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Kapitel 18 - Ein Sturm im Marmeladenglas

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Dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen ist ein mühseliges Unterfangen, da der launische Zwerg Zufall meist nur unangenehme Überraschungen bereithält...

Der eiserne Kocher auf dem zerfurchten Holztisch hatte das blubbernde Gebräu schon fast auf die richtige Temperatur gebracht. Der richtige Moment aber war erst erreicht, wenn es zu verdampfen begann. Der Mann zog die kleine Schublade unter dem Kessel heraus und legte noch ein Stück Kohle in die Glut. Dann schob er sie wieder zurück in den Kocher, nahm das Thermometer aus der tiefroten Glibbersuppe und schloss den Kessel mit einem völlig verbeulten Schepperdeckel.

Der Brombeerdampf roch verführerisch, aber er musste sich hüten, zu viel davon einzuatmen. Man wurde gewiss nicht dick davon, aber man konnte, wenn es dumm lief, ungewollte Aufmerksamkeit heraufbeschwören. Wehe dem, der es übertrieb! Wer Gevatter Tod eine Einladungskarte schreibt, darf sich schließlich nicht beschweren, wenn dieser auch gleich seine Sense mitbringt...

Schicksal, Schicksal gehorche mir...

Draußen scheuchte der Wind das herabgefallene Laub durch die Straßen, ein gutes Zeichen. Der Mann packte den zerzausten Mantel des Landstreichers und warf ihn achtlos über einen Stuhl. Seine Verkleidung war arg in Mitleidenschaft gezogen worden, in der letzten Nacht. Die Brandlöcher waren kaum zu übersehen.

Abermals hob er den Deckel vom Topf - der Zeitpunkt war gekommen. Schon zeichnete der flimmernde Brombeerdampf ein erstes, dem Zufall als sehr geeignet erscheinendes Bild über den Kessel. Es war unscharf, aber je weiter die Temperatur anstieg, desto klarer wurden die Konturen.

Schicksal, Schicksal gehorche mir...

Die beiden Dummköpfe, welche das gefügig gemachte Schicksal auserwählen sollte, standen offenbar in direkter Verbindung zu dem Jungen, welcher all die Probleme der letzten Tage verursacht hatte. Sie kauerten auf einer Steintreppe, ließen sich die Sonne auf den Pelz scheinen und hatten nicht bemerkt, dass sie bereits von einem Meer tanzenden Laubes eingekreist wurden. Und auch nicht, dass dieser Kreis nun immer engere Bahnen um sie zog.

Der Mann fragte sich nur, wie das funktionieren sollte. Natürlich ließ sich die Dummheit schon immer leichter verführen als die Intelligenz. Es gab sogar Beispiele, dass man sie zu Massen versammeln und im Gleichschritt ins Verderben marschieren lassen konnte. Aber diese beiden Gestalten waren schon zwei besondere Exemplare. Ein Wink mit dem Zaunpfahl führt schließlich auch nur zum gewünschten Erfolg, wenn er nicht gerade in einem muffigen Kartoffelsack verpufft.

Das Gesicht des pickelgesichtigen Wirrkopfs war leer und zeugte von grenzenloser Einfältigkeit. Er schien einem kleinen, bunt leuchtenden Kästchen verfallen zu sein, welches monotone Geräusche absonderte und ihn augenscheinlich mit Haut und Haar kontrollierte. Das Gesicht des anderen trug eine Brille zur Schau, die aber nur zur Zierde dort angebracht war. Schlichte Kleidung, abgetragene Aktentasche. Dazu ein ebenfalls leerer Blick, brav und obrigkeitshörig - ein Befehlsempfänger eben. Ihn zu beeinflussen durfte gar nicht nötig sein, denn er folgte seinem Anführer stets wie ein ahnungsloses Schaf. Das gefügig gemachte Schicksal musste nur seinen Lauf nehmen.

