zö­sisch. Er wird ihr all se­hen­des Au­ge und spürt im In­ter­net Daten zu al­lem Mög­li­chen auf.«

Korn setz­te hin­zu »Rous­sel sie ha­ben ver­ges­sen, dass er sich für den größ­ten hält, al­lem hin­ter­her­läuft, was Tit­ten hat, und ger­ne Ein­sät­ze ver­saut, weil er ge­ra­de wie­der an ei­ner Al­ten schraubt. Hab ich noch was ver­ges­sen Mi­ke?«

Mi­ke schüt­tel­te den Kopf. Liz könn­te sich ein Grin­sen nicht ver­knei­fen und frag­te »Was be­deu­tet Is­tan­bul? Ist das ein Co­de für ir­gend­et­was?«

Korn ant­wort­ete »Kein Co­de nur der Na­me ei­ner Stadt. Wir hat­ten dort mal ge­schäft­lich zu tun. Rei­ne Rou­ti­ne eigent­lich. Mi­ke war un­ser Au­ge drau­ßen und er­wähn­te nicht, die fünf Mg's die aus mei­nen Kol­le­gen Sie­be mach­ten, zwei un­se­rer Ziel­per­so­nen ab­ge­knallt ha­ben wie Hasen, weil er in sei­nem Dre­cksvan ein jun­ges Mäd­chen ge­bumst hat, oder soll­te ich noch er­wäh­nen, dass die klei­ne erst 17 war?«

Der Hieb hat­te ge­ses­sen. Liz mus­ter­te Mi­ke mit den Augen und es war ihm deut­lich an­zu­mer­ken, dass ihm das über­haupt nicht schmeck­te, schon gar nicht in ih­rer Ge­gen­wart. Aber Mi­ke Banks war, so­wie­so nichts für Liz. Immer­hin hielt sie ih­ren Freund aus der Ar­beit raus. In Lon­don wuss­ten ih­re Kol­le­gen da­rüber Be­scheid, dass Liz mit nie­man­dem aus­ging, das wür­de sich auch nicht än­dern, wenn sie für In­ter­pol ar­bei­tet, falls es da­zu kom­men soll­te. Die Un­ter­hal­tung mit Mi­cha­el Korn vor dem Es­sen mach­te ihr Bauch­schmer­zen und sie war sich sehr un­si­cher, ob sie den Job an­neh­men konn­te. Die Vor­aus­set­zun­gen waren nicht be­son­ders viel­ver­spre­chend. Ein Body­gu­ard, der sich be­nimmt wie der letz­te Arsch und nur den Wunsch hat so schnell wie mög­lich zu ster­ben, ein Com­pu­ter­fre­ak, der gleich­zei­tig als Schür­zen­jäger ein gro­ßes Ri­si­ko dar­stell­te, ein Boss der dem Al­ko­hol ver­fal­len war und nicht zu­letzt noch die Ge­schich­te mit der Pro­fi­kil­le­rin.

Die Tür ging ei­nen Spalt auf und ei­ne äl­te­re Frau blick­te zu Ber­nand Rous­sel. Er er­wi­der­te den Blick und sag­te »Wir ma­chen ei­ne kur­ze Pau­se!« Dann stand er auf und ver­ließ den Raum. Auch Korn stand auf und ging ihm hin­ter­her, sie blieb mit Mi­ke allei­ne.

»Mi­ke, wie lan­ge ken­nen sie Korn schon?«, frag­te sie ihn.

»Das er­ste Mal ha­ben wir uns vor 7 Jah­ren ge­trof­fen. Er war der Ein­satz­lei­ter der Body­gu­ards und ich war für die IT zu­stän­dig.«, sag­te er.

»War er schon immer so?«

Mi­ke lach­te laut­los »Der wird sich nie än­dern das kön­nen Sie mir glau­ben!«

Liz dach­te kurz nach, dann frag­te sie »Wis­sen Sie, wa­rum er so ist, wie er ist? Ich mei­ne, es muss doch ei­nen Grund da­für ge­ben.«

»Den gibt es si­cher, aber bis­her konn­te ich kei­nen er­ken­nen. Alles, was mir auf­ge­fal­len ist, und das bleibt bit­te un­ter uns, sind manch­mal Si­tua­tio­nen, in de­nen er ab­so­lut kei­ne Be­we­gung zeigt, nicht mal mit den Augen, wie wenn er schla­fen wür­de, und da­nach hat er Trä­nen in den Augen.«, er­klär­te er.

