Читать книгу Die vom Tod verschmähte Katze - Matthias M. Rauh - Страница 10

Kapitel 7 - Kuntz, der Kater

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"Verflucht!", schimpfte der Landstreicher und donnerte seinen Gehstock auf den Boden. Seine Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Die Tür der Kammer war geöffnet worden. Mit zornerfüllten Augen musste er nun verfolgen, wie sich Herrn Zacharias´ einst so göttlicher Schatz nach und nach seiner Ziffern und Zeiger entledigte. Geblieben war nur noch ein unförmiger Eisklotz, der nicht mehr tickte, sondern tropfte. Es war vorbei.

Das Gold in der Pfütze schien den Mann aber nicht zu interessieren. Er wandte sich von der Kammer ab und stapfte zurück in den Laden, wo ihn ein kleiner Schepperwecker mit Hohn und Spott überzog. Krrrrrrx...krrrrrrx...krrrrrrx...

Wutentbrannt griff er sich das frevelhafte Stück und drehte ihm den nicht vorhandenen Hals um. Dann war es still.

Eine Porzellantasse hatte das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu stehen. Der Landstreicher riss sie aus ihrer gewissenhaft polierten Umgebung und warf sie quer durch den Raum. Direkt über der Registrierkasse zerplatzte die Antiquität, wobei einige Scherben sogar bis zur Eingangstür flogen.

"Ich habe dich gewarnt, Lester Zacharias", zischte er ins Rund des stillstehenden Uhrenarsenals. "Nun ist es geschehen. Bist du nun zufrieden?"

Natürlich blieb die Frage unbeantwortet.

"BIST DU NUN ZUFRIEDEN?!", brüllte er, packte dabei das ganze Tablett mit dem übrigen Porzellanservice und schmetterte es mit ungeheurer Wucht gegen ein Bücherregal.

Schepper! Krach!

Als das Tablett zu Boden stürzte und noch eine Weile kreiselte, fiel sein Blick auf einen vom Regal herabgefallenen Staubwedel. Der Landstreicher hob ihn auf und begann leise zu knurren.

"Hrrrmm. So ist das also..."

Dann nahm er seinen Gehstock und stapfte wutentbrannt davon.

Der vermeintliche Dieb kam währenddessen nur sehr schleppend voran - und er musste leiden. Als Valentin bereits daran dachte, die verfluchte Kiste einfach ins nächstbeste Getreidefeld zu befördern, wurde das ewige Konzert der Heuschrecken vom tiefen Bollern eines V8-Motors durchbrochen. Und schon tauchte da ein mächtiger Ford Pick-Up-Truck neben ihm auf.

Am Steuer des über und über mit Dreck besudelten Gefährts saß jemand, der Valentin bestens bekannt war. Es war Joe Krieger, ein Junge von einem benachbarten Bauernhof. Er fuhr mit offenen Seitenfenstern, und das Radio spielte wie immer Musik von Alice Cooper.

"Eh, Kraus!", brüllte er gegen den Krach der E-Gitarren an. "Was schleppst du´n da unter der Jacke? Sind das zwei Sechserpack Bier?"

"Bier?", stammelte er völlig überrascht. "Äh, nein. Das ist nur...ähm..."

"Shit", sagte Joe. "Hat grad so ausgesehen."

Joe, der eigentlich Hans-Joachim hieß (was aber niemand sagen durfte, weil sowohl Hans als auch Joachim dann in der Regel gewalttätig wurden), trug eine zerrupfte Schirmmütze mit US-Südstaaten-Flagge, unter der sich ein wahrer Wust rotblonder Haare breitmachte. Was recht gut zu seinem übrigen Erscheinungsbild passte: Verdrecktes T-Shirt, Zigarette im Mund und weitere unkontrollierte Haarwucherungen im Gesicht.

Er hatte schon wieder den Pick-Up seines Vaters gestohlen, ein durchaus beängstigender Vorgang angesichts der Tatsache, dass er erst 16 Jahre alt war und nicht die Spur von einem Führerschein besaß. Das geschundene Fahrzeug konnte jedenfalls ein Lied davon singen. Am rechten Kotflügel prangte eine riesige Beule, und die deftig deformierte Stoßstange hatte sich bereits einseitig von der Karosserie gelöst. Dass sie mit einem wirren Knäuel Tesafilm fixiert worden war, an welchem nun jede Menge tote Fliegen klebten, passte ebenfalls ins Bild.

Joe war nunmal, um es vorsichtig zu umschreiben, gedanklich eher einfach gestrickt.

"Hat ausgeseh´n wie zwei Sixpacks", meinte er. "Das wär jetzt was gewesen. Willst du mitfahr´n?"

