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Kapitel 9 - Das Krähenproblem

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Es dauerte bis tief in die Nacht hinein, ehe Valentin endlich begriff, was in den letzten Stunden und Tagen alles geschehen war. Lester Zacharias, der penible Antiquitätenhändler mit den tausend unverkäuflichen Uhren, lebte nicht mehr. Er war ein Opfer seines eigenen Kontrollwahns geworden, hatte sich über eine kleine Nebensache so derart aufgeregt, dass er ungewollt den Tod bestellte. Nun standen seine Uhren für immer still.

Er hatte ihn gesehen, den Toten, und damit zum ersten Mal einer wahrhaftigen Leiche gegenüber gestanden. Dies allein hätte für mehr als nur eine schlaflose Nacht ausgereicht, aber da war nunmal auch das fürchterliche Erlebnis mit dem Landstreicher gewesen, der Türen ohne Schlüssel verschließen konnte und ihm sogar eine Krähenschar auf den Hals hetzte.

Und da waren auch die sterbende Uhr und diese seltsame Kiste, die nichts als Staub und Dreck enthielt. Wegen ihr war er zum Dieb geworden, zum Dieb ohne Beute. Und wegen ihr hätte er sich auf Joe Kriegers Höllentruck um ein Haar sämtliche Knochen gebrochen. Sein Ferienjob hatte sich während dieser bizarren Ereignisse fast beiläufig in Luft aufgelöst, was allerdings noch das geringste Problem darstellte. Der entgangene Lohn war ihm längst völlig egal - genau wie der verrückte Landstreicher, der sich sicher schon längst aus dem Staub gemacht hatte.

So verabschiedete sich dieser Sommer, laut und gewaltig, in nur einer einzigen Nacht. Ein mächtiges Gewitter vertrieb die Hitze der vergangenen Wochen. Und als der Unglücksjunge am nächsten Morgen auf die dampfende Landschaft blickte, da ahnte er noch nicht, dass in den folgenden Tagen noch weitaus merkwürdigere Dinge geschehen sollten.

Zuerst einmal musste er die nüchterne Erfahrung machen, wie schnell so eine verstorbene Existenz aus der Jetzt-Welt gefegt wurde. Als er sich nämlich ein paar Tage nach dem Tod des Antiquitätenhändlers durchrang, noch einmal einen Blick auf das verwaiste Geschäft zu werfen, da hatte man es bereits leergeräumt. Das einst so sorgfältig gepflegte Schaufenster war mit einem riesigen X aus weißem Klebeband und dem Hinweis Zum Verkauf verunstaltet worden. Die skurrile Vogelscheuche lag auf einem mit zertrümmerten Regalen beladenen Schuttcontainer. Der Sommer war zu Ende, in jeder Hinsicht. Übrig blieben nur ein trauriges Stadthaus und ein verlassenes Grab mit einem schlichten Holzkreuz.

Wirklich merkwürdig war allerdings die Tatsache, dass Valentin die Krähen nicht mehr loswurde. Sie waren einfach überall, bevölkerten die Bäume, die Sträucher und auch das Dach seines Wohnhauses. Selbst die Gewächshäuser der elterlichen Gärtnerei blieben von den krächzenden Gesellen nicht verschont. Anfangs hatte er noch versucht, die seltsame Invasion zu ignorieren, aber es half nichts. Die Tiere schienen einfach einen Narren an ihm gefressen zu haben.

Leider hinderten sie ihn mit ihrer ständigen Gegenwart auch daran, die Ereignisse der letzten Tage zu vergessen. Wann immer er die gefiederten Plagen erblickte, wurde er wieder zu dem flüchtenden Dieb, der den Tod gesehen hatte.

Richtig schlimm wurde es allerdings erst, wenn er sein Zuhause verließ. Dann erhoben sich die Vögel in die Lüfte und folgten ihm auf Schritt und Tritt, wie ein Schatten. Das empfand Valentin nicht nur als nervend, sondern auch als höchst peinlich. Nun glotzten ihn die Leute selbst dann von allen Seiten an, wenn er keinen Anzug trug.

Er war jetzt der Junge, dem die Krähen folgten und konnte sich kaum noch in der Öffentlichkeit sehen lassen. Schlechte Voraussetzungen für den Schulbeginn. Sehr schlechte Voraussetzungen...

Die vom Tod verschmähte Katze

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