»Könn­te mit ei­ner Frau zu tun ha­ben. War er mal ver­hei­ra­tet oder so?«

»Liz, blei­ben wir beim du, ich ha­be mich nicht wirk­lich da­mit be­schäf­tigt und ehr­lich ge­sagt hab ich das auch nicht un­be­dingt vor. Bis­her ha­be ich nur ge­se­hen, dass er Frau­en nicht mal rich­tig an­sieht. Nor­mal­er­wei­se sieht man das so­fort, wenn ein Mann ei­ne Frau ab­checkt. Er zeigt die­ses Ver­hal­ten in kei­ner Si­tua­tion. Ich weiß, dass er ein mie­ses Arsch­loch ist, da­zu brau­che ich kei­nen Dok­tor in Psy­cho­lo­gie, mehr muss ich aber auch nicht wis­sen.«

Liz lach­te und sag­te dann »Ich den­ke schon, dass es wich­tig ist, zu wis­sen, was da vor­geht. Immer­hin sol­len wir zu­sam­men ar­bei­ten. Ich kann nicht mit Men­schen ar­bei­ten, de­nen ich nicht ver­trauen kann. Immer­hin kann es ge­fähr­lich wer­den und wenn dann ein Te­am­mit­glied ir­gend­ei­nen Schwach­punkt auf­weist, ge­fähr­den wir uns alle.«

»Das stimmt schon Liz, aber du siehst ja selbst, wie er ist. Willst du wirk­lich in die wei­te­ren Be­weg­grün­de ei­nes Psy­cho­pat­hen vor­drin­gen? Denn das ist ei­ne ge­fähr­li­che An­ge­le­gen­heit!«

»Mi­ke, im Mo­ment ha­be ich ein gro­ßes Pro­blem mit euch bei­den. Er be­han­delt je­den wie Dreck und hat den An­spruch ge­tö­tet zu wer­den. Du wie­der­um ge­fähr­dest mich aber auch, wenn ir­gend­ei­ne Frau in­vol­viert ist, weil du schein­bar nicht wäh­le­risch bist, wenn ich das rich­tig ver­stan­den ha­be.«

Mi­ke war ein biss­chen ver­letzt, aber er­wi­der­te »Ich bin wohl auch ein biss­chen ver­rückt, aber seit der Si­tua­tion, die dir vor­hin ge­schil­dert wur­de, ma­che ich das nicht mehr. Er ist aber schon seit Jah­ren so. Eigent­lich schaut man ei­ner Frau ja mal auf ge­wis­se Stel­len, er aber ist wie ein Ro­bo­ter. Kein Ge­fühl und nichts. Wir ha­ben ja mal ver­mu­tet, er wä­re schwul, aber dann fiel uns auf dass da ja auch nichts in der Rich­tung pas­siert.«

Liz dach­te nach. Das stimm­te, was Mi­ke ge­sagt hat. Ihr wä­re zu­min­dest mal auf­ge­fal­len, wenn er auf die Brüs­te oder den Hin­tern ge­schaut hät­te, aber da war nichts. Er hat­te ihr stur in die Augen ge­schaut und nicht ins De­kol­leté oder auf die Bei­ne. Ganz nor­ma­les Ver­hal­ten, das eigent­lich je­der Mann ab ei­nem ge­wis­sen Al­ter zeigt.

»Mi­ke, wür­dest du mir ei­nen Ge­fal­len tun?«

»Je­den Liz!«, lä­chel­te er sie an.

»Hör auf da­mit! Schnapp dir mal ei­nen Com­pu­ter und ver­su­che so viel, wie nur mög­lich über Korn zu fin­den. Lieb­schaf­ten, Ver­hält­nis­se, Bor­dell­be­su­che, Part­ner­bör­sen was weiß ich. Ir­gend­wo muss es et­was ge­ben.«

»OK, ok, ich hab's ja ver­stan­den. Ich ha­be mei­nen Lap­top da­bei, ich küm­me­re mich da­rum.«

Mi­ke griff in die Ta­sche, die ne­ben sei­nem Stuhl stand und stell­te den Lap­top auf den Tisch. Sei­ne Fin­ger flo­gen über die Tas­ten, aber die An­schlä­ge waren nicht mal zu se­hen. Es kla­cker­te nur.

Die Tür ging auf und Korn nahm wie­der Platz. Er roch nach Rauch, al­so war er nur vor die Tür ge­gan­gen, um ei­ne Zi­ga­ret­te zu rau­chen. Nach ei­ni­gen Mi­nu­ten kehr­te auch Rous­sel zurück, in der Zwi­schen­zeit hat­ten sie kein Wort mehr ge­spro­chen. Rous­sel Mie­ne zeig­te ei­ni­ge Ver­än­de­run­gen. Ir­gend­et­was muss ihm schwer zu schaf­fen ge­macht ha­ben.

Projekt Lucien

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