Eine weiße Blase löste sich aus dem immerzu kauenden Mund des Wirrkopfs, platzte und verschwand wieder. Dann rülpste er laut und bohrte in der Nase, ohne seine Augen auch nur ein einziges Mal von dem kleinen Leuchtkästchen zu lösen. Es schien ihn auf irgendeine Art und Weise tatsächlich hypnotisiert zu haben.

Der Mann griff erneut zu dem eisernen Messgerät, um die Temperatur zu überprüfen. Sie war in Ordnung, aber irgendetwas störte ihn dennoch. War ihm schon wieder ein Fehler unterlaufen? Da fauchte der nächste Windstoß durch die Straßen und rüttelte an der Eingangstür. Das war der Grund: Ein kleines rotes Blatt hatte sich an die Fensterscheibe geklebt. Wütend schlug der Mann auf den Tisch.

Er hasste es, wenn so etwas geschah. Laubblätter waren Vagabunden, deren Dasein allein darauf beruhte, für alle Zeiten davongescheucht zu werden. Laub musste fliegen, das war seine Bestimmung, aber es hatte gefälligst ziellos zu reisen und an Fensterscheiben nichts verloren.

In jungen Jahren hatte er einmal ein schreckliches Buch gelesen, in welchem sich Kinder in kleine rote Blätter verwandeln, fliegen und gar mit den Sturmböen reisen konnten. Seitdem fühlte er sich immer beobachtet, wenn Laub an der Fensterscheibe klebte. Er hatte damals auf das Buch einen derartigen Zorn entwickelt, dass er es noch am selben Abend verbrannte und dem verfluchten Schreiberling die Pest an den Hals wünschte. Doch als es sich dann vor seinen Augen tatsächlich in fliegende Asche verwandelte, musste er zu seinem Entsetzen feststellen, dass sich diese auch ans Fenster kleben konnte...

Fortan sollte dieses ernüchternde Erlebnis maßgebend für sein späteres Leben werden: Die Unberechenbarkeit der Materie. Wenn sie das Heft des Handelns übernahm, war sie nur in den seltensten Fällen noch zu bändigen. Und die Vergänglichkeit der Dinge war nichts als ein Ammenmärchen, da aus jedem Gegenstand, der sich verabschiedete, sogleich etwas Neues entstand. Genervt öffnete er das Fenster und scheuchte das Blatt davon.

Der verbeulte Deckel hatte mittlerweile zu tanzen begonnen und wurde dabei von kleinen elektrisch geladenen Leuchtästen umgarnt. Sie waren hübsch anzusehen, doch man musste sich in Acht nehmen, ihnen zu nahe zu kommen. Ein Glück, dass der Tisch geerdet war!

Krach!

Im Nu war das duftende Möbelstück in Brand geraten. Mit einem dicken Handschuh erstickte der Mann die Flammen. Dann hob er den Deckel vorsichtig vom Kessel und betrachtete das dampfende Gebräu. Es war völlig außer Kontrolle geraten, rotierte und erzeugte dabei ein beachtliches Miniatur-Gewitter.

Diese Eigenschaft war nicht die einzige, welche diese Mixtur von herkömmlicher Brombeermarmelade unterschied. Die alte Dame hatte das Geheimnis offenbar auch gekannt. Noch immer ärgerte er sich darüber, dass er sie so maßlos unterschätzt hatte. Die Brandblasen an seinem rechten Arm verursachten noch immer höllische Schmerzen und begleiteten ihn wie ein mahnendes Schreckensmal. Das Missgeschick war bei seinem nächtlichen Einsatz geschehen, und er hatte dabei sogar noch Glück gehabt, sehr viel Glück. Man musste eben vorsichtig sein mit diesen Dingen. Schon der kleinste Fehler konnte zu einem unwiderruflichen Desaster führen.

Nachdem sich das Gebräu durch abruptes Umstürzen des Kessels in das kugelrunde Einmachglas geschlürft (...) hatte, war das Werk vollendet. Ob es auch zum erhofften Erfolg führen würde, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Letzten Endes blieb dem Mann nichts anderes übrig, als abzuwarten.

