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Sitzpinkler

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Die Grünen als Rasselbande, als Partei, als Witz

»Erst verbieten sie die Formel-1, dann das Pinkeln im Stehen und schließlich das Furzen ohne Kat« – so habe ich es an der Bar des »Frank & Frei« erlauscht,[86] einer durchschnittlichen Hamburger Eckkneipe: Nicht erst seit gestern sind die Grünen zum Witz geworden. Spätestens seit Ende der 80er, da sich die veränderte weltpolitische Großwetterlage zusehends auf unser aller Leben auszuwirken begann, konnten sie nurmehr diejenigen neu für sich gewinnen, die vor dem rapiden gesellschaftlichen Wandel in altbekannten Utopien Zuflucht suchten; was einmal eine durchaus avantgardistische Massenbewegung war, ist heute ein Sammelbecken für rückgewandte Nostalgiker.[87] Selbst der ästhetische Sprung von Joschka Fischer in die maßgeschneiderten Probleme des Jahrtausendwechsels kann keinen darüber hinwegtäuschen, daß er eine zusammengekleckerte Schar an unzeitgemäß sich gebärdenden SelbstgeißlerInnen anführt,[88] die – »Ja, ja! Nein, nein!« rufend – allenfalls noch als wundertätige HeiligInnen den Strom der neuen Zeit anhalten könnten.

Nun leben wir in einer daxistischen Zweidrittelgesellschaft, die mit sämtlichen Ideologien und den darin enthaltnen Utopien abgeräumt hat, einer Gesellschaft, der’s bereits als Intellektualitätsnachweis gilt, sich auf keine Meinung festzulegen, sondern mit seinen postmodernen »Widersprüchen« zu kokettieren, einer Gesellschaft, deren ironischer Grundkonsens jeden Fundamentalismus zersetzt, auch einen grünen. Die einzig adäquate Haltung angesichts des unmittelbar bevorstehenden Anbruchs zynischer Zeiten wäre’s wohl, Ironie und Utopie zu verbinden,[89] sprich, der beispielsweise grünen Weltanschauung eine Außenhaut an Esprit und Charme zu verpassen, ihren alten Furor mit neuen spielerischen Elementen zu versetzen. So daß aus ihrer starren 70er-Jahre-Doktrin eine flexible Struktur an Kernideen entstünde, die an den Rändern stets aufnahmefähig wäre für alles, was ihr der Zeitgeist an neuen Widerständen entgegenstemmt – selbst für vorübergehende Inkohärenzen.

Auch Ideologien unterliegen nämlich dem Prozeß der Auslese; und gerade weil der Kapitalismus inzwischen drauf & dran ist, als einzige Art zu überleben, bräuchten wir schleunigst qualitative Mutationen bei allen noch verbliebnen Gegenvisionen, um uns nicht im Hamsterrad eines hedonistischen Gegenwartsfetischismus totzulaufen. Was im engeren politischen Sinne doch wohl hieße: Gerade weil sich jetzt auch die SPD zur Abwicklungsgesellschaft von Sachzwängen reduzieren will,[90] bräuchten wir eine grüne Gegenpartei, die auf der Höhe ihrer Zeit und also dort stünde, wo sie auf undogmatisch unbeirrbare Weise ganz grundsätzlich gegensteuern könnte.

Eine grüne Gegenpartei? Waren die Grünen denn jemals eine Partei? Oder vielmehr eine wilde Rasselbande, deren Kleinstkonsens – abgesehen von einer diffus ökologischen Grundaufgeregtheit – darin bestand, dagegen zu sein?[91] Gegen alles, was für sie die verstaubte »Mitte« der alten Bundesrepublik repräsentierte, Staatsapparat – Bürgertum – Institutionen, bei gleichzeitiger Pauschaltoleranz gegenüber allem und jedem, das von den »bunten« Rändern kam. Womit die Grünen des Jahres 1999, kaum daß sie aus der Rolle des Rundum-Oppositeurs heraus- und in eine staatstragende Rolle hineingewählt wurden, einem unaufhebbaren Widerspruch unterliegen und sich im Grunde auf besagten ökologischen Grundimpetus beschränken müßten. Was sie freilich nicht können, ist er doch längst selbstverständlicher Teil von unser aller Mülltrennungsalltag geworden – und von sämtlichen anderen Parteiprogrammen: Eine grüne Regierungspartei ist entweder a priori handlungsunfähig oder eine (aufgeregtere) Variante dessen, was die andern mittlerweile auch sind[92] – und also in jedem Fall zum Scheitern prädestiniert.

