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ОглавлениеErotiker bevorzugen bekanntlich … – revisited
Sexuelle Belästigung
Die fortschreitende Pornographisierung unsrer Gesellschaft hat mittlerweile Bereiche erfaßt, die selbst während der Blütezeit sexueller Befreiung als unantastbares Refugium des freien Geistes galten. Ein Blick auf die Wahlslogans zur Bundestagswahl 2002:
»Steck ihn rein« (eine halbwegs attraktive Plakatfrau der Hamburger Jungen Liberalen, dafür werbend, zur Wahl zu gehen)
»Das ist erst das Vorspiel, der Höhepunkt kommt noch« (Jusos)
»Wir machen’s gleich« (Die Grünen zur Homo-Ehe)
»Heute popp’ ich, morgen kiff’ ich, übermorgen wähl’ ich die PDS«
»Lieber bekifft ficken als besoffen Auto fahren« (noch mal die Julis, die sich auch nicht entblödeten, die URLs www.steck-ihn-rein.de einzurichten sowie www.bekifft-ficken.de)
Welch ein Verständnis von Demokratie verbirgt sich eigentlich hinter derartiger Sprücheklopferei? Und welch ein Verständnis vom jeweils anderen Geschlecht? Was waren das für Zeiten, als sich nicht alles gleich um den rohen Akt drehte, sondern um, zum Beispiel, den Anblick einer perfekten Frauenfessel in einem perfekten Schuh! Längst ist die massive Penetration unsres gesellschaftlichen Lebens mit sexuellen Codes, Subtexten, Wortspielen und Icons an ihre Übersättigungsgrenze gestoßen, die Ästhetik dabei weitgehend auf der Strecke geblieben. Und nicht nur diejenige untätowierter Fußrücken und unberingter Zehen; es gibt auch eine Ästhetik der Umgangsformen zwischen den Geschlechtern, die im Zuge der Emanzipation fast vollständig verlorengegangen ist, eine Kunst der Nuancierung, wie man sie noch im südlichen und östlichen Ausland pflegt. Es ist gar nicht so lange her, da konnte man auch in Deutschland am Gang einer Frau ihren Charakter erkennen, an der Art, wie sie sich die Tür aufhalten ließ, durfte man erahnen, ob sie sich anschließend auch aus dem Mantel würde helfen lassen.
Nicht, daß ich mir ein voremanzipatorisches Zeitalter herbeisehne, nein! Aber daß ich neuerdings mit einer Taxifahrerin körperlich darum ringen muß – ja, körperlich, der Hausmeister ist mein Zeuge –, ob ich meinen Koffer selbervon derTür zu ihrem Auto tragen darf, geht zu weit; und daß ich mich auch noch die ganze Fahrt über zu rechtfertigen habe, daß ich ihren Dienstleistungsversuch abgelehnt hätte, weil mein Blick auf unsre beiden Geschlechterrollen »vormodern verkürzt« sei, übersteigt meinen bisherigen Begriff von Weiblichkeit beträchtlich. Falls ich ihrdie Taxitür aufhalten oder gar aus dem Mantel hätte helfen wollen, stelle ich mir vor, sie hätte mir eine Anzeige wegen sexueller Belästigung angedroht. Oder gleich eine Ohrfeige verpaßt.