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Kapitel 13 - Das Mädchen namens Grabstein

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"He! Sag mal, du Anzug, eines würde mich wirklich interessieren. Bist du tatsächlich so bescheuert, oder tust du nur so? Hahahaha..."

Da war sie nun wieder - die Schule. Und es war kaum zu übersehen, dass sich inzwischen eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Schülern auf ihn eingeschossen hatte. Die Schmähseite mit dem bösen Filmchen hatte jedenfalls ihre volle Wirkung entfaltet: Wer in sein wollte, der musste es einfach auf dem Handy haben...

Was allerdings zur Folge hatte, dass besagter Junge nun kaum noch einen Schritt machen konnte, ohne damit konfrontiert zu werden. An diesem Morgen sollte es besonders schlimm werden. Er war noch nicht einmal bis zum Eingang des Schulhauses gekommen, ohne dass die Provokationen auch schon ihren Lauf nahmen: "He, Kraus! Hörst du nicht? Ich hab dich was gefragt!"

Valentin kannte die fiese Fistelstimme aus dem Hintergrund. Es war Pappke, eine regelrechte Berühmtheit, wenn es darum ging, Stunk und Ärger zu verbreiten. Das Pickelgesicht mit den fettigen Haaren erfüllte das Klischee vom verwöhnten Konsumterror-Teenager in beinahe schon peinlicher Perfektion, auch wenn er körperlich schon weit entfernt davon war, noch als Teenager durchzugehen.

Pappke war ein Riesenbaby - vollgefressen, frustriert und mit einer wahren Invasion der bereits erwähnten Pickel garniert. Er bekam von allen Seiten jeden nur erdenklichen Schnickschnack in den Allerwertesten geschoben und vertrieb sich die Zeit meist damit, irgendwelche blutrünstige Computerspiele auf seinem Handy zu spielen. Stundenlang, bis ihm der Sabber aus dem Mund quoll. Anschließend griff er sich dann willkürlich irgendeinen Schüler und verprügelte ihn.


Kein Wunder also, dass er längst auf den Alle-auf-Valentin-Kraus-Zug aufgesprungen war. Zwei Handlanger, die kaum mehr Intelligenz ausstrahlten, begleiteten ihn an diesem Morgen.

"Das is´n Schwächling, Pappke. Hau ihn platt!"

Valentin versuchte, die Provokationen zu ignorieren - was natürlich nicht gelang. Und so kam es, wie es kommen musste. Er wurde von hinten angerempelt.

"He, mach´s Maul auf, wenn ich dich was frage, du Loser!", brüllte Pappke und trat seinem Opfer von hinten in die Beine. Worauf Valentin ins Straucheln geriet und über die erste Stufe der Eingangstreppe stolperte.

"Hahahaha! Was für ein Depp!", amüsierten sich die drei in einer Menge johlender Schüler. "Zu blöd zum Laufen, der Trottel. Ja, mach schön deinen Diener vor deinem Herrn, du Null."

"Lass mich in Ruhe, du Idiot!", rief Valentin und versuchte, sich wieder aufzurichten. Doch das Riesenbaby war ihm längst mit dem Fuß auf den Rücken gestiegen und machte dabei Posen wie ein Jäger, der seine Jagdtrophäe präsentiert.

"Du bleibst jetzt mal schön unten. Dort, wo du hingehörst", höhnte der Widerling.

"Mach ihn fertig!", grunzte einer der beiden Handlanger.

"Shit. Lehrer im Anmarsch!", rief der andere, worauf sich Pappkes Fuß sofort vom Rücken seines Opfers löste.

"Glück gehabt, Kraus", zischte er. "Aber mach dir keine Hoffnungen. Beim nächsten Mal hau ich dich platt, kapiert?"

"Danke, ich kann´s kaum erwarten", stöhnte Valentin und wischte sich den Dreck von den Händen. Da glotzten ihn inmitten der johlenden Menge plötzlich zwei riesige und kugelrunde Augen an, die hinter einer fast fingerdicken Nickelbrille steckten. Engels...


Engels war Pappkes gehorsamer Diener - eine schmächtige Gestalt, deren Haupterkennungszeichen neben besagter Brille eine abgetragene Aktentasche war, die stets unter dem linken Arm klemmte. Das willenlose Frettchen folgte seinem General auf Schritt und Tritt - aber stets in einem gewissen Abstand, da es in Pappkes Kreisen natürlich als höchst uncool galt, sich mit einer derartigen Gestalt abzugeben. Doch Engels war für ihn viel zu nützlich, um ihn einfach davonzujagen.

Gerade schien der Wicht nicht so recht zu wissen, was er tun sollte. Also glotzte er noch ein wenig und verschwand schließlich hinter der schwenkbaren Eingangstür. Pappkes Befehlsempfänger wirkte immer irgendwie verunsichert, wenn es keinen Befehl gab, den er befolgen konnte.

"Ja, hau bloß ab, du Ratte", machte Valentin seinem Ärger Luft, während sich die übrigen Schüler noch immer amüsierten und ihn mit einer Cola-Dose beschossen.