Aber die Grünen, wie gesagt, sind ihrem Wesen nach ja gar keine Partei, und das könnte sich in nicht allzuferner Zukunft wieder zu ihren Gunsten auswirken. Was geschah denn zwischen den 70ern und den 90ern, da sich die Grünen im wesentlichen darauf beschränkten, grün bzw. bunt zu sein, was geschah denn da mit den andern, den »richtigen« Parteien? Eine ganze Menge; in einer Serie an stets flacher ausfallenden Programmen, Standortbestimmungen, Wahlplattformen versuchten sie fast ausnahmslos, ihre ursprünglichen Konturen zu verwischen, sich einander anzugleichen – inzwischen wollen sie alle, mit Ausnahme von CSU und PDS, von ihrer ehemaligen Identität (lies: von ihrer ehemals klar begrenzten Stammwählerschaft) nichts mehr wissen und drängeln in einer unisono beschwornen Neuen Mitte. Auch die Grünen? Seit kurzem auch sie, jedenfalls soweit sie nach der letzten Bundestagswahl jäh in den 90ern erwacht sind und sich im Krawattenbinden üben: Auf Dauer kann man den Krawattenträger nämlich nicht spielen, auf Dauer wird man Krawattenträger.

Wenn sich freilich alle aus taktischen Überlegungen im Mittelfeld positionieren, wenn keiner mehr die langen Pässe nach rechts- oder linksaußen und von dort zurück ins Zentrum schlägt, dann fehlt dem öffentlichen Politspektakel weit mehr als nur die Spannung. Eine in der Mitte erfolgreiche Politik läßt sich nämlich – wie beim Fußball – nur über die Flügel gestalten, nur von den Rändern her, wo sich die Grünen ja ursprünglich sehr erfolgreich in Szene gesetzt hatten. Wollte man sie jetzt vor der Sozialdemokratisierung bewahren – »In Gefahr und Not bringt der Mittelweg den Tod« –, man müßte ihnen dringend zuraten, sich wieder auf ihren angestammten Platz als Oppositionspartei bzw. -haufen zu besinnen[93]: Lediglich dort, wo’s noch Protest und Leidenschaft gibt, gibt’s eine Zukunft, die den Namen verdient; die »strukturelle Regierungsunfähigkeit«, die man den Grünen zur Zeit überall bescheinigt, ehrt sie – bloß müßten sie ihre Not auch als ihre höchst spezielle Tugend begreifen.

Denn als Verwaltungsbeamter einer US-amerikanischen Überseekolonie, und eine gewichtigere Rolle auf dem politischen Parkett könnte auch der aufmüpfigste deutsche Minister nicht dauerhaft spielen,[94] darf man ja nicht einfach leidenschaftlich drauflosregieren: Im Mainstream der Weltpolitik hat sich jedes noch so wild dahinsprudelnde Seitenflüßchen am Ende in den (meist) träge dahinflutenden Gesamtstrom zu ergießen. Nur einige wenige vermögen es, sich diesem allgemeinen Verwässerungsprozeß zu entziehen; im Grunde sind Parteien nichts weiter als strukturbildende Maßnahmen zwecks Beförderung jener großen einzelnen, auf daß diese noch größer und mächtiger werden, im Grunde sind Parteien nichts weiter als demokratiesimulierende Notlösungen:[95] Sobald jene Unverwässerbaren – ob gewollt, ob ungewollt – ihren Kurs ändern, dreht die gesamte Partei bei (im Falle der neuen SPD) oder sie gerät ins Krängen und Schlingern (im Falle der Grünen, die eben nicht alle bereit sind, ihre gutmenschlichen Glaubwürdigkeitscodes gegen eine Handvoll Manschettenknöpfe einzutauschen).

