Читать книгу Monolith - Max Kauer - Страница 14
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ОглавлениеZehn Minuten später waren wir am Schauplatz des nächsten Verbrechens dieses Tages, zurück am Schwarzenbergplatz. Vor dem Hochstrahlbrunnen standen jetzt einige Polizeiautos mit laufenden Blaulichtern. Das Belvedere auf dem Hügel hinter uns wurde von den letzten Strahlen der Frühlingssonne in ein sanftes Licht getaucht. Der Held der roten Armee, der hoch oben über den Platz wachte, bekam ebenfalls noch ein paar Strahlen ab. Auf seiner Kalaschnikow übte eine Amsel ihren Beitrag zum Songcontest.
Zuvor hatten wir uns hastig von der Matuschek und der Contessa verabschiedet. Die Matuschek sagte, sie würde sich um diese Saliera-Sache kümmern. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass sie nicht zuallererst der Frau Mag. Schratt Bescheid sagen würde. Da wünschte ich ihr viel Glück, aber wenn es jemanden gab, der es mit der Frau Oberstleutnant aufnehmen konnte, dann war es die Frau Ministerialrat. Außerdem schien es mir, als würde sich die Frau Ministerialrätin mehr für den unheimlichen Kubus, als für die Saliera interessieren. Überhaupt wirkte sie nicht so erstaunt über das plötzliche Wiederauftauchen der Saliera, wie man es vielleicht erwarten würde. Eher amüsiert. Aber vielleicht täuschte ich mich da auch. Die Matuschek scheint nie richtig erstaunt zu sein. Sie ist eher wie ein Schachspieler, der alle Züge des Gegners schon in Gedanken durchgespielt hat und den tatsächlichen gegnerischen Zug dann mit mehr oder weniger Interesse, aber ohne Überraschung, zur Kenntnis nimmt. Wir verabredeten uns am nächsten Vormittag zu einer Lagebesprechung in der neuen Einsatzzentrale. Die neue Einsatzzentrale. Wenn ich daran dachte! Man kann über die Matuschek sagen, was man will, aber wenn die eine fixe Idee hat, dann zieht sie die auch durch. Die Existenz der Sonderermittlungseinheit ist ja letztlich auch nur einer ihrer ministerialrätlichen Visionen zu verdanken.
Die verspäteten Auswinterungsarbeiten am Hochstrahlbrunnen waren eingestellt und der gesamte Platz mit Plastikband abgesperrt worden. Zwei Mannschaftsbusse der Polizei fuhren sportlich rasant bis zur Absperrung, wo sie mit quietschenden Reifen stehen blieben und die Busmannschaften sich sogleich daran machten, die Touristenmassen davon zu überzeugen, dass man die Ermittlungen auch ganz gut ohne ihre Hilfe abwickeln konnte. Die Hauptattraktion befand sich in der Mitte des Brunnens. Da, wo sie normalerweise auch war, wo nämlich, bei Betrieb des Brunnens, aus einer großen schwarzen Felseninsel, von farbenfrohem Lichtspiel begleitet, die höchste Wasserfontäne in den Himmel schoss. Die Hälfte des Brunnens war noch mit Holzbrettern bedeckt, aus denen drei kleinere Felseninseln herauslugten. Wir zückten unsere Ausweise, stiegen über das Absperrband.
„Weißt du.“, begann Phillip, als wir am Rand des Brunnens standen. „Nein, weißt du natürlich nicht ... also es gibt sieben Inseln für die sieben Wochentage. Aber jeder Tag hat noch einen eigenen Strahl am Brunnenrand.“
„Da steht also jeder Tag am Brunnenrand und pischt seinen Beitrag zum Jahr hinein.“, stellte ich fest.
„Genau!“
„Schön! Schauen wir einmal, was das Schicksal heute so gepischt hat.“ Wir stiegen über den Rand des Brunnens in den Teil des Beckens, der schon von den Holzbrettern befreit worden war. Neben der zentralen Felsinsel standen, zusammen mit zwei Männern in blaugelben Jacken, drei Polizisten, die offensichtlich den Tatort bewachten und der Dinge harrten. Rundherum waren noch weitere Polizisten am Werk, die damit beschäftigt waren, neugierige Krähen davon abzuhalten, den Tatort zu erkunden. Wir zeigten unsere Ausweise und ich fragte den ranghöchsten Beamten, was er so berichten könnte.
„Die Leute hier von den Wasserwerken haben heute zu Mittag angefangen, den Brunnen auszupacken. Der ist ja im Winter ganz mit Brettern bedeckt.“ Die beiden Wasserwerkler nickten ernst. Einer war offensichtlich der Chef. Er hatte grau melierte Schläfen und wirkte nicht so, als wäre der wasserdichte Anorak seine übliche Arbeitskleidung. Der andere war bullig und hatte einen überdimensionierten Rohrschlüssel in der einen Hand.
„Und dann hat der Herr Zadek hier unter den Brettern die Leiche gefunden.“
„Aha“, sagte ich und wartete, ob noch mehr kommen würde.
„Grauslich.“, sagte Herr Zadek.
„Da drinnen...“, brachte der leitende Beamte seine Ausführungen zu einem Abschluss und deutete mit dem Daumen in die Mitte der Felsformation.