Da fuhr ihn plötzlich eine Kasernenhofstimme an: "Kraus, was machst du da unten? Träumst du schon wieder? Was soll der Müll da auf dem Boden?"

Die Stimme gehörte Glatzkopf, seinem schlimmsten Lehrer, der eigentlich ganz anders hieß. Doch der Name Glatzkopf hatte sich eingebürgert, da ihm nunmal das gesamte Haupthaar von der Rübe gefallen war (und es eigentlich keiner Erklärung bedarf, weswegen). Glatzkopf war ein fürchterlicher Choleriker, ja das regelrechte Paradebeispiel eines Scheusals - wie die meisten Schulmathematiker eben. Kaum hatte er die Szenerie betreten, da wurde es unter den herumstehenden Schülern mucksmäuschenstill.

"Was ich da unten mache?", keuchte Valentin unüberlegt zurück. "Was meinen Sie denn? Ein Picknick vielleicht..?"

Das war ein Fehler. Sofort färbte sich der Kopf des hageren Zahlenverdrehers feuerrot.

"Unverschämtheit! Was erlaubst du dir eigentlich? Liegst hier faul in der Gegend herum, anstatt dich auf die Arbeit zu konzentrieren! Du bist vorgemerkt, verstanden?"

"Phantastisch."

"Und räum gefälligst diesen Müll da weg!"

"Sehr wohl. Wie Sie wünschen."

Als das Ekel endlich verschwunden war, kam wieder Leben in die Schülerschaft. Natürlich konnte ein Junge der Gelegenheit nicht widerstehen, Valentin die Cola-Dose noch einmal so richtig vor den Latz zu schießen. "Hast du nicht gehört? Du sollst den Müll da aufheben, hahaha!"

Worauf die Menge wieder laut zu johlen begann.

Es war genau dieser Augenblick, in welchem etwas höchst Ungewöhnliches geschehen sollte. Etwas, das Valentin Kraus in seinen kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte: Zwischen all den grinsenden Gesichtern erschien nämlich ganz plötzlich und unerwartet eine Hand.

Es war eine Hand, die ihm aufhelfen wollte. Valentin konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals eine Hand gereicht wurde, wenn er am Boden lag. Diese aber tat es. Es war eine sehr blasse Hand, deren Fingernägel auch noch pechschwarz lackiert waren - und weil er einen Augenblick zögerte, griff sie einfach zu und zog ihn in die Höhe. Sie war eiskalt.

Die helfende Hand gehörte jemandem, dem er am allerwenigsten zugetraut hätte, etwas Derartiges zu tun. Es war Luiza, das ewig finster in die Welt blickende Mädchen mit den schwarzen Haaren, den schwarzen Lippen, dem schwarzen Mantel und den schwarzen Schuhen. Das Mädchen, das meist abseits der Menge stand und stets ein kleines Buch in den Händen hielt. Ihren Nachnamen kannte Valentin nicht, da sie gewöhnlich nicht sprach. Wahrscheinlich wusste niemand, wie sie mit vollem Namen hieß. Wer zum Teufel sollte sie auch rufen, die Tochter des Todes..?

Ihr Gesicht war blass, noch blasser als sein eigenes. Vielleicht wirkte es auch nur so, wegen all dem Schwarz, das sie trug. Jedenfalls war es kein Wunder, dass man Luiza hinter vorgehaltener Hand eine Reihe von Spitznamen verpasst hatte: Sie war Der wandelnde Trauerfall, aber auch Das Ding aus der Gruft oder Die kleine Halbtote, meistens jedoch einfach nur Grabstein.

Doch niemand wagte es, sie zu beschimpfen, was wohl an ihrer höchst düsteren Aura lag, die sie umgab. Aus irgendeinem Grund hatte Luiza einfach etwas sehr Gespenstisches an sich - etwas, das den anderen vielleicht tatsächlich Angst einjagte. Er beneidete sie um diese grenzenlose Unnahbarkeit, denn sie wirkte wie ein unsichtbarer Schutz.


Es erübrigt sich, zu erwähnen, dass auch Luiza niemals auf Partys eingeladen wurde. Was sie allerdings nicht sonderlich zu stören schien. Sie wäre wohl selbst dann nicht zu einer Party gegangen, wenn man sie mit Einladungen zugeschüttet hätte. Nur einmal hatte Valentin sie beobachtet, als sie sich mit jemandem unterhalten hatte. Das war im Sommer, als sie auf einer Mauer saß und mit einem Punker sprach. Auch darum beneidete er sie. Hätte es Valentin Kraus gewagt, einen Punk anzusprechen, hätte ihn dieser wahrscheinlich auf der Stelle niedergestreckt.

Nun aber hatte Luiza, der wandelnde Trauerfall, Valentin, dem wandelnden Unglücksfall, die Hand gereicht. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich zu sammeln und wusste nicht, was er sagen sollte. Und als er zu überlegen begann, hatte sie sich auch schon umgedreht und war im Durcheinander der umherlaufenden Schüler verschwunden.

Die vom Tod verschmähte Katze

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