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»Jetzt zeigen sie so ’nen Quatsch schon am Nachmittag« – revisited

Breitleinwandschlacht der Weltanschauungen

Aufnotiert wurden diese vage gehaltnen Fragen sechs Tage nach dem Anschlag auf die Zwillingstürme, zu einem Zeitpunkt, da sich die Schlagzeilen überstürzten und mit ihnen die sachverständigen Erklärungen von Islamkundlern, Amerikanisten, Politologen, Verschwörungstheoretikern, Nahost- und Terrorexperten jedweder Couleur. Inzwischen liegen weitere Jahre weltweiten Terrors hinter uns, in deren Verlauf die Bombeneinschläge nicht nur sprichwörtlich näher kamen; man bekommt die Chronik der laufenden Ereignisse in der bloßen Erinnerung gar nicht mehr lückenlos zusammen, so häufig war von Entführungen, Geiselexekutionen, Selbstmordanschlägen, Massendemonstrationen, Fahnenverbrennungen und regelrechten Kriegen (Irak, Palästina, Libanon, Somalia …) die Rede. In summa von einer dezentralisierten Schlacht der Weltanschauungen, die nicht zuletzt mit Hilfe der Medien und der prägenden Botschaften ihrer Bilder geschlagen wird.

Wie aber wird es weitergehen? Die aktuellen Produktionen der Massenkultur sind wahrscheinlich auch weiterhin Seismographen zukünftiger Entwicklungen: Im 2006er-Actionstreifen »Tal der Wölfe«, erfolgreichster türkischer Film aller Zeiten, rächt sich die während des Irakkriegs durch die USA gedemütigte Türkei in Person ihres TV-Serienhelden Necati Şaşmaz. Der bringt den christlichen US-Schurken am Ende mit einem Dolchstoß zur Strecke und befriedigt damit religiöse wie nationale Emotionen – nicht selten soll es zum Schluß der Vorführung Beifall gegeben haben. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einer »Attacke auf die Werte der westlichen Zivilisation« (Charlotte Knobloch, zit. nach: SZ, 18./19. 2. 2006) und appellierte an die Kinobetreiber, den Film wegen antisemitischer Aspekte aus dem Programm zu nehmen.

Es geht indes noch drastischer. In seinem Thriller »Prayers for the Assassin« (erschienen März ’06) entwirft der amerikanische Autor Roberto Ferrigno eine USA des Jahres 2040 als islamistische Republik, regiert von Seattle aus. Der Plot: Nach Atomschlägen auf New York und Washington kommt es im ganzen Land zu bürgerkriegsbedingten Verwüstungen; in der Hoffnung auf Sicherheit und Ordnung wendet sich die Bevölkerung sukzessive dem Islam zu. Nur diejenigen, die auch zuvor schon über einen festen Glauben verfügten, können sich dem neuen Trend entziehen: die Juden durch Flucht; die Turbo-Kapitalisten durch Errichtung eines »Freistaats Nevada«; die bibelfesten Südstaatler; die Mormonen um Salt Lake City. Daß die Religionspolizei im neuen Staatswesen eine unheilvolle Rolle spielt, versteht sich; daß es auch innerhalb des islamischen Territoriums fundamentalistische wie moderate, ja modernistische Kräfte gibt, desgleichen – Gut und Böse stehen sich nun innerhalb der Elitetruppe der Fedajin gegenüber. Das Buch jage dem Leser, schreibt Jordan Mejias in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (6. 3. 2006), »kulturkämpferische Schauder über den Rücken« und lasse »das patriotische Blut in Wallung geraten«: »In seinem Zukunftsbild stauen sich die Ängste der Gegenwart.«

Ob auf Papier oder auf Zelluloid, für Amerikaner scheinen in jedem Fall schwere Zeiten anzubrechen. Doch nicht nur für sie! Auch für die Europäer hält der angebrochene Kampf der Kulturen albtraumhafte Zukunftszenarios in petto: Wird Europa bei Ferrigno schlichtweg durch Ein- und Unterwanderung zu einem islamischen Erdteil – in der wirklichen Wirklichkeit wurde ebendies dem Dekan von Pappenheim von einem türkischen Passanten prophezeit (»Sie hatten seit langem nur zwei Taufen; bei uns kommt mindestens das Zehnfache nach. In zehn Jahren gehört Pappenheim uns.« Zit. nach: SZ, 18. 9. 2006) –, so rechnet ein türkischer »Schundroman«, der kurz nach den gescheiterten Beitragsverhandlungen der EU mit der Türkei Schlagzeilen machte, weit grundsätzlicher mit der Alten Welt ab: indem er sie in einen dritten Weltkrieg verwickelt. Die von der Europäischen Union endgültig enttäuschte Türkei verbündet sich mit Rußland, das die Demütigungen der Rußlanddeutschen nicht länger tatenlos hinnehmen will, und erobert Mitteleuropa; das Zentrum einer neuen EU verschiebt sich nach Istanbul. Titel und Autor des Romans? Habe ich als Bürger der alten EU umgehend verdrängt.

PS: Im Herbst 2006 läuft in den USA der britische Fernsehfilm »Death of a President«, der in einer Mischung aus Archivmaterial und gestellten Szenen die Ermordung von George W. Bush im Jahre 2007 »zeigt« (SZ, 4. 9. 2006). Obwohl nicht einmal das Weiße Haus protestiert hat: Die Freiheit der Kunst rechtfertigt nicht alles, auch die Würde eines suspekten amerikanischen Präsidenten sollte unantastbar sein.

Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

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