Читать книгу Aufzucht- und Haltungsanleitung für Jungbullen - Max Busch - Страница 17
ОглавлениеBerufspraktikum
Es war Zeit, von Ulli und allen Freunden für drei Monate Abschied zu nehmen. Das Berufspraktikum stand an. Ich sollte zwei Monate in ein größeres Polizeirevier und einen Monat zu einer Verkehrsstaffel. Mit einer großen Party am Freitagabend bei Ulli wurde ich von meinen Freunden verabschiedet. Während der Zeit meines Praktikums wollte Ulli dann auch wegziehen, weil sie eine Lehrstelle über 60 km entfernt angenommen hatte. So wurde es ein doppelter Abschied. Ich blieb an diesem Wochenende bei Ulli und fuhr nicht in die Heimat. Sonntagmorgen um sieben wurden wir unsanft geweckt. Ullis Vater stand im Zimmer, die Zornesröte im Gesicht.
„Sofort raus aus dem Bett meiner Tochter!“ brüllte er mich an, „und dann verlassen sie mein Haus, verstanden! Und wir beide sprechen uns noch!“ meinte er zu Ulli gewandt.
Die saß verschreckt im Bett und bedeckte ihre Oberweite. So schnell es ging, verabschiedete ich mich und stand dann morgens um kurz nach sieben in der leeren Stadt.
Die Praktikumszeit bei der Verkehrsstaffel verlief relativ langweilig. Mir war schon nach einer Woche klar, dass ich nach meiner Ausbildung auf gar keinen Fall zu dieser Einheit wollte. Die Highlights sind schnell aufgezählt:
Eine junge Frau, die bei einer Stoppschild-Kontrollstelle bei meiner Frage nach ihren Papieren ihren kurzen Rock so weit hochschob, dass ich ihre buschige Schambehaarung sehen konnte, ein jugendlicher Raser, der nicht mit der großen Maschine des ihn verfolgenden Polizei-Mercedes /8 gerechnet hatte und eine Nachtschicht auf dem Autobahnrevier, in der ich die ganze Nacht betrunkene Kollegen von einer Feier nach Hause fahren durfte.
Der Monat war vorbei und ich fing auf dem Stadtrevier an. In der 14-Mann großen Schicht empfing mich ein bekanntes Gesicht. Ein ehemaliger Gruppenführer des 4. Zuges war hierher versetzt worden. Der Schichtleiter, auch Dienstgruppenleiter genannt, war ein alter dürrer mürrischer Haudegen. Sein Vertreter, dicklich und immer sehr verständnisvoll. Der Rest der Schicht bestand aus Leuten zwischen 24 und 40 Jahren. Mein erster Dienst war ausgerechnet eine Nachtschicht. Unüblicherweise ließ man mich gleich als zweiten Mann mitfahren. Meine Pistole hatte ich aus der Ausbildung mitgebracht. Schusssichere Westen gab es für uns noch nicht. Zwei schwere Westen für besondere Lagen befanden sich auf jedem Wagen im Kofferraum. Um kurz nach zwei Uhr nachts kam dann folgender Einsatz:
„Fahren Sie in die Steinstraße, Höhe Esso, dort hat es einen schweren Verkehrsunfall gegeben. Ein Fahrzeug brennt, Feuerwehr und Rettung sind unterwegs.“
Mit Blaulicht und Martinshorn rasten wir zum beschriebenen Ort. Schon von weitem konnten wir den Feuerschein sehen. Die Feuerwehr war noch nicht eingetroffen. Zwei PKW standen verkeilt auf dem Tankstellengelände. Offensichtlich hatte der Unfallverursacher den am Fahrbahnrand abgestellten PKW übersehen und war mit hoher Geschwindigkeit auf ihn auf gefahren. Der erste Wagen war leer, im zweiten PKW saß auf dem Beifahrersitz eine lichterloh brennende Person. Der Fahrersitz war leer, die Tür geöffnet. Der brennende Beifahrer war offensichtlich tot, wir konnten nichts mehr für ihn tun. Also sprangen wir in den Streifenwagen und nahmen die Verfolgung des flüchtigen Fahrers auf. Ich fragte über Funk den Halter anhand des Kennzeichens ab.
Nach gut einem Kilometer sahen wir rechts auf dem Gehweg eine torkelnde Person. Wir stoppten neben dem Mann, er versuchte zu fliehen. Nach drei, vier kurzen Schritten hatte ich ihn eingeholt und hielt ihn fest. Der Mann war betrunken und im Gesicht verletzt. Mein Kollege war auch ausgestiegen und legte dem Mann wortlos Handschellen an. „Los, setzt den Kerl auf die Rückbank, hinter deinen Sitz!“ befahl er mir. Dann fuhren wir zur Unfallstelle zurück. Die Feuerwehr hatte die Autos inzwischen gelöscht. Entsetzt kam einer der jungen Feuerwehrmänner auf und zu und stammelte:
„Da sitzt ne Leiche drin“, und deutete auf das zweite Fahrzeug. Mein Kollege zog den von uns Eingefangenen von der Rücksitzbank und führte ihn am Arm zur Beifahrerseite mit der Leiche. Sie war komplett schwarz, die Lippen und Augenlider waren weggebrannt, es sah aus, als ob sie grinste. An den Armen war das Fleisch bis zum Knochen der Länge nach aufgeplatzt, die Farbe der Muskeln war zartrosa wie bei Roast Beef. Um den Hals hing eine Kette, der Anhänger war zusammengeschmolzen und hatte sich in das Fleisch gebrannt. Ein wirklich äußerst erschreckender Anblick.
