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III Betreutes Wohnen

Alltag, Kultur, Alltagskultur

Erotiker bevorzugen bekanntlich das Konvexe, Ästhetiker dagegen das Konkve: Für sie beginnt die Fremdheit des Weiblichen in der – von hinten betrachteten – Fessel, in der verhängnisvollen Partie zwischen Ferse und halber Wadenhöhe; sie mündet nach oben in einem Versprechen, das demjenigen des Augustiner-Weißbierglases nahekommt, nach unten im Hacken des Stöckelschuhs, dessen idealtypischer Absatz den Verlauf der Achillessehne infamerweise auch noch spiegelt.

Die Inszenierung der ästhetischen Schlüsselstelle[100] findet jenseits wechselnder Moden statt; sie ist schwarz, spitz und frei von Mätzchen – immer mal wieder erschreckend gut begriffen von Gucci, Stuart Weitzman oder Stephane Kélian[101]: als Wiedergutmachung dessen, womit sich ein Prada-Schuh am männlichen Blick versündigt. Die Vorzeigeprodukte der Gucci-Fraktion sind für den Ästhetiker indessen kein Grund zur reinen Freude; wo sonst wären weibliche Macht und männliche Ohnmacht so auf den Punkt gebracht wie im Absatz eines Stöckelschuhs?

Doch die Wege, die auf, in und mit ihm beschritten werden müssen, sind lang und zahlreich die Fehler, die dabei begangen werden: Fehler bei der Auswahl des Schuhs (zu hoch, zu hübsch, zu heiß, zu halbherzig), Fehler vor allem beim Tragen desselben. Schon das Gequengel über seine mangelnde Bequemlichkeit indiziert ein tragisches Mißverständnis; das kurze belüftende Herausziehen des Fußes und womöglich schamlose Präsentieren einer verstärkten Strumpfhosenspitze weiß sogar Stammwähler der Grünen zu verschrecken. Regelrecht fatal die falsche (arschschwenkende) Art, darin zu gehen; fatal, sich seiner im Beisein irgendeines Betrachters zu entledigen: Einen Stöckelschuh zieht man niemals aus[102], im Vergleich zu seiner auratisierten Künstlichkeit müßte sich ja selbst der schönste Fuß als bloßes Füllmaterial zu erkennen geben, als allzumenschliches Naturprodukt.

In 99 von 100 Fällen wird der Ästhetiker demnach den erlösenden Frustrationsschock erleiden und befreit wegsehen; dieser eine aber, der hundertste Fall reicht leider noch immer völlig aus, um ihn lebenslänglich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu halten: Das Schöne ist des Schrecklichen Anfang – und der Stöckelschuh dessen willfähriger Gehülfe. Sein öffentliches Zur-Schau-Stellen ist nichts weniger als Gewaltausübung und sollte durch umgehende Beschenkung mit modisch aufgepeppten Marken-Badelatschen geahndet werden: Erst das interesselose Unwohlsein, das sich angesichts jener zwei weißen Tiefseewesen einstellt, wie sie in obszöner Offenherzigkeit aus einer Christian-Dior-Latsche herausschielen, erst die große Gleichgültigkeit gegenüber dem, was unter andern Umständen der Anfang alles Weiblichen wäre, verbürgt die Emanzipation des Mannes. Womit wir das Tragen von Badelatschen nicht mehr nur als Selbstverstümmelungsversuch von fashion victims begreifen müssen, sondern als das, was es im tiefsten Sinne ist: gelebter Humanismus.

(1999)

Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

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