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Der Deutsche ist schüchtern und schön … – revisited

Wir waren Deutschland

Nirgendwo war das Bild des häßlichen Deutschen so allgegenwärtig wie in Deutschland selbst; wahrscheinlich gab es – trotz aufwendiger Imagekampagnen à la »Du bist Deutschland« – weltweit keine Nation, die so beharrlich mit sich haderte, deren Verhältnis zur eignen Geschichte so nachhaltig korkte, deren Vertreter sich im Ausland so systematisch voreinander verleugneten. Nation? Konnte man das Wort überhaupt noch gebrauchen, ohne von besorgten Bedenkenträgern als Nationalist, Faschist, Nazi, zumindest als erzkonservativ gebrandmarkt zu werden? Man mußte es sogar, sonst hätten es bald wirklich nur noch die »Rechten« verwendet; mit der Folge, daß es von den »Linken« wie viele andre unschuldige Vokabeln vor ihm auch zunehmend mit Bedenklichkeit aufgeladen und schließlich als »rechts« aus dem Sprachschatz verbannt worden wäre. Erstaunlich ohnehin, daß niemand während all jener politisch korrekten Selbstzerfleischungsjahre auf die Idee verfiel, das Wort »deutsch« zum Unwort des Jahrhunderts zu erklären, das durch den Verlauf unsrer jüngeren Geschichte so nachhaltig beschädigt, ja zum Quasisynonym für Unmenschlichkeit und Barbarei geworden sei, daß man es besser … genau: gar nicht mehr in den Mund nehme. Zum himmelhoch jauchzenden, zu Tode betrübten Wesen des Deutschen hätte eine derartige Selbstausmerzung eigentlich gepaßt.

Dann aber kam eines Tages Jürgen Klinsmann und mit ihm eine unverkrampft schwarzrotgoldene WM-Party, wie wir sie uns zuvor selber nie zugetraut hätten. Allerorten feierte man die längst überfällige Rückkehr der Deutschen zur Normalität im Umgang mit der eignen Identität – gerade auch im Ausland. Plötzlich war der, der jetzt noch fragte »Dürfen wir das? Mit unsrer Geschichte?«, selber ein Konservativer, jedenfalls einer, der nichts aus der Geschichte gelernt hatte: Im neuen Fußballpatriotismus verwandelte sich ja nichts abstrakt Bedachtes und auf den ideologischen Begriff Gebrachtes, keine Idee von Deutschland und womöglich dem Deutschtum, sondern jeder einzelne Deutsche, sogar in seiner Spielart als Türke, und zwar ebenso spontan wie unreflektiert. Allerdings so entschlossen, daß man seiner kollektiven Selbstumwandlung einen Wunsch zur Nachhaltigkeit nicht absprechen konnte: Würde er sich nach der WM wieder als die alte Dumpfbacke gerieren, deren deutsche Tugenden er insgeheim selber nicht sonderlich schätzte, er würde im In- wie im Ausland schlichtweg unglaubwürdig sein, seine konkrete Erscheinung würde einfach nicht mehr zum neuen Bild des Deutschen passen und wahrscheinlich als Ausnahme der Regel achselzuckend beiseitegelächelt. Im Ernst: Es wird nicht leicht sein, diesem neuen möchtegernmediterranen Selbstverständnis als Deutscher auch weiterhin gerecht zu werden; dahinter zurückzufallen wird man sich aber einfach nicht erlauben können.

»Ein Land braucht eine jüngere Geschichte, auf die es stolz sein kann«, hatte uns noch rechtzeitig vor dem Eröffnungsspiel die amerikanische Philosophin Susan Neiman empfohlen (SZ, 21./22. 1. 2006); spätestens seit dem glücklichen Sieg gegen Argentinien, dem tragischen Ausscheiden gegen Italien und dem beherzten »Kleinen Finale« gegen Portugal, für das uns selbst Holländer und Engländer nicht länger hassen konnten, haben wir wieder eine: Schließlich wurden wir (»wir«) mit unserem dritten Platz »Weltmeister der Herzen«, und darauf kann man als Deutscher wirklich stolz sein. Insbesondere im Ausland: Ob wir nebenbei auch noch aus dem Land der Dichter und Denker kommen oder doch eher aus dem der Richter und Henker, wird dort erfahrungsgemäß die allerwenigsten interessieren – sofern der deutsche Fußball auch weiterhin so attraktiv bleibt.

Aber ja, so erschreckend einfach erringt man bei weiten Teilen der Weltbevölkerung Sympathie oder eben nicht; wenn in Zukunft auch deutsche Rucksacktouristen nationale Embleme aufs Gepäck nähen (wie Vertreter anderer Nationen schon lange), so wird das mehr über die schlichten Mechanismen unsres Selbstverständnisses aussagen als jeder komplizierte Essay. Und falls wir zu dieser neuen Lockerheit in Zukunft ab und zu auch außerhalb von Spaß- und Freizeitkultur fänden, könnte aus dem Flirt mit der Fahne tatsächlich eines Tages noch eine ganz vernünftige Liebesbeziehung werden. Ob sich Fußballpatriotismus allerdings dabei zum Verfassungspatriotismus läutern läßt, wie ihn Jürgen Habermas so beharrlich für uns alle anmahnt, mag bezweifelt werden. Ganz ohne Patriotismus wird es indessen auch bei uns nach diesem berauschenden Sommer 2006 nicht mehr gehen, und wir tun gut daran, seine Kanalisierung nicht wieder nur den radikalen Kräften unsrer Gesellschaft zu überlassen.

Vom Verschwinden der Dinge in der Zukunft

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