„Wie fühlst du dich dabei?“ fuhr er unseren Verhafteten an. „Stiften gehen und seinen Kumpel verbrennen lassen… Guck genau hin, wie der jetzt aussieht! Der ist jetzt gar.“
Der Festgenommene brach fast zusammen und sagte:
„Ich kannte den gar nicht, hab ihn als Anhalter mitgenommen…“ Als wenn das ein Trost gewesen wäre. Wir verfrachteten ihn wieder in unser Auto. Die Kripo wurde benachrichtigt und die Feuerwehr angewiesen, solange vor Ort zu bleiben.
Auf dem Revier angekommen, erzählte mein Streifenführer unserem Dienstgruppenleiter den Sachverhalt. Der Beschuldigte saß immer noch im Auto. Der Chef ging raus, riss die hintere Tür auf, packte den Mann an den Haaren und zog ihn aus dem Auto. Dann wurde er zur Tür geschubst, wobei der Mann die Tür verfehlte und mit der Stirn gegen die Zarge prallte. Es entwickelte sich ein Gewaltexzess, der mich erschaudern ließ. Bis zu den Zellen wurde er von dem Schichtleiter und meinem Streifenführer geprügelt und gegen Wände geschubst. In der Zelle angekommen hatte er ein blutverschmiertes, geschwollenes Gesicht.
„Das nächste Mal überlegst du dir besser, ob du anhaust und jemanden verbrennen lässt oder nicht!“ war der einzige Kommentar hierzu.
Die Schicht war für mich gelaufen. Erst der verkohlte Tote mit der aufgeplatzten Haut, dann dieser Prügelexzess. Nach Schichtende versammelten sich alle in der Garage, die auch als Umkleide- und Aufenthaltsraum diente, und tranken ein so genanntes „Abschlussbier“. Ich verzichtete und fuhr gleich heim.
Insgesamt erlebte ich solche Gewaltausbrüche öfter. Betrunkene, die sich erdreisteten, frech zu sein, wurden auf die hintere Bank im VW-Bus gesetzt. Wenn der Fahrer dann rief: „Vorsicht, weiße Kaninchen“, wusste der andere Kollege, dass sogleich eine scharfe Bremsung erfolgen würde, und konnte sich festhalten. Nur der Trunkenbold rauschte ungebremst durch den Innenraum und schlug hart an der Trennwand an. Teilweise wurden vier oder mehr „Kaninchen-Bremsungen“ pro Fahrt durchgeführt. Je nachdem, wie renitent die Person vorher gewesen war.
Einmal in der Woche gab es den Ausbildungstag. Diesmal fand er in meinem Revierbereich statt. Alle Auszubildenden versammelten sich auf dem Gelände der Berufsfeuerwehr. Dort war die 30-Meter-Drehleiter ausgefahren. Der Feuerwehrchef referierte über seine Wehr und über den Einstellungstest. Hierbei müsse auch diese Leiter vom Bewerber erklommen werden, erklärte er.
„Das kann doch jeder!“, entfuhr es mir.
Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie ich das Gurtzeug der Feuerwehr umgeschnallt bekam.
„Ja los, dann zeig uns das mal. Hoch da. Und wenn Du oben bist, klinkst du den Haken ein, lässt die Hände los und pfeifst ein Lied. Das oben ist ein Mikrofon und Lautsprecher.“
Das hatte ich nun davon. Aber weigern wäre mir als Feigheit ausgelegt werden. Langsam erklomm ich also so nun die Drehleiter. So bei 12 Metern wurde mir mulmig. Ich befand mich jetzt auf Höhe der Dachrinnen umliegender Gebäude. Dann ging es wieder besser. Ab 20 Metern empfand ich die Höhe nicht mehr störend, sondern fast als unwirklich. Alles am Boden sah jetzt richtig klein aus. Oben angekommen, tat ich, was mir aufgetragen wurde. Das Pfeifen auf Kommando fiel mir etwas schwer.
„So, Prüfung bestanden, komm runter“, lautete der Befehl aus dem Lautsprecher.
Insgesamt erlebte ich recht viel in den zwei Monaten Einzeldienst. Da war der flüchtige Gefängnisausbrecher, den ich festnahm, der Unfall des Diensthundeführers, bei dem ich mich anschließend um seinen Diensthund kümmerte, diverse Einsätze in Diskotheken, die damals alle in Roma-Hand waren, und den psychisch leicht angeschlagenen Kollegen, der immer versuchte, durch ruppiges, destruktives Fahren, jeden Streifenwagen zu verschrotten.
Während dieser Zeit hatte ich kaum Kontakt zu den Freunden am Ausbildungsort, Handys und Internet gab es noch nicht. Ich fuhr nach Feierabend immer heim, es waren nur ja noch 50 km. Den Kontakt mit meinen alten Schulfreunden hatte ich während der vergangenen 18 Monate nie aufgegeben, ich war ja fast jedes Wochenende in der Heimat.
Meine Praktikumszeit neigte sich dem Ende und ich musste wieder jede Woche in die Kaserne. Für meine Praktika hatte ich gute Noten bekommen. Ulrike sah ich kaum noch, sie war die ganze Woche in ihrer Ausbildungsstelle. Auch viele unserer gemeinsamen Bekannten hatten eine Berufsausbildung begonnen und waren nur noch selten in der Stadt. Mein NSU der irgendwann nach einem Motorradunfall zu mir gelangte, war TÜV-fällig und stand abgemeldet daheim. Ich hatte mir einen alten Opel-Rekord C-Coupé in grünmetallic mit schwarzem Venyldach zugelegt. Mit einem Jahr TÜV für 850 Mark.