Nach der ausführlichen und dramaturgisch raffiniert dargebrachten Schilderung des Polizisten besahen wir uns die Sache mit eigenen Augen. Wir blickten in die Mitte der Insel hinunter, die wie ein Atoll ein etwa kreisförmiges flaches Becken umschloss. In diesem Becken waren graue Rohre verlegt von denen größere und kleinere Düsen senkrecht nach oben führten. Am Rande des Beckens, gemütlich an einen Felsen gelehnt und mit ausgestreckten Beinen saß eine Leiche. Man konnte gleich sehen, dass es eine Leiche war. Sie trug einen teuren Anzug, schwarze Schuhe, ein schwarzes Hemd, ein pinkes seidenes Stecktuch und ein Halstuch derselben Farbe. Letzteres war etwas verrutscht, was nicht weiter verwunderlich war. Aber die teure Kleidung war es nicht, was der Leiche ihr offensichtlich leichiges Aussehen verlieh.
„Hm, da fehlt was.“, sinnierte Phillip.
„Ja, wie wäre es mit dem Kopf!“
Der fehlte nämlich, der Kopf. Allerdings war das sauber um den Hals gebundene Halstuch durch ebenjenes Fehlen des Kopfes nach innen gefallen und verdeckte somit die Stelle, wo man wohl mit Fug und Recht so etwas wie eine Schnittfläche vermutet hätte. Von daher konnte es sich eigentlich genauso gut um eine Schaufensterpuppe handeln.
„Nein ich meine nicht den Kopf. Wobei, das stimmt, der fehlt, der Kopf, ist aber ein wenig offensichtlich, findest du nicht? Nein, ich meine Blut!“
„Machst du Witze?“ Ein Grund nämlich, warum man hier sogleich - möglicherweise vorschnell, gut, aber trotzdem - auf Leiche und nicht auf Schaufensterpuppe tippte, war, dass dieselbe in einem See von Blut saß. Desweiteren surrten Fliegen um das gesamte Arrangement und es stank bestialisch, wenngleich noch nicht nach Verwesung, eher wie beim Fleischhauer.
„Als würde ich in solch einer Situation Witze machen ...“, entrüstete sich Phillip. Ich sah ihn zweifelnd an.
„Wie dem auch sei, ich meine auch nicht, dass wir hier zu wenig Blut hätten ...“
„Du meinst zu viel?“, ich kniff ein Auge zu und bemaß die Blutmenge in dem Becken kritisch. Mir persönlich war es nicht zu viel. Endlich mal wieder ein Blutsee! Das war schon eher ein Sonderermittlungs-Kaliber.
„Nein, ich meine auch nicht zu viel, sondern am falschen Platz.“
„Ja das ist offensichtlich, normalerweise gehört es ja hinein...“ Ich deutete vage auf die Leiche.
Phillip seufzte: „Ich meine ... Moment mal, was geht hier eigentlich vor?“
„Wieso?“
„Du verarschst mich! Das geht nicht, ich bin hier der Verarscher!“
„Tu ich nicht!“
„Tust du doch!“
„Tu ich nicht!“
„Entschuldigung, wenn ich ihre Diskussion unterbreche! Dürfen wir dann?“ Hinter uns standen geduldig wartend und mit gesenkten Köpfen einige Leute in weißen Overalls und Koffern in der Hand. Die Stimme des Mannes wirkte etwas müde und schicksalsergeben. Wie die Stimme eines Mannes, der den ganzen Tag Glasscherben in kleine Säckchen gepackt hatte.
„Bitte, lass es Mord sein!“, sagte ein anderer hinter ihm leise.
Ich machte den Spurensuchern Platz. „Finden Sie, da fehlt etwas?“, fragte ich den Anführer. Der warf einen müden Blick in den Tatort, dann sah er mich müde an. Er blinzelte einmal. „Ich möchte unserem Bericht ungern vorgreifen, denke aber, ich kann jetzt schon sagen ...“
„Ich meine nicht den Kopf!“, sagte ich.
„Welchen Kopf?“, fragte der Spurensucher schlau. Ich sah ihn streng an. Er warf noch einmal einen Blick in den Tatort. Dann nahm sein Gesicht plötzlich panische Züge an: „Oh Gott, den hat doch nicht jemand gestohlen?!“
„Beruhigen Sie sich, ich denke nicht, dass hier die Diebstahlabteilung zuständig ist.“
Die Züge des Mannes mit Kugelkopf entspannten sich ein wenig. Er besah sich den Tatort noch einmal: „Warum ist der Anzug nicht blutig?“
„Haha!“, triumphierte Phillip. „Sage ich doch die ganze Zeit!“
„Ach, da werden Sie uns ja sicher bald mehr darüber sagen können!“, ermunterte ich den Spurensucher.
„Natürlich.“ Der Kugelkopf nickte schicksalsergeben.
„Wie ist denn die Lage im Museum?“, fragte ich ihn. Er verspannte sich kurz und presste dann hervor, ohne sich umzudrehen: „Sehr genau dokumentiert.“ Dann widmete er sich der Spurensuche. Ob ich ihm sagen sollte, dass er sich bald mit einem neuen Tatort beschäftigen durfte und zwar mit einem, an dem die Saliera rätselhafterweise aufgetaucht ist. Nachdem er den besseren Teil des Tages damit verbracht hatte, ihr Verschwinden aufs Genaueste zu dokumentieren? Vermutlich nicht.
„Wie sieht's aus Phillip?“
„Ich habe Hunger!“
„Gut, gehen wir einen trinken.“
Und dann gingen wir ins Café Alt-Wien.