Valentin konnte kaum glauben, was er da hörte, schließlich stand sein Gegenüber ja nicht gerade in dem Ruf, hilfsbereit zu sein. Er fragte sich allerdings, ob er sich auf ein derartiges Abenteuer einlassen sollte. Aber da zwei Kilometer zu Fuß auch kein Vergnügen waren, willigte er ein. Und er sollte sogleich Gelegenheit bekommen, diese Entscheidung nochmals gründlich zu überdenken.

Als er nämlich die Beifahrertür öffnete, blickte er auf Zigarettenkippen, jede Menge Bierdosen und eine leere Whisky-Flasche, die gerade über das nackte Bodenblech rollte.

"Ähm...fehlt da nicht was?", bemerkte er kleinlaut.

"Häää, was soll´n fehlen?"

"Na ja, ähm...so ein Sitz."

"Ach so", erkannte nun auch Joe die Problematik und begann, sich nachdenklich am Kinn zu kratzen. "Ja, verstehe. Ohne Sitz kannste nich sitzen. Dann spring doch einfach hinten rauf. Da liegt auch, glaub ich, noch irgendwo´n Sitz."

"Hinten? Aber ist das nicht verboten?"

"Häää?"

Der Junge sah ihn entgeistert an, als hätte er das Wort verboten gerade zum allerersten Mal in seinem Leben gehört. Seine Antwort auf Valentins Bedenken fiel dann auch recht hemdsärmelig aus: "Ach was, das taugt schon. Und wenn die Bullen kommen, ducken wir uns einfach."

Es lag tatsächlich ein Autositz auf der Ladefläche, samt einem schlammbesudelten Traktorreifen, einem Benzinkanister und jeder Menge Erde. Dazu fand Valentin einen ölverschmierten Querlenker, einen Zeitungsfetzen mit einem sehr verblüfften Bikini-Mädchen (huch, welcher Bikini denn..?) und jede Menge Bierdosen.

Er suchte sich eine halbwegs saubere Stelle, stellte die frostige Kiste ab und hielt sich an der verbeulten Seitenflanke fest. Dann setzte sich das Höllengefährt mit einem brachialen Tritt auf das Gaspedal in Bewegung. Mann, bist du blöd, Tollpatsch...

Die zwei Kilometer bewältigte der Bleifußjunge fast im Flug, obwohl sein Gast die Sekunden doch sehr intensiv erlebte. Herr Zacharias hatte Recht gehabt. Die Zeit war eben doch ein unergründliches Mysterium. An einer Kurve mit einem Baum schien sie für einen Augenblick gar stillzustehen, und dann war da noch der Moped-Fahrer, dem der Bruchteil einer Sekunde sogar das Leben rettete.

"Boah, war das knapp!", rief Valentin und hielt sich mit dem Fuß den Benzinkanister vom Hals. Gegen die Übermacht der Bierdosen aber konnte er nicht viel ausrichten. Sie kullerten überall herum - wie die Spielkugeln auf einem Billardtisch.

Da fing hinter ihm plötzlich irgendetwas laut zu keuchen und zu würgen an. Schmatzlaute folgten. Er drehte sich um. Und schon tauchten da ein zerrupftes Ohr und ein trübes Auge in der Mitte des felgenlosen Traktorreifens auf. Das Ohr wackelte, während das Auge langsam größer wurde und ihn fragend anglotzte.

Ich fasse es nicht. Er fährt tatsächlich seine Katze in seiner verwanzten Karre spazieren, dachte er sich und wandte seinen Blick sofort wieder ab, da das Auge plötzlich kugelrund geworden war.


Irgendwann flog endlich das Ortsschild seines Heimatdorfs vorbei, was Joe allerdings nicht weiter zu stören schien. Zu Valentins Entsetzen fuhr er nämlich einfach weiter und bretterte mit Vollgas durch das gesamte Dorf hindurch.

"Halt! Stopp!", brüllte sein hilfloser Passagier, was allerdings nichts nützte, da Joe die Musik schon wieder viel zu laut aufgedreht hatte. Mit kreischenden Reifen donnerte er über eine Landstraße und pflügte irgendwann einfach in einen Waldweg hinein, der zu Valentins Leidwesen auch noch stark abschüssig war. Wie Peitschenhiebe fegten die Baumäste nun über seinen Kopf hinweg, während ihn die Schläge des holprigen Untergrunds ordentlich durchprügelten. Erst als er mit letzter Not gegen die Heckscheibe hämmerte, zeigte der Junge am Steuer eine Reaktion.

"Was is´n das da hinten?", brüllte er bei voller Fahrt aus dem Seitenfenster, während er mit der linken Hand am Außenspiegel drehte.

"Mann, du Spinner! Ich will runter!", rief Valentin.

"Ach so, du bist das noch", sagte Joe verwundert und trat dabei so derart vehement auf die Bremse, dass sein Fahrgast samt dem Dosenarsenal gegen die Heckscheibe geschleudert wurde. Der Pick-Up geriet dabei in eine gefährliche Schräglage, stabilisierte sich nach einem fürchterlichen Schlag und kam schließlich zum Stillstand. Mitten im Wald.