Parteien als Notlösungen zwecks Mehrheitsbeschaffung für Einzelpersonen – sitzt hier die Wurzel der Politikverdrossenheit, die uns seit Jahren bescheinigt wird? Und sind wir also nicht etwa der Politik überdrüssig, sondern der Parteien, aller Parteien, weil es sie als Plattformen ideologisch klar definierter Alternativen ohnehin nicht mehr (und ihre realpragmatischen Restbestände nur noch als ineinanderfließende Schemen) gibt? Und bräuchten wir vielleicht bloß ein paar neue Parteien, die – nach dem Vorbild Italiens – den ganzen Selbstverdauungsapparat des Zentrums von den Rändern her aufrollen würden:[96] freie Wählerschaften, Stattparteien, graue und, natürlich, grüne Panther, eine Partei der Kleinaktionäre und eine der Microsoft-Opfer und eine des …?

Nein, das Parteiensystem als Ganzes hat in der uns bekannten Form keine Zukunft mehr, weder ein personeller Verjüngungsprozeß kann hier dauerhaft helfen noch eine neue Partei, die innerhalb weniger Jahre vom System der Fraktionsdemokratie ausgezehrt und damit ebendort wäre, wo sich die alten Parteien schon heftig aneinanderdrängen: im Auge des Hurrikans. Nein, wir leben in wirbelstürmischen Zeiten, am Ende jeglicher gewachsnen Verwurzelung, am Beginn einer hypertransparenten Unübersichtlichkeit und einer sehr prinzipiellen Vereinzelung – die relevanten Themen werden in zunehmendem Maße von relevanten einzelnen besetzt[97], die bei all dem einen gewissen Überblick behalten. Oder jedenfalls so tun, und deshalb täte’s dringend not, diese einzelnen auch wieder stärker in staatspolitische Strukturen einzubinden: Um wirklich Bewegung in unsre Politik zu bringen, brauchen wir nicht nur ein paar versprengte Quereinsteiger, derer sich die SPD aus Mangel an eignen Glanzlichtern versichert hat, sondern ein Wahlrecht, das uns erlaubt, (mit der Zweitstimme) Parteien oder Personen zu wählen – letztere nämlich als Einzelpersonen und nicht als Apparatschiks irgendeines obsoleten schwarzen, gelben, roten, grünen, grauen Dachverbands.

Mag sein, daß solch ein »optionales« Persönlichkeitswahlrecht zunächst einmal zu einer allgemeinen inner- wie außerparlamentarischen Verwirrung führt, mag sein. Für einen wie mich freilich, dem’s schon an der Uni – umkreist von gschaftlhuberischen Flugblattwedlern, Megaphontrötern, Solidaritätsbekundern – eine Selbstverständlichkeit gewesen, nicht dazugehören zu wollen, nirgendwo dazugehören zu wollen, für unsre ganze Generation an Flugblattignorierern, Nichtdemonstrierern und notorischen Wechselwählern wäre’s sicher erlösend (und für die noch Jüngeren wohl ohnehin), wenn wir von der Zwangsverpflichtung auf Parteien entbunden würden und versuchsweise mal eine kunterbunte Mischung an direktdemokratischen »Volksvertretern« wählen dürften: Joschka Fischer als Kanzler, Gregor Gysi als Außenminister, Guido Westerwelle als Minister für Gedöns, Robert Gernhardt als Bundespräsidenten – ob solchen Querverbindungen nicht eine ganz neue Schubkraft innewohnen könnte?

Wobei wir endlich wieder bei einer Utopie wären, der Utopie nämlich, daß sich unser Demokratieverständnis auf diese Weise gegen den weitverbreiteten Wunsch nach einem neuen »starken Mann« verteidigen ließe: durch eine Vielzahl an starken Einzelgängern nämlich,[98] deren Wählbarkeit gerade darin läge, nicht vorab auf irgendwelche Programme und Doktrin festgelegt zu sein. Und hier wären wir auch wieder bei den Grünen, jedenfalls bei den Grünen, die sie vor ihrer Verkrustung zur Partei einmal waren und die sie nach dem Zerfall in einen Joschka-Fischerlosen Verbund von Trümmerfrauen und -männern[99] vielleicht auch wieder werden könnten: eine glaubwürdige Bewegung derer, die stark genug sind, für sich selbst zu stehen.

(1999)

Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

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