Читать книгу Die vom Tod verschmähte Katze - Matthias M. Rauh - Страница 8
Kapitel 5 - Die geheimnisvolle Kammer
ОглавлениеKlack...klack...klack!
Es brauchte ganze drei Schlüsselumdrehungen, ehe Valentin die Tür der Kammer öffnen konnte. Eisigste Kälte schlug ihm ins Gesicht.
Doch wenn er ein finsteres Verlies erwartet hatte, so sah er sich getäuscht. Diese Kammer war nämlich alles andere als das. Sie war äußerst stilvoll eingerichtet, wie ein Wohnzimmer. Ein sehr kaltes Wohnzimmer, um genauer zu sein. Er tastete nach dem Lichtschalter, worauf ein pompöser Kronleuchter den Raum mit goldenem Licht flutete.
Und da, inmitten der Kammer, aufgebahrt auf einer ausladenden Mahagoniholz-Kommode, stand sie: Die göttliche Vollendung eines jeden Uhrmacherlebens - ein Blickfang, geschaffen aus einem Urelement der Natur, mit peinlichster Präzision geschliffen, liebevoll zusammengesetzt, zum Leben erweckt und mit absoluter Hingabe aufpoliert. Da stand eine Uhr - eine Uhr, die so kalt war, dass sie einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte - eine Uhr, die aber gleichzeitig das Herz eines jeden Uhrenliebhabers mit behaglichster Wärme erfüllt hätte.
Diese Uhr bestand aus Eis - Eis, dessen Klarheit nicht einmal durch einen winzigen Riss oder Kratzer getrübt wurde. Eis, das funkelte wie ein Diamant. Der ehrenwerte Herr Zacharias muss Stunden, Tage oder gar Wochen damit zugebracht haben, es zu polieren und zu pflegen. Nur die Ziffern, die Zeiger und die Schwungfeder dieser Uhr bestanden aus einem Metall. Und sicher handelte es sich dabei um pures Gold.
"Tickendes Eis...", flüsterte Valentin. Dem Antiquitätenhändler war es also tatsächlich gelungen, die Zeit einzufrieren, wenn auch auf eine ganz spezielle Art und Weise.
Dies war also die Schatzkammer des ehrenwerten Herrn Zacharias. Valentin konnte sich den Alten wahrhaft vorstellen, wie er Abend für Abend in diesem Sessel Platz nahm, wie vor einem behaglichen Kaminfeuer, um sein Herz mit dem Anblick dieser göttlichen Uhr zu erwärmen. Sie war ein Meisterwerk - ein Meisterwerk, geschaffen, um von einem Meister beherrscht zu werden.
Ein kleines Buch lag am Fuße der frostigen Uhr. Valentin ahnte schon, was er darin finden würde. Er öffnete es und fand seine Vermutung bestätigt: Es war das ganz persönliche Kompendium dieses filigranen Werks. Den Aufzeichnungen nach stammte die Uhr aus Sibirien und war am 21. Oktober 1917 in Betrieb gesetzt worden. Er fragte sich, wie man eine derart empfindliche Konstruktion über einen so langen Zeitraum am Leben erhalten konnte.
Man musste wohl verrückt sein...
Es gab noch einige andere Dinge in dieser Kammer zu bestaunen. Dinge, die jedoch ganz und gar nicht zu den Gepflogenheiten des Antiquitätenhändlers passten. Direkt neben der Uhr standen ein völlig verstaubtes Glas und eine schäbige Kiste, die über und über mit Spinnweben bedeckt war. Valentin konnte sich nicht erklären, wie der stets auf Sauberkeit achtende Mann den Anblick dieser beiden abstoßenden Gegenstände ertragen konnte. Vielleicht hatte er sie durch den Glanz dieser göttlichen Schöpfung aber gar nicht wahrgenommen.
Allerdings stellte sich dem angehenden Dieb nun die Frage, was er in dieser Kammer eigentlich wollte. So schön dieses Meisterwerk auch sein mochte, er konnte rein gar nichts damit anfangen. Die Uhr war zu groß, zu schwer und viel zu zerbrechlich. Es wäre einfach unmöglich gewesen, sie zu transportieren, und außerdem wäre sie in der Hitze zerlaufen wie ein ganz gewöhnliches Erdbeereis.
So verließ er die Kammer, um zu überlegen, was nun zu tun war. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er noch einmal zu dem Toten blickte. Sein Schatz war rettungslos verloren.
Als Valentin zurückkehrte, rann bereits ein kleiner Wassertropfen über das Ziffernblatt der sterbenden Uhr. Es war spät, zu spät, um noch lange hier zu verweilen. Doch welchen Gegenstand sollte er jetzt bitteschön in Sicherheit bringen?
Diese Uhr konnte es kaum sein. Der Landstreicher hatte auf ihn jedenfalls nicht den Eindruck gemacht, sich an der Schönheit einer Uhr ergötzen zu wollen. Ihm ging es höchstens um das Gold, das sie enthielt. Doch Wertgegenstände gab es auch im Laden zur Genüge. Nein, dem Landstreicher musste es um etwas ganz anderes gegangen sein.
Vorsichtig griff er in das Spinnennetz, welches die mittelalterliche Kiste umgab und überprüfte das faustgroße Eisenschloss.
Abgesperrt, Mist, dachte er, entschied sich aber noch im selben Augenblick für das, was ihm am einfachsten erschien. Er packte das eiskalte Ding und zog es von der Kommode.
Ich bin ein Dieb, ich bin ein Dieb, ich bin ein Dieb...
Wenig später rannte der seltsame Junge mit dem seltsamen Anzug und der noch seltsameren Kiste für immer davon.