Читать книгу Die vom Tod verschmähte Katze - Matthias M. Rauh - Страница 9
Kapitel 6 - Der frierende Dieb
Оглавление"Verdammte Mistkröten", schimpfte der Landstreicher. "Ich hätte sie alle erwürgen sollen."
Er ahnte wohl bereits, dass er zu spät kommen würde. Als er den Laden des toten Antiquitätenhändlers schließlich erreichte, hatte sich bereits eine mittelgroße Menschenmenge vor dem kleinen Geschäft versammelt. Ein Leichenwagen war ebenfalls dort abgestellt worden. Und das war noch nicht alles: Polizei...
"Verflucht!", schimpfte er und schlug mit seinem Stock auf das Kopfsteinpflaster. Doch dann besann er sich und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
"Gehen Sie bitte weiter!", rief ein Beamter den vielen Schaulustigen zu, die nur allzu gerne einen Blick auf die Leiche geworfen hätten. Einige von ihnen hatten sogar ihre Handykameras eingeschaltet und kämpften mit den Tücken des Gegenlichts.
"Verdammtes Gesocks", zischte der Riese, als er an dem Tumult vorbeistapfte.
"Gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen", wiederholte der Polizist und schob einige der sensationssüchtigen Leute zur Seite.
"Mit Sicherheit ein Raubüberfall!", ereiferte sich eine korpulente Frau mit Einkaufskorb. "Heutzutage kann man sich ja vor gar nichts mehr..."
"Vorhin haben sie etwas in eine Plastiktüte gepackt", unterbrach sie eine Passantin. "Ich habe es genau gesehen. Hat geglänzt. Vielleicht ein Beil..."
"War es blutig?", wollte die Frau mit dem Korb wissen.
"Gehen Sie gefälligst weiter", stöhnte der genervte Polizist nun schon zum dritten Mal.
"Würde mich nicht wundern", schaltete sich ein Spaziergänger in das wilde Geschwätz der beiden Frauen ein. "Wenn Sie mich fragen, war das hier ein eiskalter Ritualmord. Sehen Sie doch nur mal auf das gespenstische Zeichen dort oben!"
Mit entsetzten Mienen blickten sie zum Dach hinauf, wo natürlich noch immer das ausgedörrte Strangulienchen baumelte. In beinahe unverschämter Art und Weise grinste es auf die Menge herab und wackelte mit dem Kopf.
"Iieeh! Was ist das denn?"
"Sieht aus wie eine Vogelscheuche", bemerkte der Mann.
"Wie geschmacklos. Übrigens: Sind Sie schon lange hier? Hat man die Leiche schon ins Auto geladen? Ich meine, nicht dass ich neugierig wäre..."
"Verschwinden Sie endlich!", herrschte sie der Polizist an und schob ihren prall gefüllten Korb zur Seite.
"Schon gut, schon gut", zischte die Frau und rollte mit den Augen. "Gehen wir eben dort rüber, da haben wir ohnehin bessere Sicht. Ach, habe ich Ihnen schon erzählt, was ich gestern für ein tolles Schnäppchen in der kleinen Boutique dort drüben..."
Der Polizist atmete tief durch und griff nach seinem Funkgerät.
Nächster Haaalllllt, Parkstraße...
Mit einem herablassenden Blick musterte die ältere Dame den seltsamen Jungen auf dem gegenüberliegenden Sitzplatz des Linienbusses. Er war völlig außer Atem, schwitzte und hatte eine modrig stinkende Kiste auf seinem Schoß abgestellt. Dass er sie mit einem altmodischen Jackett zu verdecken versuchte, verstärkte ihre Skepsis. Dieser Junge taugte wohl nicht viel. Kein Wunder, er war ja auch ziemlich blass um die Nase.
Angewidert starrte sie auf das beschlagene Fenster und rollte mit den Augen. Doch ihr Ärger sollte schon bald blankem Entsetzen weichen. Da war plötzlich diese furchtbare Kälte, die vor ihr über den Boden kroch und ihre Beine mit eisigen Nadelstichen malträtierte. Als nach einem Halt endlich ein Platz in einer anderen Sitzreihe frei wurde, hatte sie es auf einmal sehr eilig.
Warum ist das Ding nur so abartig kalt?, fragte sich Valentin. Die Kälte war in der Tat kaum auszuhalten. Sie packte ihn, ergriff Besitz von seinen Händen und seinen Beinen. Außerdem war ihm natürlich längst aufgefallen, dass er schon wieder von allen Seiten beäugt wurde.
Er fragte sich allerdings, ob der Landstreicher nicht in weitaus größeren Schwierigkeiten steckte. Schließlich hatte Valentin längst die Polizei gerufen. Er erinnerte sich, dass er das Gespräch sofort abbrach, als ihn der Beamte nach seinem Namen fragte. Und dass er sich anschließend sogar noch die Mühe machte, sämtliche Fingerabdrücke vom würdevollen Telefon zu wischen. Als Dieb gewöhnt man sich wohl nur allzu schnell daran, Spuren zu vernichten...
Nach einer halben Ewigkeit hatte der Bus die Stadtgrenze und damit seine Endstation erreicht. Ab hier ging es nur noch zu Fuß weiter - ein Kilometer durch ein Industriegebiet, dann zwei weitere über Feldwege und Wiesen. Normalerweise fuhr der Bus noch ein ganzes Stück weiter, aber es war eben Samstag. So blieb Valentin nur der Fußmarsch über die Landstraße, bei 30 Grad, flankiert von Getreidefeldern, welche ihn schnell daran erinnerten, wie sich so ein Heuschnupfen anfühlte.
Die kleine Rabenkrähe ließ sich auf einem Holzzaun nieder und lockerte ihr Gefieder. Sie hatte den Dieb entdeckt. Krächz!