"Ja, ich...", stöhnte sein Passagier und stieß sich den schmierigen Benzinkanister vom Leib.

"Hab ganz vergessen, dass du ja mitgefahren bist. Na ja, dann tschau. Und bring das nächste Mal was zum Saufen mit."

"Ja, ich...uaaah! Hilfe!"

Natürlich ließ ihm Joe auch nicht viel Zeit, von der Ladefläche zu springen. Er trat einfach voll aufs Gaspedal, wobei Valentin den blauen Atem des bulligen V8 direkt ins Gesicht geblasen bekam. Samt dem Dreck, den die Reifen aus dem Waldboden frästen. Nur mit allerletzter Not gelang es ihm, seine Kiste von der Ladefläche zu ziehen. Das kratzende Anzugoberteil hingegen war für immer verloren, verdammt, zur Hölle zu fahren - zusammen mit dem Traktorreifen und dem verblüfften Wo-ist-mein-Bikini?-Mädchen.

"Mann! Was soll ich hier?", schimpfte er, da er jetzt noch weiter von seinem Dorf entfernt war. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel, außerdem hatte er noch immer diese verfluchte Kiste am Hals. Und weil das noch nicht reichte, meldete sich gerade noch ein Problem zu Wort...

Schepper!

Keine zwei Meter von ihm entfernt torkelte Joes verkommene Katze aus der Böschung. Sie war wohl bei der Bremsaktion vom Bock geschleudert worden. Und es war mehr als passend, dass sie bei ihrem Flug von einer Bierdose begleitet worden war.

Valentin war dieses Tier bestens bekannt: Es war Kuntz, der Kater. Mit der Pfote schob er die leere Dose vor sich her, dann packte er sie, drehte sich auf den Rücken und versuchte, dem zerknautschten Ding auch noch die allerletzten Tropfen Gerstensaft zu entlocken.

Kuntz war einfach das Letzte. Dieser völlig verlebte Kater, der nur noch ein Auge besaß und aussah, als pflege er Bahnübergänge grundsätzlich nur bei geschlossener Schranke zu überqueren, war nun ganz und gar kein Tier, das einen zum Streicheln verführte. Er stank, fraß Katzenstreu, furzte dementsprechend oft und konnte grunzen wie ein Schwein - vor allem dann, wenn er betrunken war. Das mausgraue Elend tauchte immer genau dann auf, wenn man es ganz und gar nicht gebrauchen konnte, verursachte regelmäßig Ärger und hatte einen gewissen Hang zur theatralischen Selbsttötung. Kuntz kroch in Waschmaschinen und gönnte sich im Sommer auch mal ein Mittagsschläfchen auf dem beweglichen Teil des Mähdreschers. Und wenn irgendwo eine Kreissäge in Betrieb genommen wurde, konnte man sich fast sicher sein, dass Kollege Einauge mit dem Hinkebein nicht lange auf sich warten ließ.

Doch so oft Kuntz das Schicksal auch herausgefordert hatte, das mit dem Sterben ging immer daneben. Gevatter Tod verweigerte ihm einfach die Sense, aus welchem Grund auch immer.

"Hau bloß ab", zischte Valentin, packte seine Kiste und machte sich auf, den Rückweg anzutreten. Aber natürlich hörte Kuntz nicht auf ihn. Er ließ von der Dose ab, schlich ihm leise hinterher und gab ein leises Hrrrrr... von sich. Wahrscheinlich hatte er vorhin das Wort Sechserpack mehr als deutlich verstanden.

"Hast du nicht gehört? Du sollst verschwinden. Ich hab nix für dich", wiederholte Valentin.

Doch die Katze kümmerte sich nicht darum. Warum auch? Kuntz tat schließlich nie das, was man von ihm verlangte.

Es wäre keine kluge Entscheidung gewesen, den Weg zurück über die Landstraße zu nehmen, da der Fußmarsch durch den Wald wesentlich kürzer war. Wenn Valentin richtig lag, musste er nach etwa einem Kilometer am ewig verträumten Waldsee vorbeikommen. Von dort aus sollte es dann nicht mehr allzu weit sein. Aber beschwerlich würde der Weg in jedem Fall werden, denn schon auf den ersten Metern begann die Kiste, seine Hände mit eiskalten Nadelstichen zu malträtieren.

Joe Krieger ist ein verdammter Idiot, redete er sich in Gedanken die Wut von der Seele. Und Valentin Kraus ist ebenfalls ein Idiot, denn er war so dumm, zu dem anderen Idioten ins Auto zu steigen. Was bin ich nur für ein Trottel...

Die vom Tod verschmähte Katze

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