(...) Anmerkung: Sowohl Laune als auch Allgemeinbefinden des Gebräus erlauben es nicht, es zu gießen. Man muss es schon bei Stimmung halten und es dazu bewegen, sich von selbst in das Gefäß zu begeben. Wie das funktioniert, soll hier nicht weiter erläutert werden, da die ausführende Person dabei Gefahr läuft, Begehrlichkeiten bei Gevatter Tod zu wecken. Nur dies: Kochend heiße Marmelade in ein Einmachglas zu gießen, ist keine besondere Kunst. Aber wenn diese aus zyklonisierten Brombeeren besteht, die stets bestrebt sind, ein äußerst launisches Tiefdruckgebiet zu erzeugen, wird es knifflig. Haben wir nicht von der ewig glucksenden Wetterfee gelernt, dass Hitze so ein Tiefdruckgebiet ganz schnell in Rage bringen kann? Das sogenannte Einschlürfen geschieht in der Regel über den Rüssel des Marmeladenzyklons, der (so vermutet man) Appetit auf das Einmachglas bekommt und beim Wechseln des Standorts genussvoll schmatzt. Hinweis: Nicht nachmachen! Allzu euphorischer Umgang mit Brombeermarmelade kann vielfach zu Spannungen führen, sowohl in physikalischer Hinsicht als auch im Hosenbund.

Solange das Unwetter im Glas tobte, war das Schicksal gefügig und bereit, den richtigen Weg einzuschlagen. Der dumme Junge musste sich schließlich von selbst auf den Weg zu ihm machen. Einen Teilerfolg hatte der Mann bereits erzielt: Der Junge konnte nicht mehr nach Hause fahren, da sich seine gewohnte Rückfahrgelegenheit bereits in rote Blubberbläschen aufgelöst hatte. Die beiden Dummköpfe, welche es nun zu beeinflussen galt, waren nur Mittel zum Zweck, Werkzeuge des Schicksals, mehr nicht.

Er verschloss den Deckel des polternden Glases und betrachtete die Uhren an den Wänden. Je weiter die Marmelade abkühlte, desto träger wurde ihre Rotation. Irgendwann würde sich das tiefrote Toben mit einem lauten Klack! des Deckels verabschieden und zu einer gallertartigen Masse erstarren, die aber noch immer verführerisch nach Brombeeren duftete. Dann wurde noch ein liebevoll gestaltetes Etikett auf das Werk geklebt, mit dem Hinweis, den Deckel niemals zu öffnen. Und das war es auch schon. Am Ende blieb nur ein weiteres Glas Brombeermarmelade, dessen Bestimmung es war, im Regal zu verstauben.

Schicksal, Schicksal gehorche mir...

Der Wind jagte den beiden Dummköpfen das Laub nun aus allen Richtungen um die Ohren. Doch das schien nicht viel zu nützen, da sie noch immer bar jeglicher geistiger Regung durch die Zeit trieben. Das piepsende Leuchtkästchen war offenbar mächtiger als erwartet.

"Verflucht!", schimpfte der Mann und schlug mit der Faust auf den Holztisch.

Plötzlich geriet Betriebsamkeit in das Gesicht des ersten Spießgesellen. Er wandte seinen Blick von dem Leuchtkästchen ab und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

"Hey, ich hab was!", rief der rothaarige Junge und rammte seinem Kumpan den Ellbogen in die Seite.

"Auaaa!", beschwerte sich dieser.

"Ich hab was! Los, komm mit."

"Wohin denn?", wollte sein Diener wissen und rückte seine Brille zurecht.

"Frag nicht. Komm mit."

"Jaaah, ich komme schon", seufzte die Nickelbrille, klemmte sich die schlichte Aktentasche unter den linken Arm und trottete dem Pickelgesicht hinterher.

Die vom Tod verschmähte Katze

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