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bb) Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO
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Nach der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO ist dem Angeklagten ein Verteidiger zu bestellen, wenn dies wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder wegen der Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung geboten erscheint.
Zu der Vorschrift – deren Tatbestandsmerkmale sich zum Teil überschneiden – hat sich eine reichhaltige Kasuistik entwickelt, die dem Strafverteidiger zumindest in ihren Grundzügen bekannt sein und im Beiordnungsantrag dargelegt werden sollte.[21]
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Tatschwere
Maßgeblich für die Beurteilung der Schwere der Tat ist in erster Linie die zu erwartende Rechtsfolgenentscheidung. Nach h.M.[22] ist eine Tat dann als schwer im Gesetzessinne anzusehen, wenn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu erwarten ist; bei mehreren Taten soll es auf den Umfang der Rechtsfolgen insgesamt und nicht auf die Höhe der Einzelstrafen ankommen. Erhebt die Staatsanwalt Anklage zum Schöffengericht, so bringt sie hiermit (vgl. § 25 Nr. 2 i.V.m. § 24 GVG) zum Ausdruck, dass sie von der Verhängung einer Freiheitsstrafe von über zwei Jahren ausgeht; damit ist in derartigen Fällen stets ein Fall notwendiger Verteidigung i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO unter dem Gesichtspunkt der Tatschwere zu bejahen.[23] Die Schwere der Tat kann auch zu bejahen sein, wenn dem Angeklagten durch die Verurteilung sonstige schwerwiegende Nachteile drohen, so etwa ein Bewährungswiderruf[24], die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis[25] oder die einem Ausländer drohende Ausweisung[26].
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Schwierigkeit der Sachlage
Von ihr ist vor allem auszugehen, wenn die Feststellungen zur Täterschaft oder zur Schuld eine umfangreiche, voraussichtlich länger dauernde Beweisaufnahme erfordern[27] oder wenn die Beweisaufnahme selbst sich schwierig gestalten kann[28] (Bsp.: Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines kindlichen Zeugen mit Hilfe eines Sachverständigen,[29] Würdigung widersprüchlicher Zeugenaussagen[30]). Schwierig kann die Sachlage auch sein, wenn die Vorbereitung der Hauptverhandlung Aktenkenntnis erfordert, da nur ein Verteidiger ein umfassendes Akteneinsichtsrecht hat.[31]
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Schwierigkeit der Rechtslage
Kommt es bei der Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf die Entscheidung nicht ausgetragener Rechtsfragen an oder ist sonst abzusehen, dass die Subsumtion voraussichtlich Probleme aufwerfen wird (etwa, weil schwierige Abgrenzungsfragen zu entscheiden sind[32] oder fraglich ist, ob ein Beweisergebnis einem Verwertungsverbot unterliegt[33]), so ist die Rechtslage als schwierig anzusehen.[34]
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Unfähigkeit zur Selbstverteidigung
Ob der Angeklagte zur Selbstverteidigung fähig ist, bestimmt sich nach seinen geistigen Fähigkeiten, seinem Gesundheitszustand und nach den sonstigen Umständen des Falles (z.B. sprachunkundiger Ausländer, dem entgegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. a MRK keine Anklageschrift in übersetzter Fassung übermittelt wurde[35]).[36] Das Gesetz stellt allein auf die Fähigkeit zur Selbstverteidigung des Betroffenen ab. Die Beiordnung eines Verteidigers darf daher nicht unterbleiben, weil dem Angeschuldigten ein gesetzlicher Betreuer zur Seite gestellt ist.[37] Von einem Fall notwendiger Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO kann insoweit schon dann ausgegangen werden, wenn bloße Zweifel an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung bestehen.[38] In § 140 Abs. 2 S. 1 StPO führt das Gesetz selbst eine Fallkonstellation auf, in der die Unfähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung unwiderleglich[39] vermutet wird, nämlich dann, wenn dem Verletzten nach §§ 397a und 406g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde.