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7.

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Zwischen einem Hieronymus Bosch und dem abgeschlagenem Haupt der Medusa gelangte ich wieder in die Ausstellungsräume. Wenn ich jetzt daran zurückdenke - irgendwie bezeichnend für die kommenden Ereignisse. Sedlar hatte mir einen Weg in den Museumstrakt gezeigt, der nicht an der Schratt vorbeiführte und sich dann mutig seinem Schicksal gestellt.

„Ich habe Hunger.“, begrüßte mich Phillip. Er saß, die Ellenbogen auf den Knien und den Kopf in Händen auf einer Besucherbank und blickte matt auf den Tatort.

„Aha, hat sich hier noch etwas getan?“

„Ich glaube, ich bin zu schwach, um zu sprechen. Ich habe Hunger.“, murmelte er in seine Hände.

„Gut, gehen wir was essen.“ In Bezug auf Essen hat es keinen Sinn mit Phillip zu argumentieren, immerhin war es mittlerweile auch schon nach zwölf. Kaum hatte ich 'essen' gesagt, schoss Phillip mit einem unvermittelten Elan auf, wie man es sonst nur in Schulklassen zum Pausengong sieht und lief, ohne sich noch einmal umzublicken, im Eilschritt Richtung Ausgang. Ich warf einen letzten Blick auf den Tatort, in dem Leute in weißen Overalls Scherben sammelten, und folgte ihm. Phillips Primärziel, das er wie eine präzisionsgelenkte Rakete ansteuerte, war ein Würstelstand gleich neben dem Volkstheater, schräg gegenüber des Kunsthistorischen Museums. Phillip zog zwischen den beiden Musentempeln die kürzestmögliche Verbindungslinie. Das bedeutete, dass er den größten Teil des Weges, vom nicht unbeträchtlichen Verkehrsaufkommen vollkommen unbeeindruckt, mit starr noch vorne gerichteten Blick und in konstantem Eilschritttempo über die insgesamt sechs Spuren der Straße raste, welche die beiden Gebäude trennt. Als ich ihn eingeholt hatte, versenkte er seine Zähne bereits in einem Leberkäse-Hotdog.

„Sakrileg - eigentlich.“, meinte der Würstelstandbesitzer mit einem Nicken auf den Hotdog.

„Wenn Sie meinen. Ich krieg das gleiche aber bitte im Semmerl und mit Gurkerl.“ Am Metalltresen des Würstelstands lehnend, atmete ich einmal durch. Spätfrühlingsluft, Abgase und Wurstgeruch. Was will man mehr? Als Phillip gerade noch eine Käsekrainer verdrückte und ich zweifelnd den Würstelstand-Kaffee verkostete, läutete mein Handy. Die Matuschek. Sie gab mir eine Adresse im Botschaftsviertel und fügte noch hinzu: „Schnell.“ Bevor ich etwas sagen konnte, hatte sie schon wieder aufgelegt. Die Matuschek eben.

Phillip sah mich kauend an.

„Matuschek. Rennweg.“ Ich biss ein Stück von einer Mannerschnitte ab.

„Wir sollen schnell dort sein?“, fragte Phillip.

„M-hm.“

Wir aßen also gemütlich fertig, gingen zur Straßenbahn, fuhren ein paar Stationen bis zum Schwarzenbergplatz und schlenderten von da den Rennweg hinauf. Hinter uns wurde der Hochstrahlbrunnen gerade in Betrieb genommen - ein bisschen spät, der Winter war ja schon länger vorbei. Ein paar Arbeiter waren dabei, die Holzplanken, die den Brunnen bedeckten, zu entfernen. Daneben, im Säulenhalbkreis des russischen Heldendenkmals hatten es sich einige Touristen gemütlich gemacht. Der russische Held auf seinem meterhohen Podest würdigte die Touristenhorden, die sich Richtung Belvedere schoben, mit keinem Blick. Er blickte gen Osten. Immerhin hielt er hier schon seit dem Krieg Stellung und wartete sicher seit langer Zeit auf die Ablösung.

„Hast du gewusst, dass der Hochstrahlbrunnen eine Art Kalender ist?“, fragte Phillip unvermittelt.

„Wieso?“

„Weil er eine Art Kalender ist.“

„Aha“

„Es gibt 12 hohe Strahlen für die Monate, 7 Inseln für die Wochentage, 24 niedrige Strahlen für die Stunden und 30 mittlere Strahlen für die Tage.“

„Phillip, du machst mir Angst. Wieso weißt du so etwas?“

„Warum fragst du? Weil du das eigentlich selber wissen solltest, wo du doch hier der Wiener bist?“

„Nein, weil du sonst auch nichts weißt.“ Eigentlich hatte er aber voll und ganz ins Schwarze getroffen. Ich bin ein Fremdenführer von epischer Inkompetenz. Will ich einem Ortsfremden meine Stadt zeigen, weiß ich meist nicht mehr zu sagen als: „Das ist eine Kirche“ Oder: „Stimmt, das ist eine spangrüne Reiterfigur. Auf einem Pferd, genau.“ Ich versuche mich manchmal, auf das österreichische Bildungssystem auszureden und wie es kleinen wissensdurstigen Geistern jede Lust am Lernen genommen hat. Mein Geschichtsunterricht bestand ausschließlich darin, die kleine regelmäßig kugelige Schrift des Herrn Lehrers unermüdlich von der Tafel in mein Quartheft, liniert mit Korrekturrand, zu übertragen. Der Informationsfluss lief dabei, ohne Umweg, direkt von der Tafel ins Quartheft, liniert mit Korrekturrand, bzw. von professoraler zu kindlicher Schreibhand. Wir hätten genauso gut Hände schütteln können, das hätte den gleichen Lernerfolg gehabt. Ich kann nicht für den Herrn Professor sprechen, aber für meinen Teil kann ich sagen, dass definitiv keine höheren Denkzentren durch den Unterricht belästigt wurden. Man hätte uns zu Schulbeginn genausogut ein voll geschriebenes Quartheft, liniert mit Korrekturrand, überreichen können, das wir dann feierlich in unseren Schultaschen verstaut hätten. Das hätte zudem den Vorteil gehabt, dass das ins Quartheft, liniert mit Korrekturrand, Geschriebene orthographisch und geschichtlich korrekt gewesen wäre. So oder so ähnlich klingt mein Rechtfertigungsmonolog, wenn es darum geht, mein ziemlich umfassendes Unwissen über so ziemlich alles zu rechtfertigen. Der Schuldige ist natürlich das System. Wenn ich aber ehrlich bin, muss ich sagen: Reiterstauen, Kirchen und die Umstände ihrer Erbauung interessieren mich vielleicht wirklich nicht so sehr, wie sie es sollten. Meist sind es aber Prinz Eugen, Kaiser Franz-Josef, Maria Theresia oder der Stephansdom, denke ich. Wenn es sie genauer interessiert, kann ich Ihnen aber gerne ein paar Quarthefte, liniert mit Korrekturrand, zukommen lassen.

„Hatte neulich ein Date mit einer Museumskuratorin.“, riss Phillip mich aus meinem inneren Monolog. „Hat sich ausgezahlt. Sie hat da so ein Performance-Projekt, in dem sie Klimtwerke und deren Schaffensprozess szenisch interpretiert ... nichts für den Kindernachmittag im Museum, kann ich nur sagen!“

Ich seufzte leise. Das war wieder einmal typisch Phillip. Unter allen Museumskuratorinnen hatte er die einzige gefunden, die nicht aus der Deckung ihrer uhrglasdicken Brille verschämt auf griechische Götterstatuen starrte, sondern in Sexperformance engagiert war. Oder waren Museumskuratorinnen nur in meiner Welt langweilig und grau, in Phillips Welt hingegen waren sie alle Femme-Fatales? Vielleicht bestimmt man ja selbst, wie das Universum aussieht, in dem man lebt. Diese tiefsinnigen Gedanken vertrieben mir die zwei Minuten, bis wir an der angegebenen Adresse in einer Seitengasse des Rennwegs angekommen waren.

Unschlüssig standen wir vor dem Palais, das von der Straße etwas zurückversetzt war. Ein massives Eisengitter trennte die Straße von einem Garten mit ordentlich getrimmtem Rasen und kugeligen Büschen. Von dem schmiedeeisernen Tor, vor dem wir standen, bis zum Villeneingang führte ein Kiesweg, der vor dem Haus einen Kreisel rund um eine weiße Statuette drehte. Vor dem Treppenaufgang des Palais wehte im schwachen Wind eine Wiener, eine Österreichische und eine weitere Flagge, die ich nicht zuordnen konnte, bunt, mit Gold, Rot und einem Löwen oder so. Im Garten war niemand zu sehen, es standen auch verdächtig wenige Streifenwagen mit laufenden Blaulichtern in der Gegend herum, genau genommen kein Einziger. Nichts hier deutete auf den dringenden Bedarf an Sonderermittlungseinheiten hin, stellte ich seufzend fest. Wohl ein weiterer Fall Matuschekscher Paranoia.

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