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Daß er morgen auch die restlichen Poster

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runterreißen – ein vollständig plakatiertes Zimmer wie das von Vogler war sowieso nicht hinzukriegen – und daß er dann, schön der Reihe nach, die besten Sätze aus »Reader’s Digest« an die Wand schreiben würde! Und die aus den Lesering-Bänden.

Ach, was wußten schon Mütter! Jedenfalls nichts von Kafka, Hofmannsthal, Brentano, Trakl; nichts von Tangerine Dream, und daß man das alles nur kapierte, wenn man dazu auch mal das Licht ausgeknipst ließ; und nichts, natürlich, vom Tod.

»Findest du’s in Ordnung, daß wir sterben müssen?« fragte Max kurz vor Sperrstunde, während Gregor seine Kilroys auf sämtliche Bierdeckel kritzelte. Wieder war einer dieser Tage fast vorüber – einer dieser immer gleichen Tage, die nachmittags begannen, wenn man rüberfuhr in all die Farben und Gerüche, für die man keinen Namen wußte; einer dieser Tage, an denen man schließlich zurückfuhr und die Jalousien runterließ am Aldruper Damm oder an den Burwiesen: und Musik hörte; einer dieser Tage, die beim »Kater« endeten auf einem alten ausgeleierten Sofa, linksrechts hockten Typen, die grüppchenweise aufs Klo verschwanden oder ins Auto, die den Rest der Zeit dasaßen und sich wechselseitig versicherten, sie täten’s schon »ganz deutlich spüren«, »das Zeug« haue »mächtig rein«, vom Nebenraum klatschten die Billardkugeln rüber, grau war die Luft und süß und voller Klang, und jedesmal nach dem Tod fragte Max. Fand’s ganz & gar unbegreiflich, daß man sterben mußte:

»Ich find’s empörend, eine Frechheit.«

»Unvorstellbar, daß alles plötzlich umsonst war.«

»Daß alles umsonst war, von Anfang an.«

Manchmal müsse er fast heulen, schnippte Gregor die Asche von seiner Zigarette – mit dem Daumen, wie’s Vogler machte –, manchmal, wenn er an den Tod seiner Eltern denke, müsse er fast heulen. Und sich noch ein Alt Schuß[44] bestellen, nur so zur Sicherheit: Klar, im Grunde würden sie bloß Blödsinn reden jeden Tag Blödsinn machen – naja, wie Eltern eben … Aber irgendwie wolle’s ihm nicht in den Kopf, daß sie mal »hopsgehen« müßten. Daß keiner dann mehr beim Rumrocken störe.

Und er selber etwa nicht? wurde Max bierunselig: Ob nicht irgendwann auch mal er selber hopsgehe, er, Gregor? Und es dann gar niemand mehr gebe, mit dem man »Fakten sammeln« und sich beraten könne, ob Kötte vielleicht inzwischen wirklich –

Keine Sorge, winkte Gregor ab und blickte auf von seinen Kilroys, dorthin, wo hinter all den Haaren das Gesicht von Max stecken mußte: Was ihn selbst betreffe, so sei er ziemlich sicher, daß er, nunja, er könne sich einfach nicht vorstellen, daß er mal sterbe. Nein, das sei bei ihm nicht möglich.

Schlichtweg nicht möglich war’s auch, daß er sechzehn Kilroys auf einem einzigen Bierfilz untergebracht haben sollte, oder waren das lediglich zwei? Wenn die Luft nur nicht so schwer, so voller Sound, wenn die Treppe runter zur Toilette nur nicht so steil gewesen wäre, wenn die Sofas danach nur nicht alle so gleich ausgesehen hätten und auch die Menschen, die darauf saßen!

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