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Stubendurchgang

Sehr viel Wert legten unsere Ausbilder auf die Putzerei. Es wurde alles gewienert, bis es blitzte. Sogar den Teil der Schuhsohle zwischen Hacken und Lauffläche musste mit Schuhcreme schön schwarz und glänzend geputzt werden. Und die Zimmer erst. Dank uraltem Stabparkett, wurden einmal die Woche die Böden zunächst mit einem Drahtschwamm angeschliffen, um anschließend mittels Bohnerwachs und Poliergerät auf Hochglanz gebracht zu werden. Ohne elektrische Poliermaschine, alles schön per Hand. Das wurde dann am Freitag um 15 Uhr kontrolliert. Wehe, wenn etwas bemängelt wurde. Dann wurde eine Stunde nachgereinigt. Wenn das Ergebnis den Zugführer dann noch nicht befriedigte, durfte man das Wochenende in der Kaserne verbringen. Zum Glück hat es mich nie getroffen, Jimmy allerdings, den armen Pedanten. Jimmy war übergenau und führte jede Anweisung gewissenhaft aus. Wenn es hieß, den Lauf der Pistole mit der Reinigungsbürste einhundert Mal zu bearbeiten, brachte Jimmy es glatt auf 200.

„Herr Hauptkommissar, ich melde: Stube 15 mit drei Beamten vollzählig angetreten! Keine besonderen Vorkommnisse!“ tönte ich als Stubenältester am Freitagnachmittag um 14 Uhr.

Dabei schön in Grundstellung stramm gestanden.

„Danke, dann zeigen Sie mir mal Ihren Spind!“ befahl der Zugführer.

Es erfolgte die Inaugenscheinnahme meines Schrankinhaltes.

„Darf ich Ihr Privatfach öffnen?“ wurde ich gefragt.

Dieses kleine, ca. 15 mal 15 cm große Fach war der einzige Privatraum in unserem Zimmer, welches nicht ungefragt kontrolliert werden durfte und sogar abschließbar war. Bei mir steckte der Schlüssel allerdings.

„Nein, das möchte ich nicht!“ war meine Antwort.

Der Zugführer war deutlich um Haltung bemüht und setzte seine Untersuchung mit einem Knurren fort. So eine Frechheit hatte er wohl selten erlebt. Er verlor dann auch sehr schnell die Lust, in meinem Schrank weiter zu schnüffeln. Ich war heilfroh, hatte ich doch im Privatfach eine halbe Flasche Wodka liegen, was streng verboten war.

Aber irgendwo musste er seinen Frust abladen, da kam ihm Jimmy gerade recht.

„Zeigen Sie mir Ihre Waffe!“ bellte er Jimmy an.

Jimmy nahm sie aus dem Waffenfach unter dem Privatfach und überreichte sie mit den Worten:

„Gereinigt und entladen!“

„Zerlegen Sie Ihre Waffe!“

Jimmy tat wie ihm geheißen und drei Handgriffe später lag die Pistole in den wichtigsten Baugruppen auf dem Tisch. Hauptkommissar Fischer angelte ein Wattestäbchen aus seiner Hemdtasche und führte es zielsicher in einige Vertiefungen des Verschlusses ein. Und welche Überraschung: Die Watte hatte sich ein wenig schwarz verfärbt. Wortlos legte er den Verschluss zur Seite und betrachtete den Pistolenlauf im Gegenlicht.

„Meinen Sie, das hier ist ein Spaß Herr Hansen? Wie sollen Sie Ihre Waffe reinigen?“ bellte Fischer.

„100 Mal durchziehen“, antwortete Jimmy sichtlich eingeschüchtert.

„Hätten Sie das getan, hätte ich wohl keinen Dreck gefunden! Nachreinigen! Ich komme in einer Stunde zur Nachkontrolle!“

„Aber ich habe doch 200 …“, weiter kam Jimmy nicht.

„Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wenn in einer Stunde nicht alles in Ordnung ist, bleiben Sie das Wochenende hier, verstanden?“

„Jawoll, Herr Fischer!“ antworte Jimmy, bemüht, dass aus seinen feuchten Augen keine Tränen kullerten.

Kaum dass Fischer draußen war, ging Jimmy auf mich los.

„Immer wegen deiner großen Schnauze! Warum findet er bei dir nie was, wo du doch nur 20-Mal durchziehst?“

Wutentbrannt stand das Riesenbaby vor mir. Und so fies, wie man in dem Alter nun mal sein kann, meinte ich:

„Tja Jimmy, Du bist halt das Stubenopfer, einer muss es ja sein.“ Jimmy platzte fast vor Wut.

Er nahm den Stubenbesen und wollte mich verprügeln. Ich konnte ihm den Besen entwinden und drückte ihm den Stiel quer vor die Brust. Er verlor das Gleichgewicht und fiel rückwärts auf ein Bett. Hier hielten Lucky und ich ihn fest. Wir konnten ihn dann beruhigen und bedachten den abwesenden PHK Fischer mit allerlei Schimpfworten.

Nach dem Wochenende erfuhren wir, dass Jimmy nicht nach Hause gedurft hatte. Bei der Nachkontrolle am vergangenen Freitag um 15 Uhr hatte sich Fischer den ganzen Spind noch einmal vorgenommen. Als er mit dem Finger die Oberkante der Schranktür entlanggefahren war, hatte er Staub am Finger. Dies veranlasste ihn dazu, Jimmy nicht nach Hause zu lassen.

Wir arrangierten uns mit dieser Schikane. Jeder von uns baute absichtlich kleine Nachlässigkeiten ein. Lucky ließ mal ein Porno-Heftchen im Bücherfach des Schrankes liegen, ich vergaß absichtlich den Steg der Schuhsohle auf Hochglanz zu polieren und so weiter. Nichts davon führte zu einer Nachkontrolle, aber Fischer und Konsorten waren zufrieden, etwas gefunden zu haben. Jimmy putzte jetzt 1000-prozentig und wurde fortan verschont.

Aufzucht- und Haltungsanleitung für Jungbullen

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